Nicola Staender

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Wochen in Angst

Foto: Imago Stock&People

Innerhalb eines Jahres stellt ein 40-jähriger Stuckateur zwei Frauen nach, dringt in ihre Häuser ein, bedroht sie. Sieben Stunden dauert der Prozess gegen ihn. Am Ende wird er wegen Stalkings zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Am Ende darf der 40-jährige Jochen K. (Name geändert) gehen. Er darf als freier Mann nach Hause fahren, in den nördlichen Teil des Landkreises, zurück zu seiner neuen Freundin, zu der er vor kurzem gezogen ist. Straffrei kommt der Mann jedoch nicht davon. Insgesamt 15 000 Euro Schmerzensgeld muss er an zwei Frauen zahlen - eine davon wohnt ebenfalls im nördlichen Landkreis, die andere ist westlich von München zu Hause. Zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt ihn der Richter am Ebersberger Landgericht zusätzlich zur Geldstrafe. Der Richter hält sich damit an die Empfehlung des Staatsanwaltes.

Jochen K. ist Stalker. Innerhalb eines Jahres hat er zwei Frauen nachgestellt, sie bedrängt, genötigt, beleidigt und bedroht, ist mit einem nachgemachten Schlüssel und über den Balkon in ihre Häuser eingedrungen. Eine der beiden Frauen, Nina M. (Name ebenfalls geändert), hat er mit vorgehaltenem Messer und expliziten Worten schwere Körperverletzung angedroht. Es lässt die Zuhörer im Gericht schaudern, zu hören, dass der 40-Jährige die Frau gewürgt und sie unvermittelt grob an Brust und im Genitalbereich angefasst haben soll. Regungslos sitzt der Beschuldigte Jochen K. im Gericht, er zeigt keine Emotionen, nervös wird er nur, als er am Ende der Verhandlung seine Schuld eingestehen soll.

Der ehemalige Stuckateur, seit kurzem Inhaber einer Unternehmergesellschaft – die man auch mit einem Euro Stammkapital gründen darf –, ist bereits massiv vorbestraft. Seine Akte reicht bis ins Jahr 1998 zurück. Demnach hat er sich in der Vergangenheit unter anderem des Hausfriedensbruch, des Diebstahls, der Unterschlagung, des Führens einer Schusswaffe, der Vorbereitung einer schweren Körperverletzung und der Sachbeschädigungen strafbar gemacht. Auch eine weitere Exfreundin hat ihm über eine einstweilige Verfügung den Kontakt verboten – Jochen K. jedoch kam trotzdem wieder in ihre Nähe.

Bewundernswert im Gerichtssaal am Mittwoch: Sarah F.. Von den Vorstrafen ihres Exfreundes und späteren Stalkers wusste die Zeugin nichts, davon hatte er ihr nicht erzählt. Aufrecht sitzt sie vor dem Gericht, als sie ihre Aussage tätigt. Sie wirkt tough, spricht laut und schildert ihre sechswöchige Verfolgung durch Jochen K. objektiv, beinahe abgeklärt. Sarah F. hatte Jochen K. über eine Singlebörse im Internet kennen gelernt. Der Mann, der damals noch in München wohnte, gewann schnell ihr Vertrauen. Beide führten eine normale Beziehung – bis Sarah F., Mutter einer 16-jährigen Tochter, diese beendete.

Jochen K. ließ nicht locker: Er versuchte, seine Exfreundin wiederzugewinnen. Erst mit Geschenken, die er vor ihre Tür legte und über SMS-Nachrichten. "Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts mehr von ihm will, als das nichts half, habe ich seine SMS erst gar nicht mehr beantwortet", sagt Sarah F. Jochen K. beginnt daraufhin ein unberechenbares Spiel. Mal bedroht er Sarah F., lauert ihr auf dem Weg zur ihrer Arbeit in einer Anwaltskanzlei auf. Dann will er von ihr bemitleidet werden, indem er ihr von einem angeblich bei ihm diagnostizierten Hirntumor erzählt. "Da habe ich mich wieder bei ihm gemeldet", sagt Sarah F. Ihre Reaktion zeigt, wie schwierig es für Stalking-Opfer ist, den Stalker gänzlich zu ignorieren: Sie können Nachrichten oft nicht völlig von sich fernhalten, wollen ihrem Stalker helfen, wenn sie glauben, bei ihm eine wirkliche Not zu erkennen.

Nach einem weiteren Kontaktabbruch beginnt Jochen K. mit Telefonterror in der Anwaltskanzlei, in der Sarah F. arbeitet, und schickt eine verleumdende E-Mail an ihren Chef. Wie zur Krönung des Ganzen muss sie eines Abends feststellen, dass Jochen K. in ihr Haus gelangt ist, als sie nicht dort war. Er hat ihren Laptop angemacht und laufen lassen, hat den Gefrierschrank geöffnet. Sarah F. weiß sofort, dass es Jochen K. gewesen sein muss. Er hatte bei seinen früheren Besuchen immer zuerst in ihren Kühlschrank geschaut. Doch wie soll sie das vor Gericht beweisen?

Ein Jahr lang hat Jochen K. zwei Frauen nachgestellt und ist sogar mit einem nachgemachten Schlüssel in ihre Wohnungen eingedrungen.

Nachts kommt Jochen K. wieder in ihr Haus. Sie schläft, als er ihr Handy anmacht und eine SMS an einen ihrer Bekannten schickt. Man will es eigentlich schon gar nicht mehr mit anhören, aber auch an den neuen Freund Sarah F.s schickt Jochen K. diffamierende SMS-Nachrichten, er sucht über das Handy außerdem den Kontakt zu ihrer damals 15-jährigen Tochter. Sarah F. erstattet Anzeige, erwirkt eine einstweilige Verfügung. Jochen K. darf sich ihr nicht mehr nähern.

Sein Macht- und Kontrollspiel ist damit aber nicht beendet. Der Mann sucht sich ein neues Opfer. Nina M., Nebenklägerin, zittert, als sie Jochen K. im Gerichtssaal sieht. Sie hat durch seine Verfolgungsjagd ein Trauma erlitten, muss jetzt mit einer posttraumatischen Belastungsstörung leben. K.s Vorgehen ähnelt seinem Umgang mit Sarah F. Auch die damals von ihrem Mann getrennt lebende Nina M. geht mit ihm eine Beziehung ein. Auch diese scheitert. Nina M. will nichts mehr von Jochen K., doch der lässt sie nicht in Ruhe. Legt ein Buch und ein neues Smartphone vor ihre Tür. Nina M. sucht Hilfe bei ihrem Mann, der ihr rät, Anzeige zu erstatten. Doch Nina M. ist verängstigt, traut sich nicht zur Polizei zu gehen, glaubt, den Stalker damit zu verärgern.

Der kommt wieder, klettert über den Balkon in ihre Wohnung, nötigt und beleidigt sie und würgt sie, als sie immer noch nicht wieder mit ihm zusammen sein will. Auch ihren Schlüssel nimmt er einige Male mit, wenn er ihre Wohnung verlässt – Nina M. traut sich in diesen Momenten kaum mehr vor die Haustür. Irgendwann erstattet die Nebenklägerin doch Anzeige. Und als die Polizei zur Beweismittelabholung zu ihr kommt, ist Jochen K. gerade wieder auf ihrem Balkon. Seine Wohnung wird durchsucht, nichts wird gefunden. Nina M. wolle Drogen von ihm, wirft er ihr vor, er zeigt sie wegen angeblicher Scheinehe an.

Im siebenstündigen Prozess vor dem Ebersberger Amtsgericht am Mittwoch will Nina M. aufgrund ihrer Erlebnisse nichts sagen, zu sehr belastet es sie, mit dem Angeklagten in einem Raum zu sein. Doch Jochen K. fühlt sich benachteiligt durch den Vergleich, den das Gericht erwirkt. Er zeigt keine Reue und gesteht seine Schuld in vielen der Anklagepunkte nicht ein, sieht sich selbst als das Opfer. Deshalb muss Nina M. nun doch noch aussagen – fast jedenfalls. Kurz davor meldet sich Jochen K. zu Wort und gibt alles zu. Ja, er habe sich den Haustürschlüssel von Sarah F. nachmachen lassen. Ja, er wollte den beiden Frauen Angst einjagen. Warum genau? Das wüsste er nicht mehr.

Der Richter nimmt dem Angeklagten seine Reue nicht wirklich ab. Doch weil für den verschuldeten Unternehmer, der einen Selbstmordversuch hinter sich hat und in Therapie ist, 15 000 Euro sehr viel Geld sind, setzt er die zweijährige Haftstrafe auf Bewährung aus. "Der klassische Stalker" sei der Angeklagte, sagt der Richter, schuldig der Nachstellung, Beleidigung, des Hausfriedensbruchs, der vorsätzlichen Körperverletzung, Nötigung und des Verstoßes gegen das Geräuschschutzgesetz. Sarah F. bekommt 5 000 Euro, Nina K., die er gewürgt hat, 10 000 Euro.

"Mir wäre es lieber gewesen, ihn hinter Gittern zu sehen", sagt Sarah F. zum Urteil. "Aber jetzt will ich mich einfach nie wieder mit diesem Thema auseinandersetzen müssen." Ihre Freundin, die als Unterstützerin mitgekommen ist, nickt.

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