Der Lübecker Labormediziner Andreas Bobrowski ist Vorstandsvorsitzender beim Berufsverband Deutscher Laborärzte. In dieser Funktion hat er einen Überblick über die Situation in den Test-Laboren der Bundesrepublik. Zuletzt war von einer Priorisierung der PCR-Tests die Rede, um einer Überlastung vorzubeugen. Wie es um die Kapazitäten der Labore in Deutschland - und wie der Mediziner aufs aktuelle Infektionsgeschehen und die derzeitige Lockerungsdebatte blickt, erklärt er im Interview.
Andreas Bobrowski: Die Welle ist von Norden gekommen und wie eine Wand auf uns zugerast. In den letzten Tagen hat sich die Situation hier im Norden ein bisschen entspannt. Wir können jede Probe innerhalb von 24 Stunden bearbeiten. Zu Jahresbeginn war es schlimm, die Labore mussten ihre Kapazitäten enorm hochfahren. Auch die Einsendungen sind in den letzten Tagen leicht zurückgegangen. Das sieht man noch nicht in den Inzidenzen, die sind nach wie vor hoch, aber wir sehen, dass die Menge der untersuchten Proben zurückgegangen ist. Was nach wie vor sehr hoch ist, ist die Positivrate, die bei zwischen 30 und 40 Prozent liegt. In anderen Gebieten der Bundesrepublik, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, steigt der Wert noch an und wir wissen nicht, wann der Gipfel der Welle erreicht sein wird.
Bobrowski: Ich habe zum Beispiel Rückmeldung aus Magdeburg: Die Kollegen waren noch ganz entspannt und sagten, die Anzahl der PCR-Proben habe noch nicht das sehr hohe Niveau wie während der letzten Welle. Aber es ist zu erwarten, dass die 100-Prozent-Grenze noch erreicht wird. Auch aus Sachsen oder Thüringen sind noch keine Hilferufe gekommen.
Bobrowski: Als Laborverband haben wir darauf hingewiesen, dass wir irgendwann Priorisieren müssen. Das wurde zunächst falsch verstanden. Priorisierung heißt nicht, dass man keine Tests kriegt, sondern dass sich das Ergebnis zeitlich verzögert. Und wer in einer kritischen Infrastruktur arbeitet, kriegt sein Ergebnis eben ein bisschen schneller. Aber es ist genug Material da und es sind ausreichend Tests da, deutschlandweit. Bisher gibt es keine Überhangproben. Die Labore haben ihre Kapazitäten hochgefahren - auch personell muss das geschehen. Tests und Material hat man genug - aber man braucht ja auch Leute, die das Ganze bedienen können.
Bobrowski: Mein Gefühl: Es ist nicht so eine ernste Situation wie in den vergangenen Wellen, es läuft alles etwas entspannter. In der Vergangenheit waren wir wesentlich mehr unter Druck, weil wir auch wussten: Die Verläufe sind schwer, und wenn wir nicht rechtzeitig liefern, kann das dazu führen, dass Patienten zu Schaden kommen. Generell sind auch die Vorgänge mittlerweile hochprofessionalisiert, man muss nicht mehr so viel improvisieren. Das gibt natürlich Ruhe. Man muss nicht mehr jeden Tag durch die Welt hetzen, in der Hoffnung, irgendwo irgendwelche Plastikartikel oder PCR-Testkits fürs Labor zu bekommen. Das läuft. Und man weiß auch: Ok, wenn es doch zu viel wird, dann dauert es mal 12 Stunden länger, aber jeder kriegt sein Ergebnis.
Bobrowski: Da kann ich nur sagen: Da schauen wir jetzt mal zu den Dänen. Dänemark ist uns ja recht nahe und dort wurden nun alle Maßnahmen aufgehoben. Wobei das dänische Gesundheitswesen ja schon lange deutlich mehr digitalisiert wurde, davon sind wir noch weit entfernt. Man könnte natürlich auch sagen: Die sind deshalb so ruhig, weil sie wissen, dass ihre Zahlen stimmen. Wir in Deutschland wissen das nicht. In Dänemark gibt's eben ein zentrales Impfregister. Wenn die sagen: 62 Prozent der Dänen sind geboostert, dann stimmt das. Hierzulande sieht das anders aus. Aber ob die komplette Öffnung nun der richtige Schritt war, wird sich auch in Dänemark erst noch zeigen.
Bobrowski: Na ja, man könnte zum Beispiel mit dem Blick auf die Schulen sagen: Wir streichen alle Maßnahmen und irgendwann sind eben alle durchimmunisiert. Das hört sich locker an, aber auch nur solange, bis das eigene Kind Long-Covid entwickelt. Das kann doch kein Mensch verantworten. Deswegen bin ich der Meinung: Wir haben jetzt schon so lange durchgehalten, vielleicht haben wir jetzt die letzte Welle, man weiß es nicht. Deswegen sollte man jetzt nicht aufgeben. Aber das Virus tut das, was alle Viren tun. Es wird immer ansteckender in seinen Mutationen, und damit es auch eine große Verbreitung findet, werden die Verläufe immer weniger schwer. Diese Entwicklung kennt man auch von anderen Viren. Dass jetzt noch einmal gefährlichere Mutationen kommen, ist aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich.
Staatliche Lockerungsmaßnahmen sind auch nur ein Angebot, das besagt: Man guckt als Staat nicht mehr so genau hin und übergibt die Verantwortung an die Bürgerinnen und Bürger.
Bobrowski: Jetzt zu lockern, unter dem Aspekt: ‚Wir können ja sowieso nicht mehr alles testen', oder ‚die Gesundheitsämter können doch sowieso nicht mehr alles nachverfolgen', hebt aber die Eigenverantwortlichkeit der Bevölkerung nicht auf. Wenn ich krank bin und weiß, das Gesundheitsamt kann zwar die Kontakte nicht mehr nachverfolgen, dann sollte ich trotzdem zu Hause bleiben, um meine Nachbarn nicht anzustecken. Staatliche Lockerungsmaßnahmen sind auch nur ein Angebot, das besagt: Man guckt als Staat nicht mehr so genau hin und übergibt die Verantwortung an die Bürgerinnen und Bürger. Die müssen damit auch umgehen können - vielleicht können die Dänen das ein bisschen besser als die Deutschen, ich weiß es nicht.