Nathanael Häfner

Finanzredakteur ZEIT ONLINE, Berlin

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FairTube: Wie YouTuber um ihre Zukunft kämpfen - DER SPIEGEL - Netzwelt

Einen Tag vor Fristende meldete sich Google Ende August schließlich. Die Initiative FairTube hatte zuvor mit rechtlichen Schritten gegenüber der Google-Tochter YouTube gedroht. Ihre Vorwürfe: Bestimmte Kanäle würden auf der Videoplattform benachteiligt - und möglicherweise verstoße der YouTube-Algorithmus gegen die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Zudem fördere das Geschäftsmodell der Plattform angeblich Scheinselbstständigkeit bei den Videomachern.

Nun will sich YouTube mit den Aktivisten und Gewerkschaftsvertretern zusammensetzen - die Gespräche könnten wegweisend sein.

Dass sich Videokünstler und Gewerkschaften neuerdings gegen den Internetriesen stellen, liegt unter anderem am 54-jährigen Jörg Sprave. Auf seinem YouTube-Kanal zeigt er allerhand Steinschleudern, in mitunter kuriosen Videos. Trotz 2,2 Millionen Abonnenten kann er allerdings nicht mehr von den Werbeeinnahmen des Kanals leben, wie es früher einmal war. Denn 2018 änderte YouTube seine Richtlinien, weil Firmen mit ihrer Werbung nicht mehr in Videos etwa mit Gewaltinhalten oder religiösen Fanatikern auftauchen wollten. Seitdem können Werbekunden anhand von 2500 Kriterien bestimmen, in welchem Umfeld sie erscheinen möchten.

In der Konsequenz brachen die Einnahmen zahlreicher YouTuber ein, "bei einigen zu 100 Prozent", sagt Sprave. Er wollte sich zur Wehr setzen und gründete die YouTubers Union (YTU). Dabei handelt es sich nicht um eine Gewerkschaft, sondern nur um eine Facebook-Gruppe. Darüber versammelt Sprave inzwischen 24.000 Mitglieder aus aller Welt, er sieht YTU als eine Bewegung. Sein Kanal "The Slingshot Channel" dient ihm dabei als Sprachrohr.

Zunächst hatte er - trotz medialer Aufmerksamkeit - keinen Erfolg. Er reiste nach Zürich zu Googles Europasitz, erreichte bei den Verantwortlichen allerdings nichts. Dem Steinschleuderbastler fehlte die Schlagkraft - und ein Team. Das änderte sich diesen Sommer. Gemeinsam mit der IG Metall gründete er das Projekt FairTube. Die Macher prangerten YouTubes Praktiken an und stellten dem Konzern eine Frist bis Ende August. "Das ist schon ein kleines Erdbeben", sagt Sprave. Ohne die IG Metall hätte YouTube wohl nicht reagiert.

Die Forderungen: FairTube will wissen, wie Videos in bestimmte Kategorien einsortiert werden. Ordnet ein Bot Videos einem werbeunfreundlichen Umfeld zu - Spraves Steinschleudern etwa der Kategorie "Waffen"-, so verringern sich die Einnahmen deutlich. Auch sperre YouTube zuweilen Kanäle ohne nachvollziehbaren Grund, klagt FairTube. Um derlei Konflikte zu klären, fordert die Initiative menschliche Ansprechpartner und Beteiligung, etwa durch einen Beirat.

YouTuber fordern mehr Einsicht

Der Videoriese betreut zumeist nur die größten Kanäle persönlich, für die als Partner ein eigener E-Mail-Draht zu YouTube besteht. Ansonsten rühmt sich das Unternehmen seiner Treffen, bei denen sich YouTuber austauschen könnten. Wirklich betreut werden allerdings selbst Kanäle mit Hunderttausenden Abonnenten offenbar kaum.

FairTube verlangt außerdem mehr Transparenz. YouTuber sollen Einsicht haben, warum Videos in einer bestimmten Weise vermarktet werden. Aktuell, so meinen die Aktivisten, verstoße YouTube gegen die DSGVO, nach der Nutzer Übersicht darüber bekommen können, welche personenbezogenen Daten Unternehmen über sie speichern. Den Aktivisten zufolge lasse YouTube offen, inwiefern der Algorithmus möglicherweise auch die personenbezogenen Daten verarbeitet. Aufgrund dieser Daten würde YouTube monetarisieren und empfehlen - ohne Nachvollziehbarkeit für die Ersteller.

Vorwurf einer möglichen Scheinselbstständigkeit

So könnte FairTube auch Grundsätzliches anstoßen - welche Rechte haben Nutzer in Bezug auf Algorithmen? Julia Krüger schreibt für Netzpolitik.org und setzt Hoffnungen in die Gespräche. "Die DSGVO war ein großer Schritt", sagt sie. Allerdings beziehe sich die DSGVO nur auf automatisierte Entscheidungen mit rechtlicher Wirkung - darunter fallen jedoch keine Empfehlungssysteme.

Ob die Kategorisierungen und Empfehlungen von YouTube unter die DSGVO fallen, sei also offen. "Das sollte jetzt geklärt und das Recht ergänzt werden", sagt Krüger. In jedem Fall würde sie es begrüßen, wenn nicht nur hauptberufliche Videoproduzenten, sondern alle Internetnutzer von einer breiter angewandten DSGVO profitieren würden, die auch empfehlungsbasierte Algorithmen abdecke.

Ebenfalls zur Debatte steht, ob den Videomachern auch in anderer Hinsicht mehr Rechte zustehen könnten. Derzeit arbeiten sie selbstständig, der Arbeitsrechtler Thomas Klebe sagte Netzpolitik.org aber, dass YouTuber womöglich als Scheinselbstständige gelten, also in besonderem Maße von der Plattform als Vertragspartner abhängig sein könnten. "Zum Beispiel arbeiten sie als Partner nach genauen Regeln und Weisungen von YouTube. Sie werden ständig gerated und in ihrer Arbeit kontrolliert. Und schließlich erfolgt die gesamte Akquise, die Kundenverwaltung, die Werbung über YouTube und nicht über den YouTuber."

"Für alle Beschäftigten gute Arbeit durchsetzen"

"Weird", also merkwürdig, finden diese Ansicht die YouTuber David Hain und Robin Blase. In ihrem Podcast "Lästerschwestern" argumentierten sie, dass die meisten Videomacher auch noch Merchandise und andere Standbeine neben YouTube hätten. Zudem zwinge die Firma niemanden, um neun Uhr an einer Arbeitsstätte zu sein - vielmehr gälten nur die "Hausregeln".

Doch gerade diese Arbeitswelt wandelt sich mit der Plattformökonomie, offenbar auch deswegen beteiligt sich die IG Metall. Für die Gewerkschaften dürfte es in Zeiten moderner Jobs immer wichtiger werden, auch atypische Beschäftigte zu erreichen und zu schützen. Keine leichte Aufgabe, "viele Gewerkschaften tun sich noch schwer", sagt Jörg Sprave.

"Mit der neuen Arbeitswelt entwickelt sich auch die IG Metall, um für alle Beschäftigten gute Arbeit durchzusetzen", sagt die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, dem SPIEGEL. Klar zwischen Arbeitnehmern und Unternehmen zu unterscheiden, falle bei Solo-Selbstständigen, die von zu Hause arbeiten, schwer. Auch Plattformen wie YouTube tragen ihren Teil dazu bei. "In der Plattformökonomie hat sich das Machtgefüge zugunsten der Internetkonzerne verschoben, die ihre eigenen Regeln definieren", sagt Benner weiter. Gesetzlich bedürfe es daher neuer Regelungen.

Was ist nun die Strategie für die Gespräche mit YouTube, den "ersten Erfolg", wie Christiane Benner sagt? Jörg Sprave zeigt sich kompromissbereit. Transparenz, wie genau YouTube Videos empfiehlt und vermarktet, sei jedoch nicht verhandelbar. "Diese Änderungen wirken sich direkt auf den Lebensunterhalt vieler aus." Im Zweifel verließen die Künstler YouTube, schließlich gebe es genug alternative Plattformen für Videos und Streaming: etwa Mixer von Microsoft oder Amazons Twitch.

Falls Google den Videomachern nicht entgegenkommt, will FairTube weiter Druck machen und vor Gericht ziehen. Dort sollen einerseits der Vorwurf der DSGVO-Verstöße, andererseits die mögliche Scheinselbstständigkeit einiger YouTuber geprüft werden. Abgesehen davon plant die IG Metall öffentlichkeitswirksame Aktionen mit der YouTubers Union.

Ein Sprecher von YouTube sagt zu den Vorwürfen: "Anders als es in den Veröffentlichungen von FairTube dargestellt wird, sind YouTube Creator aus rechtlicher Sicht keine Angestellten von YouTube. Wir haben gegenüber den Gewerkschaften sehr detailliert beschrieben, wie YouTube die Creator transparent informiert und unterstützt."

Am 22. Oktober werden dann Vertreter von FairTube sowie DGB und Ver.di mit Google in Berlin sprechen. "Wir haben aber auch klargemacht, dass wir nicht in formale Verhandlungen eintreten werden", sagt der YouTube-Sprecher. Eine Gewerkschaft ist FairTube schließlich nicht. Ob die Kampagne aber den Weg in diese Richtung bereitet, wird sich in den kommenden Wochen zeigen.

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