Nikta Vahid-Moghtada

Freiberufliche Journalistin und Redakteurin, Berlin / Leipzig

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Zusammenhaltsbericht: Leben wir in sozialen Blasen?

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Dass sich Menschen gern mit Gleichgesinnten umgeben, also mit solchen, die ähnliche Meinungen und politische Ansichten, ähnliche Interessen oder Vorlieben teilen, das ist an sich nicht neu und auch nicht weiter problematisch. Einige Milieus weisen jedoch eine besonders starke Tendenz auf, unter sich zu bleiben, heißt es in dem am Mittwoch in Berlin vorgelegten Zusammenhaltsbericht des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ).

Menschen haben eine Tendenz zur sozialen Homophilie. Wir mögen und vertrauen Menschen, die uns ähnlich sind. Problematisch werden solche Prozesse, wenn zwischen immer mehr Menschen kaum noch Berührungspunkte bestehen, wenn sie unter sich bleiben, sich voneinander abgrenzen und sich nur noch in sogenannten Blasen bewegen.

Bekanntenkreise beeinflussen Weltsichten

Große Teile der Bevölkerung verfügen über homogene Bekanntenkreise, sagt Olaf Groh-Samberg, einer der Hauptautoren der Studie und Professor für Soziologie an der Universität Bremen. Dieses "Zusammenklumpen" gleicher Lebenswelten in Filterblasen beeinflusse auch die Weltsichten und Erfahrungen der Menschen. "Menschen, deren soziale Bekanntenkreise eher homogen zusammengesetzt sind, denken, fühlen und handeln auch anders als Personen, die sich eher in gemischten Netzwerken bewegen", so Groh-Samberg.

Netzwerksegregration lautet der Fachbegriff, der nach IT-Administration klingt, aber gesellschaftliche Prozesse beschreibt: die Abspaltung einzelner gesellschaftlicher Segmente oder Gruppen.

Datengrundlage des Forschungsberichts Die Analysen des Berichts basieren auf den Daten der ersten Welle des German Social Cohesion Panel (2021) - eine jährliche Längsschnittstudie, die die Zusammensetzung sozialer Netzwerke sowie verschiedene Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenhalts berücksichtigt. Befragt werden mehr als 12.000 Menschen in Deutschland.

Grünen- und AfD-Anhängerschaft bleibt unter sich

Vor allem Sympathisanten der AfD und der Grünen bleiben besonders gerne unter sich: 50 Prozent der Befragten, die angaben, bei der nächsten Bundestagswahl die AfD wählen zu wollen, berichteten, dass sich auch ihre Bekanntenkreise überwiegend aus AfD-Sympathisanten zusammensetzten. Unter der Grünen-Wählerschaft haben sogar 62 Prozent solche politisch homogenen Netzwerke. Auch bei Ostdeutschen, Reichen, Hoch- oder Geringgebildeten, Menschen muslimischen Glaubens und im ländlichen Raum ist die Tendenz zur sogenannten Netzwerksegregation stark ausgebildet. Die geringste Tendenz zur Abspaltung geht dem Bericht zufolge von Menschen mit migrantischen, westdeutschen oder großstädtischen Netzwerken aus.

Am stärksten polarisiert sind politische Netzwerke

Zwischen Grünen- und AfD-Wählern besteht zudem eine ausgeprägte "affektive Polarisierung": Beide Gruppen hegen positive Gefühle für die eigene Gruppe, zugleich aber ausgeprägt negative oder feindselige für die jeweils andere. Besonders stark ist das in Ostdeutschland ausgeprägt, so Groh-Samberg. Das mache sich in verstärktem Populismus sowie in einem geringeren Vertrauen in die Demokratie bemerkbar.

Hinzu kommt, dass beide dieser Gruppen über eine starke Tendenz zur Netzwerksegregation zeigen. Das führt in Kombination zu einer stetigen Entkopplung dieser sozialen Netzwerke. Sie driften in ihren Lebenswelten immer weiter voneinander ab, haben keinerlei Sympathien füreinander, keine Berührungspunkte und vor allem: Sie wollen auch keine. Das führt dazu, dass die jeweiligen Meinungen und Weltsichten verstärkt und nur noch extremer werden.

Was tun also, um einer weiteren Abspaltung entgegenzuwirken? "Die Gesellschaft ist noch nicht komplett in Bubbles versunken", sagt Groh-Samberg. Sorge bereite ihm dennoch die erschwerte Verständigung zwischen einzelnen Gruppen vor allem auf politischer Ebene.

Berührungspunkte und Kontakte zwischen sozialen Gruppen könnten Feindseligkeiten abmildern, lautet das Fazit. Doch sind diese fehlenden Berührungspunkte auch Resultat eines Querschnitts aus sozialen, räumlichen und institutionellen Ungleichheiten.

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