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Das evangelikale Netzwerk der AfD

Ein Bundestagsabgeordneter der AfD baut ein weltweites Netzwerk aus fundamentalistischen Christen auf. Sie bekämpfen nach Recherchen von und der "taz" vor allem Homosexuelle und wollen die Gesetzgebung beeinflussen.

Auf mindestens vier Kontinenten hat der AfD-Bundestagsabgeordnete Waldemar Herdt Kontakte zu rechten Evangelikalen und homofeindlichen Aktivisten geknüpft. Es ist ein Umfeld, das unter dem Deckmantel christlicher Wertevorstellungen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Personen (LGBT) bekämpft.

AfD-Abgeordneter befürchtet "Sodom und Gomorrha"

Die deutsche Gesetzgebung habe sich auf Druck von Nichtgläubigen so weit verändert, dass er fürchte, man werde bald in "Sodom und Gomorrha" landen, behauptet Herdt im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste und der "taz". Als Gegengewicht wünsche er sich ein Netzwerk von Rechtskonservativen, so Herdt weiter.

Herdt, selbst Russlanddeutscher, stellte seine Pläne erstmals 2019 im russischen Parlamentsfernsehen vor, wenige Monate später gründete die AfD im Bundestag eine sogenannte "Interparlamentarische Menschenrechtskommission" (IPMK). Laut der Fraktion soll sich das Gremium für "christlich-konservative Werte" einsetzen, zum Sprecher wählte es Herdt. Gemeinsame Recherchen von Kontraste und der "taz" zeigen, dass Herdt mit eben jener IPMK Strukturen schaffte für ein Netzwerk, das er selbst zuvor über Jahre aufgebaut hatte.

Homofeindlicher Aktivismus

Viele seiner Kontaktpersonen sind als Geistliche tätig, auch er trat früher als Prediger auf. Herdt ist Mitglied der "Lebensquelle", einer russlanddeutschen Pfingstgemeinde in Osnabrück. Die Pfingstbewegung legt die Bibel wörtlich aus. Offenbar glauben Anhänger der "Lebensquelle", dass es Dämonen gibt und Homosexuelle von solchen befallen sind. Ein Pastor predigte dort gar, man könne solche Dämonen "niedertreten". Herdt beteuert gegenüber Kontraste und der "taz", die Freikirche habe mit seinen Reisen nichts zu tun. Es gehe ihm darum, ein praktisches Ziel zu erreichen.

Das Netzwerk der AfD, die IPMK, soll Resolutionen ausarbeiten, die in Gesetzesinitiativen eingehen. Parlamentarier und Experten aus 30 Ländern seien dem Gremium beigetreten, wer genau, möchte ihr Sprecher Herdt auf Nachfrage nicht verraten. Doch in einigen Fällen ist bekannt, wer an solchen Treffen teilgenommen hat. Einer Onlinekonferenz zum Thema Extremismus, welche die IPMK ausrichtete, wohnten auch Abgeordnete der Duma bei, außerdem Sam Brownback, ehemals Sonderbotschafter für Religionsfreiheit der USA unter der Regierung von Donald Trump und lautstarker Gegner von LGBT-Rechten.

Globale Agenda

Vor Kurzem hat Herdt seine Fühler auch nach Südamerika ausgestreckt. Im Nationalkongress Brasiliens haben streng-gläubige Abgeordnete großen Einfluss. Die evangelikale Elite des Landes sucht die Nähe zur neuen Rechten, vor allem zum rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro.

Die Anthropologin Christina Vital vermutet, dass Brasiliens Evangelikale aus ihrer Agenda ein globales Thema machen wollen. "Dafür verbinden sie sich mit zahlreichen Kräften in der ganzen Welt und agieren in internationalen Netzwerken", sagt sie. Kontakte nach Europa gebe es bisher wenige, schon gar nicht nach Deutschland.

Herdt arbeitet offenbar daran, dies zu ändern. Im März reiste er nach Brasilien und traf unter anderem das hochrangige Regierungsmitglied Marco Feliciano. Er gilt als wichtigstes Bindeglied zwischen Freikirchen und der Politik, fiel allerdings mehrfach durch rassistische und homofeindliche Äußerungen auf.

Brasilianische Analysten gehen davon aus, dass dem Land nach der Abwahl Donald Trumps als US-Präsident eine führende Rolle für die christliche Rechte zukommen könnte. Herdt wäre dann womöglich bereits bestens vernetzt. Auch Vertreter aus Brasilien sind ihm zufolge der IPMK beigetreten.

Einfluss auf LGBT-Gesetze

Enge Verbindungen unterhält Herdt auch zu Alexey Ledyaev. Der lettische Prediger, mit dem er nach eigener Darstellung befreundet ist, ist Kopf der "Watchmen on the Wall". Hauptzweck dieser evangelikalen Gruppe ist der Kampf gegen Homosexualität. Ledyaev gründete die "Watchmen" zusammen mit dem US-Pastor Scott Lively, der schon in den 1990er-Jahren ein Buch schrieb, in dem er eine Verschwörungserzählung über angebliche Zusammenhänge zwischen Homosexualität und den Verbrechen der Nationalsozialisten konstruierte.

In Uganda, wo Politiker immer wieder die Todesstrafe für Homosexuelle fordern, warb Lively schon vor Jahren für ein Gesetz, das drakonische Strafen für LGBT vorsah. 2012 hielt er eine Ansprache vor dem Parlament. Das Gesetz trat in Kraft, erst das Verfassungsgericht des ostafrikanischen Landes schritt ein. Ein US-Gericht kam später zu dem Schluss, dass Lively mit seiner Einflussnahme Beihilfe zur "Dämonisierung, Einschüchterung und Verletzung von LGBT-Personen" geleistet hatte. Er habe damit gegen das Völkerrecht verstoßen. In Deutschland scheint ein solches Gesetz kaum vorstellbar. Der Fall Lively jedoch ermöglicht eine Vorstellung davon, was es bedeuten kann, wenn radikale Aktivisten anderswo auf LGBT-Gesetzgebung einwirken - ähnlich, wie es offenbar die IPMK im Sinn hat.

Keine Berührungsängste mit radikalen Kräften

Der Bundestagsabgeordnete Herdt trat 2018 gemeinsam mit Scott Lively bei einer Veranstaltung der "Watchmen" auf. Herdt sagt Kontraste und der "taz", die Ansichten der Gruppe entsprächen seinen Ansichten. Er habe auch keine Angst, mit Lively in Verbindung gebracht zu werden. Lively erwähnt ihn sogar auf seiner Website. Dort hieß es kürzlich, der AfD-Politiker werde dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán für dessen Anti-LGBT-Gesetz einen sogenannten Menschenrechtspreis verleihen.

Und zwar im Namen der "Weltliga der Bürger und der zivilgesellschaftlichen Vereinigungen", einer Organisation aus Kirgistan, die sich der IPMK im März angeschlossen hat - auf Einladung von Herdt. Ihren "Menschenrechtspreis" vergab sie zuvor unter anderem an Lively und an Tschetscheniens autoritären Herrscher Ramsan Kadyrow, der Homosexuelle Berichten zufolge einsperren und foltern lässt. Am vergangenen Wochenende kündigte die Organisation an, bald auch Herdt auszuzeichnen - wegen seines Einsatzes für das, was sie "traditionelle, familienfreundliche und nationale Werte" nennt.

Anderes Verständnis von Menschenrechten

Herdt sagt, für ihn bedeuteten Menschenrechte vor allem drei Dinge: Recht auf Leben, Recht auf Arbeit, Recht auf Glauben. Das Deutsche Institut für Menschenrechte kam in einer Studie im Juni hingegen zu dem Ergebnis, dass die AfD aus menschenrechtstheoretischer Sicht Positionen vertrete, die "nicht auf dem Boden des Grundgesetzes" stehen.

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