Philipp SchildFoto: funk / Marcus Bauer
Seit mehr als drei Jahren produzieren die öffentlich-rechtlichen Sender mit funk Beiträge für soziale Netzwerke wie YouTube und Instagram. Programmchef Philipp Schild erklärt die Rolle in der angedachten ARD-ZDF-Mediathek, wie funk junge Leute bei der Stange hält und wieso Ex-AfD-Politikerin Franziska Schreiber bei funk mitwirkt.
Von Nathanael HäfnerPhilipp Schild verantwortet einen Etat von 30 Millionen Euro, die die ARD in Inhalte von funk steckt. Das junge Angebot ist der Versuch der Öffentlich-Rechtlichen, junge Leute besser zu erreichen. Dafür bespielt funk bewusst YouTube und andere Social-Media-Plattformen. In den über drei Jahren machte funk mit Dokus von Teams wie „Y-Kollektiv" oder „STRG+F" auf sich aufmerksam, zuletzt holte man die Ex-AfD-Politikerin Franziska Schreiber mit ins Boot. Was es damit auf sich hat und wie es bei funk weitergeht, erklärt Schild im Interview.
Herr Schild, funk richtet sich an 14- bis 29-Jährige - die sogenannte "FOMO"-Generation ("Fear of missing out"), die nichts verpassen will und eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne hat. Wie hält man sie bei der Stange Philipp Schild: Die Fragestellung ist für uns immer: Was ist eine gute Videodramaturgie für eine Plattform? Das unterscheidet sich. Grundsätzlich braucht man einen starken Einstieg, eine filmtreibende Frage, eine klare These. Das muss grundsätzlich schnell verständlich werden.
Wo ist der "Thumb Stopper"?Haben Sie ein konkretes Beispiel? Nehmen wir zum Beispiel unser Format "Deutschland3000": die filmtreibende Frage ist immer in den ersten Sekunden als Überschrift im Video integriert. Das ist für uns der "Thumb Stopper" - innerhalb von einer Sekunde wird verständlich, worum es geht, der Daumen der Nutzer und Nutzerinnen soll stoppen, weil Interesse geweckt wurde. Wenn die dramaturgischen Grundregeln beachtet werden, können die Zuschauer und Zuschauerinnen anschließend tiefer eingeführt werden. Interessanterweise unterscheiden diese sich gar nicht großartig von dramaturgischen Prinzipien aus dem Film. Im Netz muss nur schneller erzählt werden.
Woran zeigt sich das beispielsweise? Ich weiß, dass einige Zuschauer und Zuschauerinnen unsere Angebote mit 1,5-facher Abspielgeschwindigkeit nutzen. Ich mache das inzwischen auch und habe mich quasi an die Aufmerksamkeitsspanne der Zielgruppe angepasst. Ich weiß nicht, ob das für einen 43-jährigen Mann gesund ist. (lacht)
Seit 1.Oktober 2016 ist funk das junge Angebot von ARD und ZDF. Es finanziert sich mit 30 Millionen Euro von der ARD und 15 Millionen Euro vom ZDF, federführend agiert der SWR. Funk richtet sich an 14- bis 29-Jährige und bietet mittlerweile über 70 Formate auf YouTube, Instagram, Facebook und Snapchat. Die Formate gliedern sich in die Bereiche Unterhaltung, Orientierung oder Information. Aufgrund der öffentlich-rechtlichen Werberechtlinie müssen alle funk-Inhalte werbefrei sein.
Funk finanziert unter anderem Youtube-Riesen wie den Infokanal MrWissen2Go, den Bastler und Musiker Fynn Kliemann oder die Rocket Beans (ehemalig Game One, MTV/VIVA). Weshalb brauchen diese Kanäle mit Millionen Abonnenten öffentlich-rechtliches Geld? Fynn Kliemann sagt ja selbst, ihn würde es auch ohne funk geben - nur sähe das anders aus. Seine Videos würden viel Werbung beinhalten. "Game One" gibt es ja auch nicht mehr, weil es sich nicht durch Werbung finanzieren ließ, hier lag also Marktversagen vor und ohne uns würde es „Game Two" kaum geben. Auch bei Kanälen, die durchaus kontroverse Inhalte behandeln, wie zum Beispiel "MrWissen2Go" oder "Walulis", lassen sich diese schlecht werbefinanzieren, weil sie sich unter anderem mit dem Darknet, fragwürdigen Vergleichsportalen oder YouTubern befassen und Werbekunden in so einem Umfeld keine Werbung wollen. Gerade darin liegt aber auch unser Auftrag: Wir können so kritisch sein, weil wir nicht von Werbung abhängen. In der Hinsicht sind wir ein guter Partner.
funk als Coaching-PartnerKönnten Sie sich langfristig vorstellen, alle funk-Inhalte in ein solches "öffentlich-rechtliches Netflix" hochzuladen? Momentan bewegen Sie sich mit funk auf amerikanischen Drittplattformen ohne die komplette Datenhoheit. So stärken die Gebührenzahler indirekt Plattformen wie YouTube, Instagram oder Facebook. Klar können wir uns das vorstellen, unsere Strategie ist aber auch, unsere Angebote dort anzubieten, wo sich unsere Zielgruppe bewegt. Solange also diese Drittplattformen in unserer Zielgruppe so gut genutzt werden, werden wir sie auch bespielen. Das sieht unsere Beauftragung auch so vor. Was funk auf die Plattformen hochlädt, ist übrigens ein verschwindend geringer Anteil von deren Angebot und darf zudem nicht mit Werbung ausgespielt werden. Die Plattformen verdienen also an unseren Inhalten nicht.
Bei seichter TV-Unterhaltung à la "Traumschiff" oder vielen Talkshows wirkt sich der Quotendruck spürbar auf ARD/ZDF aus. Gibt es das auch online? Sich Ziele zu setzen und möglichst viele Menschen zu erreichen, halte ich grundsätzlich für richtig. Aber wir können uns erlauben, Themen zu setzen, von denen wir wissen, dass sie nicht so reichweitenstark sind. Das müssen wir nur von Anfang an in unseren Zielen bedenken.
Ein Auftrag gilt zunächst für sechs MonateMit welchem Format ist das zuletzt gut gegangen? Das Instagram-Format "OZON", bei dem wir zeigen, wie Umweltschutz im normalen Alltag aussehen kann. Da hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass das Thema in unserer Zielgruppe gerade vibriert, das haben auch unsere Analysen schon lange im Vorfeld der Fridays For Future-Bewegung gezeigt. Wir sind dann genau zum richtigen Zeitpunkt mit dem Format sehr erfolgreich gestartet, gerade für Instagram-Verhältnisse, wo der Reichweitenaufbau generell schwieriger für uns ist.
In den vergangenen Jahren hatte man das Gefühl, Snapchat sei tot - nun setzt funk verstärkt darauf. Warum? Seit dem letzten Jahr boomt Snapchat bei uns. Wir haben gesehen, dass unsere Informationsformate bei unter 20-Jährigen noch nicht so gut ankommen. Starke Marken wie das "Y-Kollektiv", "STRG_F", "reporter" oder "follow me.reports" schauen überwiegend über 20-Jährige. Daher haben wir versucht nachzulegen und bei Snapchat ein jüngeres Publikum vermutet. Dort benutzen wir die Funktion Snapchat Shows zum Beispiel mit dem Format "reporter". Wir erzählen die Themen quasi nochmal dezidiert für Snapchat kürzer nach - das funktioniert gut und wir erreichen mit denselben Inhalten nochmal eine andere Zielgruppe als bei YouTube.
Ex-AfD-Politikerin Schreiber bei funkEine andere Zielgruppe dürften Sie auch mit der Ex-AfD-Politikerin Franziska Schreiber erreichen. Sie war die rechte Hand Frauke Petrys in der Frühzeit der AfD, trat aus und schrieb ein Buch über ihre Zeit in der Partei. Warum ist sie zu funk gegangen? Wir wollen Meinungspluralität gewährleisten. Daher fragen wir uns immer, welche Positionen bei uns noch nicht vertreten sind. Bei einer Hintergrundrecherche sind wir auf Franziska gestoßen, haben sie kontaktiert und hatten das Gefühl, dass das eine spannende Person ist. In der heutigen Zeit erleben wir besonders online eine immer stärkere Polarisierung und Zuspitzung - man unterhält sich immer weniger mit Menschen, die andere Positionen vertreten. Dank Franziska erreichen wir andere Leute als bisher. Unser Anspruch ist es, einen Weg finden, wie wir im Netz wieder mehr miteinander reden - oder wenigstens mal zuhören.
Einige vermuten dahinter auch eine bewusste Provokation; es war absehbar, dass sich die Leute über ihr funk-Engagement aufregen werden. Tatsächlich war es das gar nicht. Wir haben mit Vielen damals Gespräche geführt, doch die meisten haben wir als zu unreflektiert wahrgenommen - das konnten wir nicht vertreten. Franziska ist anders. Wir wollten nicht krass konfrontieren, sondern konnten es uns gut bei ihr vorstellen. Sie war in der AfD, ist aber ausgetreten und hat diese Entscheidung bewusst getroffen. Es ist auch legitim, Zweifel zu haben - vollkommen in Ordnung. Aber wir als funk sollten nicht ängstlich sein.
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