Nhi Le

Speakerin, Moderatorin und freie Journalistin, Leipzig

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Rassismus: Ich.bin.kein.Virus.

Seit Corona hat der Rassismus gegen asiatische Menschen zugenommen. Unsere Autorin traut sich nicht mehr, in der Öffentlichkeit zu husten, und ist wütend.

Vor ein paar Wochen war ich mit dem Zug unterwegs. Als ich an meinem Ziel ankam, stellte ich mich an die Tür, um auszusteigen. Zwei Männer beäugten mich. Ich wusste schon, was folgen würde. "Da kommt Corona, schnell aussteigen", sagte der eine zum anderen. Ich habe nichts erwidert, stand einfach verärgert da. Es ist untypisch, dass ich mich bei Ungerechtigkeiten nicht wehre, doch in dem Moment fühlte ich mich einfach erschöpft. Ich hatte keine Kraft, diesen rassistischen Aussagen Paroli zu bieten. So geht es mir seit Anfang Februar.

Nhi Le

ist freie Journalistin, Speakerin und Moderatorin. Ihre Schwerpunkte sind Feminismus und Medienkultur. 2019 wurde sie von Zeit im Osten als eine der wichtigsten jungen Ostdeutschen bezeichnet.

Seit Beginn der Epidemie vor zwei Monaten schlägt asiatischen und asiatisch-aussehenden Menschen jeden Tag entgegen. So viel, dass sie sich gezwungen sehen, zu betonen, kein Virus zu sein (#IchBinKeinVirus). Mit dem Anstieg der Infizierten nahmen auch die Ausgrenzungen und Übergriffe zu. Letzten Monat verwehrte eine Musikhochschule allen chinesische Bewerbern die Aufnahmeprüfung mit der Unterstellung, sie könnten alle angesteckt sein. Vor zwei Wochen besprühte ein Mann in München seine chinesische Nachbarin mit Desinfektionsmittel und drohte, ihr den Kopf abzuschneiden. Bis heute bekomme ich fast täglich Nachrichten, in denen mir Menschen von Anfeindungen gegen sich und ihre Familien erzählen. Ich frage mich: Wo soll das alles hinführen?

So lautet die vermeintliche Logik: alle Asiatinnen = Chinesen = Corona-Kranke. Eine weiße Person, die vielleicht sogar in Ischgl Urlaub gemacht hat und somit viel eher Überträger sein könnte, würde nie so angefeindet werden wie ein beliebiger asiatischer Mensch.

Rassismus, auch anti-asiatischer Rassismus, ist nichts Neues. Typische Ressentiments treten dabei besonders hervor. Da heißt es, dass Asiaten sowieso dreckig oder sogar unzivilisiert seien. Manche machen gleich einen Zeitsprung und glauben an das koloniale Narrativ der "gelben Gefahr", das dazu diente, Ängste vor Chinesen zu schüren. Das Vorurteil wurde von einem französischen Soziologen geprägt. Man hatte vor allem Angst um die westliche Vormachtstellung, weshalb man das Bild einer wilden chinesischen Horde, die in Europa einfallen würde, erfand. Andere machen auf heute-show und werfen einfach mit plump abwertenden Witzen à la "Kung Flu" um sich, einer Wortkombination aus Kung Fu und Flu, dem englischen Wort für Grippe.

Die Angst davor, ständig als Virusbringerin bezichtigt zu werden, frisst so viel Platz in meinem Kopf.

Wer über Rassismus spricht, hört häufig als Antwort: "Die Leute haben eben einfach Angst vor Ansteckung". So eine Reaktion ist als Betroffene immer schmerzhaft, weil andere einem die eigene Erfahrung absprechen wollen.

Die Angst davor, ständig als Virusbringerin bezichtigt zu werden, frisst so viel Platz in meinem Kopf. Sie lähmt mich im Alltag und lässt Selbstverständlichkeiten zur Risikosituation werden. Ich bin Asthmatikerin, huste also viel. Wann immer ich in der Öffentlichkeit unter Menschen bin, versuche ich, mein Husten zu unterdrücken.

Vor einiger Zeit musste ich zum Arzt. Ich rief vorher in der Praxis an, um mein Anliegen zu erklären und zu betonen, dass ich weder mit Infizierten Kontakt hatte noch in Risikogebieten war. Es erschien mir nötig, da ich Berichte von Asiaten gelesen hatte, die erzählten, wie ihnen Behandlungen verwehrt und sie nach Hause geschickt wurden.

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