Panorama „Maybrit Illner"
Darum vertrauen die Wähler den Volksparteien so wenigBei Maybrit Illner widerspricht sich Annegret Kramp-Karrenbauer in entscheidenden Fragen. Olaf Scholz sieht viele Lücken in der SPD. Und der Historiker Andreas Wirsching hat eine Idee, woran das liegen könnte.
Wie steht es um die klassischen Volksparteien in Deutschland? Bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen erhielten sie die meisten Stimmen - die CDU in Sachsen, die SPD in Brandenburg. Doch gleichzeitig fuhren beide ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl ein.
Die AfD konnte in Brandenburg ihren Stimmenanteil verdoppeln, in Sachsen sogar fast verdreifachen und ist damit in beiden Bundesländern zweitstärkste Kraft. Auch auf Bundesebene schafft es die AfD, stärker noch die Grünen, Wähler für sich zu gewinnen. Liegt das nur noch an Protest oder gehen den Volksparteien langsam die Ideen aus? Kann man CDU und SPD überhaupt noch als Volksparteien bezeichnen?
Darüber diskutierte Maybrit Illner am Donnerstagsabend mit der CDU-Bundesvorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer, und dem SPD-Vize Olaf Scholz. WELT-Chefredakteurin Dagmar Rosenfeld, „Spiegel"-Journalist Markus Feldenkirchen sowie der Historiker Andreas Wirsching waren ebenso Gast im Polit-Talk.
Das klügste ZitatAuch wenn der Historiker Andreas Wirsching verhältnismäßig wenig zu Wort kommt, liefert er einen wichtigen Punkt im Hinblick auf die Bundesrepublik: „Es gibt offenkundig eine Krise der Repräsentation." Das Vertrauen, so meint er, schwinde deshalb in Politiker, weil sie nicht mehr das tun, für das sie gewählt wurden. Nämlich zu handeln, anstatt vor jeder Entscheidung erneut zu überlegen, ob diese Entscheidung Wählerstimmen sichert oder nicht.
Damit liegt er ziemlich richtig. Wer in einer repräsentativen Demokratie einen Politiker wählt, der kann und muss sich darauf verlassen, dass er für seine Wähler auch unpopuläre Entscheidungen trifft. Wenn der Politiker sich allerdings vor jeder Entscheidung beim Wähler „rückversichert", so nennt es Wirsching, geht es in der Politik nicht voran.
Im Gegenteil: Auf der einen Seite verliert der Wähler irgendwann das Vertrauen, andererseits macht es den Politiker „handlungsunfähig".
Der direkteste Vorwurf des AbendsÄhnlich sieht es auch Dagmar Rosenfeld, WELT. „Frau Kramp-Karrenbauer, Sie haben ein Kommunikationsproblem", warf sie der CDU-Vorsitzenden vor. Grund war, dass Kramp-Karrenbauer von ihrer ursprünglichen Position abwich, als sie Verteidigungsministerin wurde. Sie sagte damals, sie wolle bewusst kein Staatsamt zusätzlich zu ihrem Parteiamt ausüben.
Rosenfeld vergleicht sie deshalb mit Olaf Scholz. Er hatte noch im Juni gesagt, er werde nicht als Parteivorsitzender kandidieren, da er dies zeitlich nicht mit seinem Amt als Finanzminister vereinbaren könnte. Auch er änderte seine Position um 180 Grad. Rosenfeld liefert hier an den beiden Politikern ein Beispiel dafür, was Andreas Wirsching meinte: Das Verwerfen von entscheidenden Positionen nervt den Wähler.
Der größte Widerspruch des AbendsWenig später gibt Maybrit Illner Kramp-Karrenbauer die Chance, sich in einem Gedankenspiel zu verwirklichen: Welche drei Dinge würde sie sofort ändern, wenn sie mit der CDU die absolute Mehrheit im Bundestag hätte?
Die CDU-Vorsitzende antwortet mit Entbürokratisierung, einem stärkeren Rechtsstaat und mehr Investitionen in Digitalisierung und Bildung. Und widerspricht sich damit total. Drei Punkte, die nichts mit den drei Themen zu tun haben, welche sie kurz vorher nennt. Denn als es darum geht, was gerade die CDU am meisten beschäftigt, nennt Kramp-Karrenbauer den Mangel an Geschlossenheit, Klimaschutz und Migration.
Warum tut sie das? Eigentlich sollte man meinen, dass ihr als Parteivorsitzende die Themen am wichtigsten sind, die ihre Partei momentan nicht geeint auftreten lassen. Sie erkennt zwar die Probleme in der Partei. Dennoch möchte sie sich lieber der Entbürokratisierung und Co. widmen.
Ob dies von Illner beabsichtigt war, lässt sich natürlich nicht nachprüfen. Dennoch hat sie es geschafft, dass Kramp-Karrenbauer innerhalb der Sendung eine völlige Kehrtwende gemacht hat.
Das älteste Argument des AbendsSo richtig schafft es auch Olaf Scholz nicht, den Zuschauer auf seine Seite zu ziehen. Bei der Frage, wo er die größten Lücken in der SPD sieht, antwortet er: „Ich glaube, dass es da viele Dinge gibt, die man nennen könnte." Wenn er zum SPD-Vorsitzenden gewählt werden möchte, dann ist dieser Satz nicht gerade förderlich.
Für den schlechten Zustand der Sozialdemokratie macht er das Erstarken der Rechtspopulisten in ganz Europa verantwortlich. Grund, meint er, sei die Unsicherheit der Menschen durch eine immer schneller werdende Welt. Damit schließt er sich einem Argument an, dass es schon mindestens seit dem Beginn der Industrialisierung um 19. Jahrhundert gibt - wenn nicht sogar länger.
Durch ständige Neuerungen und Technisierung fühlt sich der Mensch seinem gewohnten Umfeld entrissen. Er hat Angst, und das beflügelt extreme Parteien. Das Argument ist nicht falsch, aber es hilft nicht weiter. Oder anders gesagt: Es hilft nicht weiter, wenn man darauf keine konkrete Lösung hat. Und auch wenn Scholz sagt, dass es die „Pflicht ist, darauf eine Antwort zu geben", gelingt ihm genau das an diesem Abend nicht.