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Fußballfans gegen Bolsonaro

An einem Samstag im Mai entrollen 47 junge Männer vor São Paulos berühmtem Kunstmuseum MASP ein schwarzes Transparent. "Wir sind Demokratie!", steht in weißen Lettern darauf, die Gruppe reckt die Fäuste, macht Fotos und geht wieder nach Hause. Alle tragen Atemschutzmasken.

Was niemand ahnt: Die winzige Demo ist der Beginn einer Protestbewegung gegen Brasiliens rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro. Landesweit gehen Menschen gegen ihren Präsidenten auf die Straße. Auch an diesem Sonntag wurde wieder demonstriert. "Weg mit Bolsonaro", stand auf einem überdimensionalen Transparent auf der Avenida Paulista, der Prachtstraße São Paulos. "Deine 'kleine Grippe' hat bereits 40.000 Menschen getötet."

Für viele ebenso überraschend: Es sind Fans von São Paulos Fußballverein Corinthians, die den Startschuss geben. "Wenn die Linke nichts macht", sagt einer von ihnen, "dann übernehmen wir das eben!"

Der Satz mag aus dem Mund eines Fußballfans vielleicht überraschend klingen. Tatsächlich aber gibt es eine Tradition des politischen Engagements brasilianischer Fanclubs, insbesondere bei den Ultras von Corinthians, den Gaviões da Fiel - die Sperber der Treue. Sie wurden 1969 im Widerstand zur Militärdiktatur gegründet und zählen heute mit 115.000 Mitgliedern zu den größten Fan-Organisationen Brasiliens. Sie haben Ableger in Japan und unterhalten sogar eine Sambaschule.

Einer ihrer Gründer ist Chico Malfitani. Der heute 70-Jährige sagt, dass es absurd sei, was in Brasilien passiere: "Unter Bolsonaro droht die Rückkehr zur Diktatur."

Seit März hat die Covid-19-Pandemie Brasilien fest im Griff. In fast allen Städten des Landes herrschen Quarantäne-Maßnahmen. Die meisten Brasilianer halten sich daran - nur viele Anhänger Jair Bolsonaros nicht, trotz 45.000 Toten und fast einer Millionen Infizierter. Viele von ihnen glauben, dass Covid-19 ein "Grippchen" sei und dass alles übertrieben werde. So hat es der Präsident gesagt, der seine Anhänger nun auffordert, illegal in Krankenhäuser einzudringen und zu filmen, wie viele Betten dort unbelegt seien.

Zur Unterstützung ihres Idols demonstrieren auch die Bolsonaristas - so heißen die Anhänger des Präsidenten - jeden Sonntag in Brasília und São Paulo, viele ohne Masken aber im gelben Trikot von Brasiliens Fußballnationalteam. Immer radikaler sind ihre Forderungen in den letzten Wochen geworden. Nach einer Schließung des Kongresses, zum Beispiel, oder einer Militärintervention.

Bolsonaro widerspricht dem nicht, sondern heizt die Stimmung weiter an. Er beschimpft politische Gegner als "Dreck" und "Gülle", brüllt Journalisten an ("Halt's Maul, sag ich, halt's Maul!"); und er droht unverhohlen den demokratischen Institutionen, von denen er glaubt, dass sie ihn beim Regieren behinderten, weil sie von Linken unterwandert seien. "Es reicht, verdammte Scheiße!", rief Bolsonaro vor einigen Tagen vor jubelnden Anhängerinnen in Richtung von Brasiliens Verfassungsgericht.

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