Olganitz, ein kleiner Ort im Landkreis Nordsachsen, hat sich seit mehr als zwei Jahrzehnten zu einer wahren Größe in der Techno-Szene gemausert. Von 1998 bis 2019 fand dort das Festival "Nachtdigital" statt und lockte neben DJs aus Dresden oder Leipzig auch Techno-Weltstars in die Region. 2022 kommt das Festival mit neuem Namen zurück: "Escape to Olganitz" findet von 29. bis 31. Juli statt.
"Wer? Roland Kaiser kommt auch zum Festival?" kichert es aus dem Off. "Nein, nein", sagt Leo und muss lachen. Nicht Roland Kaiser, der Schlagerstar, kommt, sondern Roman Flügel, bekannter DJ und Producer aus Berlin. Das Festival, von dem die Rede ist, war einst unter dem Namen "Nachtdigital" bekannt. Zwischen 1998 und 2019 fand es in einem kleinen Örtchen statt, das keine 100 Einwohner zählt: Olganitz heißt es, liegt etwa auf halber Strecke zwischen Dresden und Leipzig, und lockte Jahr für Jahr Tausende Fans der elektronischen Musik ins ländliche Nordsachsen. Dieses Jahr nach dreijähriger Pause erneut, nur unter einem anderen Namen: "Escape to Olganitz". Leo ist einer der Veranstalter und die Stimme aus dem Off gehört seiner Tochter.
Die Stimmung war getragen von der Techno-Euphorie der Neunziger
Das kleine Nest Olganitz, das zur Gemeinde Cavertitz gehört, hat sich über die Jahre zu einer wahren Größe in der Techno-Szene gemausert. Es lockt nicht nur Techno-Fans aus ganz Deutschland in die Region, sondern trumpft auch immer wieder mit großen Namen im Line-up auf.
Neben Resident-DJs aus lokal bekannten Clubs wie der Distillery oder dem Institut für Zukunft in Leipzig haben bereits Techno-Superstars wie Jeff Mills die verschlafene Landluft ohne Handyempfang zum Wummern und Wald und Wiese zum Beben gebracht. Drei Tage lang wird dem Alltag entflohen und abgeschaltet - auch die Telefone, die dort sowieso kaum Empfang haben.
Die Gründer des Festivals, Leo und Michel, sind angefixt von elektronischer Musik. Nach der Wende fahren sie in Clubs nach Dresden und Leipzig, durchwühlen Plattenläden, verlieben sich in die hämmernden Beats und das Gefühl der Freiheit, das damit einherkommt. "Die Stimmung war getragen von der Techno-Euphorie der Neunziger", sagt Leo. Schnell entsteht der Wunsch, etwas Eigenes auf die Beine zu stellen. "Es ging darum, den Sound, den man die ganze Zeit im Club gehört hat, mal nach draußen in die Natur zu bringen", erzählt Leo, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte. Michel, damals wie heute Leos bester Freund, kennt die Location, an der "Escape to Olganitz" auch in diesem Jahr wieder stattfindet: Ein Bungalowdorf, das in einer Senke im Tal um einen kleinen Weiher liegt. Drumherum nichts als Felder und Bäume. "Für das, was wir vorhatten, war das perfekt. Ein kleines Tal, man ist für sich und stört niemanden", erinnert sich Leo.
Wendepunkt zur zehnten Festival-Ausgabe 2007
Das Nachtdigital startet 1998 zunächst als eine Art Rave, beginnt am Abend und endet in den Morgenstunden. Das Event spricht sich schnell herum in der gut vernetzten Szene. Mit dem jährlich wachsenden Publikum wächst auch das Line-up, ein zweiter Festivaltag kommt dazu, ein zweiter Dancefloor und aus einer Nacht wird schnell ein ganzes Wochenende. "Man hatte ein gemeinsames Ding am Laufen, ein gemeinsames Projekt, an dem man arbeiten konnte. Das hat auch diesen Freundeskreis geprägt und zusammengehalten", sagt Leo. Was das Festival von Anfang an ausgemacht habe, sei der familiäre Charakter. Wer einmal nach Olganitz kommt, kommt immer wieder.
Der Wendepunkt, erinnert sich der Veranstalter Leo, war die zehnte Festivalausgabe im Jahr 2007. Damals kommen 3.000 Leute zum Feiern in die nordsächsische Techno-Senke. Und die Veranstalter sind ebenso begeistert wie mit der Realität konfrontiert: Was als Wochenende unter Gleichgesinnten und Freunden startete, muss jetzt professionalisiert werden. Das Festival spricht sich auch in der internationalen Presse herum. "Ab diesem Zeitpunkt war es ein Selbstläufer", sagt Leo.
Hinzu kommt einige Zeit später die Katastrophe auf der Duisburger Loveparade im Jahr 2010: Bei einer Massenpanik kommen mehr als 20 Menschen ums Leben. Das rief auch die sächsischen Behörden auf den Plan, erinnert sich Leo. Ein Sicherheitskonzept muss her, mehr Sicherheitspersonal etwa und Sanitäter. Auch das Line-up wird immer bedeutender. "Wir hatten großes Glück. Viele Künstler hatten Lust, zu uns kommen, Leute wie DJ Koze, Ben UFO oder Ricardo Villalobos", sagt Leo. Für Künstlerinnen und Künstler sowie Gäste sei das Nachtdigital "wahrscheinlich mal eine Abwechslung zu größeren Festivals oder Events" gewesen.
Techno-Superstars und Dorf-Feuerwehr
Festival und Region sind mittlerweile eng verwoben. Man hilft einander, egal ob mit Technik oder Händen, die beim Auf- und Abbau unterstützen. Mütter und Väter packen mit an, auch die lokale Feuerwehr, und zum Festival selbst werde der ganze Ort eingeladen. "Wir haben natürlich nicht alle auf unserer Seite, aber die meisten", sagt Leo und schmunzelt. "Das funktioniert aber nur, weil wir ein achtsames Publikum haben, das nicht völlig betrunken durch den Ort zieht und alles volltaggt". Zum 20. Festival-Geburtstag im Jahr 2017 zieht eine Mini-Techno-Parade durch die wenigen Straßen, die es in Olganitz gibt. Die Anwohnerinnen und Anwohner sind entweder beteiligt, etwa als Fahrer im Traktor mit einer Horde feiernder Leipziger auf dem Anhänger, oder stehen staunend und grinsend am Straßenrand. Hier und dort kullert eine Freudenträne über die eine oder andere Wange.