Seit gut einem Jahr listet eine Aufstellung der Bundesärztekammer Gynäkologinnen und Gynäkologen in Deutschland auf, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Ungewollt Schwangere sollen dadurch einfacher Ärzte für eine Abtreibung finden können. Soviel zur Theorie. Denn auch ein Jahr nach seiner Einführung ist das Register dünn: Von rund 19.000 niedergelassenen Gynäkologen in Deutschland haben sich bisher nur etwa 330 in diese freiwillige Liste eintragen lassen.
Erst im Juli hatte die baden-württembergische Grünen-Politikerin Bärbel Mielich eine Debatte um die Versorgung mit Ärztinnen und Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, entfacht. Weil immer weniger Ärzte Abtreibungen vornehmen, müssen Frauen in einigen Regionen in Westdeutschland für den Eingriff lange Wege auf sich nehmen. Die mitteldeutschen Bundesländer melden dagegen keine Versorgungsengpässe.
Warum die Situation in Ostdeutschland eine besondere ist, Ärzte sich aber auch hier in einem Graubereich bewegen, erklärt die Landesvorsitzende des Berufsverbands der Frauenärzte in Sachsen-Anhalt, Dörte Meisel, im Interview.
Woran liegt es, dass - ganz Deutschland betrachtet - immer weniger Ärztinnen und Ärzte Schwangerschaftsabbrüche durchführen?
Schwangerschaftsabbrüche sind durch den Paragraphen 218 noch immer eine kriminalisierte ärztliche Leistung. Die Durchführung eines Abbruchs als Straftatbestand bleibt nur straffrei, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden: Die Frauen müssen zwingend zur Beratung gehen und der Arzt muss den Abbruch vor der zwölften Schwangerschaftswoche machen. Damit fühlen wir uns alle diskriminiert. Dazu kommt, aber das gilt vor allem für die westlichen Bundesländer, dass es vehemente Abtreibungsgegner gibt und meine Kollegen teilweise um die Fensterscheiben ihrer Praxen fürchten, sogar häufig persönlich angegriffen und angezeigt werden.
Solche Szenarien kennen Sie aus Ostdeutschland nicht?
Nein, das ist in den neuen Bundesländern deutlich anders.
Woran liegt das? Hat es auch konfessionelle Gründe?
Der Grund liegt vor allem in der Geschichte der Abtreibung. Wir hatten zu DDR-Zeiten seit 1972 das liberalste Abtreibungsgesetz, das es in Deutschland jemals gegeben hat. Es beruhte auf der Fristenlösung: Die Frau hatte das Recht, bis zur zwölften Schwangerschaftswoche selbst zu entscheiden, ob sie das Kind behalten möchte. Bezahlt worden ist ein Abbruch von der Krankenkasse. Der Zugang war damit sehr niedrigschwellig. Die DDR brauchte die Frauen natürlich als Arbeitskraft. Mit einer Schwangerschaft und danach der Kinderbetreuung wären sie ausgefallen. Zu dieser Zeit sind zum Beispiel auch Verhütungsmittel von der Krankenkasse übernommen worden und waren für Frauen kostenlos. So bin ich aufgewachsen. Als ich mein erstes Praktikum gemacht habe, lagen auf einer Station Kinderwunsch-Patientinnen neben Schwangerschaftsabbrüchen. Das hat zwar auch für heiße Diskussionen gesorgt, aber es war etwas Normales. Und ich habe nie eine Frau erlebt, die einen Schwangerschaftsabbruch als Verhütungsmittel benutzt hat.
Was hat sich mit der Wende geändert?
Der Beitritt der DDR zur Bundesrebublik hat deutschlandweit zu einer Lockerung des Paragraphen 218 geführt: Es gibt seitdem die Fristenlösung, kombiniert mit der Pflicht, sich von staatlich anerkannten Stellen beraten zu lassen. Frauen haben ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, es ist jedoch einkommensabhängig, ob die Krankenkasse den Abbruch übernimmt. Hier in Sachsen-Anhalt erlebe ich es extrem selten, dass Abbrüche privat getragen werden.
Einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten, die Abbrüche durchführen, gibt es also nicht?
Nein. Es gibt seit etwa einem Jahr bei der Bundesärztekammer eine öffentlich zugängliche Liste mit Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die Liste wurde initiiert, nachdem eine Ärztin in Westdeutschland angezeigt und verurteilt worden ist, weil sie auf ihrer Webseite darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Allein diese Info ist als Reklame gedeutet worden. Danach haben viele Ärzte aus Angst vor einer Anzeige diese Information von ihrer Webseite gelöscht.
Und dann wurde vom Gesetzgeber nachjustiert?
Ja, Ärzte können sich freiwillig in die Liste der Bundesärztekammer eintragen lassen.
Deutschlandweit gibt es rund 19.000 niedergelassene Gynäkologen. Die Liste umfasst nur etwa 330 Ärztinnen und Ärzte - nach einem Jahr kein guter Schnitt, oder?
Ja, das ist sehr hypothetisch. Aber wir wissen hier im Osten, wer in Praxisnähe Abbrüche durchführt. Wir dürfen zwar nicht gerichtet überweisen, informieren die Patientinnen aber. Und Ärzte müssen sich ja nicht zwingend in die Liste eintragen lassen. Sie ist öffentlich - auch für Abtreibungsgegner, die dann diese Ärzte und ihre Patientinnen diffamieren. Aber wie gesagt: So etwas habe ich aus den neuen Bundesländern noch nie gehört. Wenn wir Berufsverbandstreffen haben, stehen wir Ossis immer ein bisschen ratlos da, weil wir die Problematik nicht kennen.
Dennoch gibt es im Osten nicht signifikant mehr Schwangerschaftsabbrüche.
Nein, der Zugang ist nur niedrigschwelliger. Wir kennen es gar nicht anders.
Sie sprechen von Ärzten, die die DDR miterlebt haben. Wie sieht es aber beim Ärztenachwuchs aus?
Hier ist das Hauptproblem ein anderes: Junge Ärzte lernen das Durchführen von Abbrüchen nicht mehr. Die Ausbildung von Gynäkologen findet zu 90 Prozent klinisch statt. Es bilden nur sehr wenige Kollegen ambulant aus. 90 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche werden aber ambulant durchgeführt, nicht aber im Krankenhaus.
Wo sehen Sie die Lösung des Problems?
In der Abschaffung des mittelalterlichen Paragraphen 218. Dann werden wir Ärzte nicht mehr kriminalisiert und kommen aus dieser Zwickmühle heraus: Kein Arzt führt gerne einen Schwangerschaftsabbruch durch, aber wir machen es, um den Frauen zu helfen und gehen nur straffrei aus der Sache heraus, weil die Patientin sich an die nötigen Fristen gehalten und sich beraten lassen hat. Das fühlt sich dauerhaft an wie fünf Punkte in Flensburg. Beim nächsten Punkt ist man den Führerschein los.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 30. Januar 2020 | 09:30 Uhr