Es ist ein besonders sonniger Tag in Alten Eichen, und mit sonnig ist nicht nur das Wetter gemeint. Die Runde, die in der Tagespflegeeinrichtung in St. Georg sitzt, sieht ungemein fröhlich aus. Vor allem die Frau vor dem Fenster, deren rote Bäckchen leuchten wie reife Äpfel am Baum. "Prima ist das", sagt sie mit rollender Hamburger Zunge. "Mal was anderes nach dem Stubenhocken, endlich wieder raus. Und klönen!"
Seit September läuft in allen 47 Hamburger Tagespflegen wieder normaler Betrieb, unter strikten Auflagen: kein Singen, kein Tanzen, keine Brettspiele, das Gesundheitsamt fürchtet überall Infektionsquellen. In einer aktuellen Statistik des Robert Koch-Instituts über die Orte, an denen sich Menschen mit Covid-19 anstecken, stechen Einrichtungen für Senioren klar heraus. Nirgendwo sonst infizierten sich so viele Personen wie in Pflegeheimen und Altentagesstätten. Bei jedem Ausbruch waren im Schnitt 18 bis 19 Menschen betroffen. Und trotzdem müssen sie jetzt alle einen Weg finden, wie sie ohne Shutdown über den Winter kommen.
Birgit Fenner, die Leiterin der Einrichtung, denkt mit Schrecken an die vergangenen Monate zurück. Die Einsamkeit setzte ihren Schützlingen zu, viele stürzten und mussten ins Pflegeheim, andere starben. Und die, die sie jetzt nach Monaten zum ersten Mal wiedersieht, sind nicht nur klappriger geworden, sondern oft auch wirrer.
Aber so wichtig Kontakte sind, so lebensgefährlich können sie im Moment sein. Das Durchschnittsalter der deutschen Corona-Toten liegt bei 82 Jahren. In Alten Eichen versuchen sie, die Lage mit Wattestäbchen im Griff zu behalten: Seit der Wiedereröffnung wird einmal pro Woche getestet. Morgens ein Abstrich tief hinten im Hals, dann bringt ein Bote die Stäbchen ins Labor. In allen Hamburger Tagespflegen ist das im Moment so. Bisher ist es nur ein Versuch; noch ist nicht klar, ob die Strategie funktioniert. Vor allem jetzt: Der September war sonnig, im Oktober wurde es kälter, das Risiko, sich anzustecken, steigt.
Wächst das dem Verwaltungsapparat über den Kopf? Etwa 2200 Hamburgerinnen und Hamburger besuchen derzeit eine Tagespflege, 18.000 wohnen in stationären Einrichtungen. Als Hamburg am 19. Oktober offiziell Corona-Risikogebiet wurde, hatten die Experten im Institut für Hygiene gerade erst begonnen, ein Konzept für Reihentestungen in den Einrichtungen zu schreiben. Warum so spät? "Zu viele verschleppte Baustellen und ein entsprechend langer Stau", sagt ein Heimleiter, der nicht namentlich genannt werden möchte.
"Pflege geht nicht ohne langwierigen Papierkram", sagt Christian BergmannSchon seit Monaten fordern Wissenschaftler vorsorgliche Tests in Pflegeeinrichtungen. Deren "Gäste", wie die Bewohner genannt werden, sind meist noch gebrechlicher als jene in Alten Eichen. Wer Leben retten will, der muss Ausbrüche hier nicht nachverfolgen, sondern verhindern. Die üblichen PCR-Nachweise können das nicht leisten: Mit allem Drumherum nimmt ihre Auswertung in Hamburg bis zu drei Tage in Anspruch. Technisch gibt es längst eine andere Lösung: Antigenschnelltests, Teststreifen, so einfach wie ein Schwangerschaftstest. Sie könnten infektiöses Personal und ansteckende Besucher schon an der Tür identifizieren.
Den Sommer über war ein seltsames Schauspiel zu beobachten. Während andere Länder die Tests bereits als Zutrittskontrolle für alle möglichen kritischen Situationen zum Einsatz brachten, hörte man in Deutschland vor allem Argumente dagegen. Die Tests seien viel zu ungenau, sagten die Kritiker. Dass das vor allem Ärztevertreter waren, sei kein Zufall, sagt Jonas Schmidt-Chanasit, Virologe am Bernhard-Nocht-Institut. "Es sind ja Ärzte, die die klinischen Labore leiten, in denen man mit den bisher üblichen PCR-Tests im Moment so viel Geld verdient. Antigentests sind ungenauer, aber das kann man bei der Teststrategie ja berücksichtigen." Etwa, indem Virennachweise aus dem Antigentest noch einmal mit der PCR überprüft werden. Erst am 14. Oktober veröffentlichte das Robert Koch-Institut eine neue Teststrategie, in der erstmals Antigentests vorgesehen sind - in Pflegeeinrichtungen werden sie zum vorsorglichen Testen nun ausdrücklich empfohlen. Seit dem 26. Oktober gilt in Hamburg auch die Testpflicht in den Heimen. (...)