Nikolaus Fecht

Fachjournalist, PR-Texter, Moderator, Gelsenkirchen

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Der Fairein

Nein, es ist kein Druckfehler: Diese Wortschöpfung - die fair und Verein zu einem Begriff vereint - beschreibt sehr zutreffend das Geburtstagskind: Seit seiner Gründung vor 125 Jahren in Hannover zeigt der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken e.V., wie Lobbyismus der positiven Art aussehen kann - selbst wenn er mit einem Boykott beginnt. Ein Rückblick auf ein Stück Industriegeschichte.

An Boykott denken elf schwarz gekleidete Herren sicherlich nicht, als sie sich am 7. Dezember 1891 morgens in Hannover - unweit des Hauptbahnhofs im vornehmen Kastens Hotel - auf Einladung eines Geheimen Kommerzienrates aus dem Rheinland treffen. Die Rede ist von Dr. Ernst Schiess. Der Werkzeugmaschinenfabrikant aus Düsseldorf will die „Beziehungen der bedeutendsten Fabriken im Werkzeugmaschinenbau" festigen.

Damit agieren die Fabrikanten und Direktoren der noch sehr jungen Werkzeugmaschinenbranche ganz im Sinne des Zeitgeistes: Seit rund zwei Jahrzehnten formieren sich im Kaiserreich Industrie und Handwerk zu Verbänden und Interessenvertretungen. Im Mittelpunkt steht dabei - viele Jahre vor der Europäischen Union - der stete Streit um Schutzzölle für ausländische Produkte.

So auch in Hannover. Auf dem Tagungsprogramm rangiert an erster Stelle die Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen. Nach hitziger Debatte entscheidet sich das Gremium einstimmig, wegen der Preisdrückerei der Behörden fortan öffentliche Ausschreibungen vorerst zu boykottieren (das junge englische Wort wurde allerdings nicht verwandt, man sprach von „Enthaltung bei der Abgabe von Angeboten"). In der gleichen Mammutsitzung verabschiedet der junge Verband eine endgültige Fassung von einheitlichen Lieferbedingungen für Werkzeugmaschinen. Damit bieten die Fabrikanten vor allem den Einkäufern mächtiger Großabnehmer Paroli, die nach eigenem Gutdünken die kleine, junge Branche gängeln.

Amateurhaft, aber mutig im Kampf gegen die Großen

Zunächst agiert die „Vereinigung Deutscher Werkzeugmaschinen-Fabrikanten" noch etwas amateurhaft. So gibt es keine offizielle Geschäftsstelle, sondern nur ein ehrenamtliches Büro: Von Düsseldorf-Oberbilk aus, dem Stammsitz der Fabrik, steuert der Vorsitzende Schiess ehrenamtlich die Arbeit der jungen Interessenvertretung. Zu seinen Glanzstücken zählt der Kampf mit dem „Reichsamt des Inneren" um ein für den deutschen Werkzeugmaschinenbau günstiges Zolltarifschema. Zwar läuft jahrelang im Zollstreit nichts, dafür erwirbt sich der David unter den Verbandsgoliaths einen Namen.

Die Erfolge schlagen sich nieder: 1898, bei der Umbenennung in „Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken", gehören dem Verband bereits 58 Firmen an: Den neugegründeten VDW lenkt der wiedergewählte Vorsitzende Schiess, den ein Vorstand und ein offizieller Geschäftsführer unterstützen. Die Stärkung des Verbandes ist sehr wichtig, denn fast gleichzeitig entsteht eine neue, sehr anspruchsvolle Branche.

1899 startet Gottlieb Daimler mit der Serienproduktion von Viertaktmotoren und bereits 1901 fertigt die ehemalige Nähmaschinenfabrik Opel außer Tausenden von Fahrrädern auch erstmals 30 Automobile. Diese und andere Automobilisten stimulieren und inspirieren auch den deutschen Werkzeugmaschinenbau. Die Fabrikanten entdecken plötzlich die Werbung. O-Ton einer Anzeige aus dem Jahr 1900: „Maschinenfabrik Kappel in Kappel Chemnitz (Saxony) supplies machine-tools, Metallbearbeitungsmaschinen, machines-outils à travailler les métaux." Die Maschinenhersteller präsentieren sich außerdem auf Anregung des Verbandes auch national (Düsseldorf) und international (Paris, Lüttich und Moskau). Später werden sie dann auf eigene Messen des VDW gehen, der 1920 mit einer eigenen kleinen WZM-Ausstellung in Leipzig ins Messegeschäft einsteigt.

Damals sind viele Hersteller noch Gemischtwarenläden, die zum Beispiel (siehe Kappel) außerdem Tüllwebstühle, Handstickmaschinen, Sägegatter sowie Gas- und Benzinmotoren anbieten. In puncto Theorie sieht es noch übler aus: Die junge Branche berechnet fast nichts, sondern konstruiert Maschinen nach alter Handwerkersitte Pi mal Daumen.

Diesen Zustand ändert 1904 Dr.-Ing. Georg Schlesinger, dem der Kaiser Wilhelm II. einen „Lehrstuhl für die Kunde von Werkzeugmaschinen (WZM)" einrichtet. Vier Jahre später lässt Geheimrat Adolf Wallichs, ein Bewunderer des „ersten ordentlichen WZM-Professors", im Keller der Technischen Hochschule Aachen erstmals die Späne wissenschaftlich fliegen. Schlesinger ermuntert die WZM-Fabrikanten, auch in Sachen Forschung aktiv zu werden, bei der er sie jahrelang unterstützt.

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