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Wie die polnische Demokratie langsam zerfällt

Jedes Mal, wenn ich meine Familie in Warschau besuche, ist es mir unangenehm. Nicht, weil ich meine Verwandten nicht sehen möchte, sondern weil ich die Stimmung in Polen immer unangenehmer finde. Das Land rückt seitdem die PiS-Partei in der Regierung ist, politisch und gesellschaftlich immer weiter ins Mittelalter.  Das bemerkte auch ich, als ich mit meiner Mama am hellichten Tag im Bus saß und mitbekam, wie ein Mann zwei schwarze Mädchen als “Scheißhaufen” beschimpfte.


Ob Abtreibungsverbot, Kriminalisierung von Sexualkunde in der Schule, oder Hass auf Homosexuelle und Flüchtlinge - die populistisch-christlich-konservative Regierungspartei PiS fällt schon seit Beginn ihrer ersten Amtszeit mit Aktionen auf, bei denen ich mich einfach nur frage, was mit der Welt - oder mit meinem Heimatland - gerade schiefläuft. Letzten Samstag versammelten sich Richter*innen und Anwält*innen aus über zwanzig EU-Ländern in mehreren polnischen Städten, um gegen die geplante Justizreform zu demonstrieren. Die polnische Regierung verabschiedete im Dezember letzten Jahres ein Gesetz, das ein Disziplinarverfahren gegen Richter*innen einführt: Freie Meinungsäußerung, insbesondere regimekritisch soll im Gerichtssaal bald strengstens verboten werden. Solltest du als polnische*r Richter*in, Entscheidungen deiner Kolleg*innen oder eines Gerichts infrage stellen, kannst du mit heftigen Konsequenzen wie Geldstrafen oder einer Entlassung rechnen. 


“Dieser absurde Gesetzesvorschlag trifft nicht nur polnische Richter*innen, sondern auch die einfachen Leute in Polen, die einen fairen Prozess verdienen. Egal, ob du in einem Autounfall verwickelt worden bist, dich scheiden lässt oder falsch geparkt hast, du bist dann genauso betroffen.”, so Draginja Nadaždin, Geschäftsführerin von Amnesty Polen.  Sie erzählt mir bei einem Telefoninterview von der aktuellen  problematischen politischen Lage im Land.

 

Morawieckis "Kampf" gegen Korruption

 

Jeder Mensch hat das Recht auf einen fairen Prozess, jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Das besagen auch die Menschenrechte, die Polen genauso wie Österreich einzuhalten hat. Neben diesem Verstoß, möchte die Regierung außerdem die Judikative “entlasten” und dem Justizminister, Zbigniew Ziobro die totale Kontrolle überlassen. “Dieser kann Richter*innen dann wie er will beseitigen.”, erzählt mir die Geschäftsführerin von Amnesty Polen. 

Dass die polnische Regierung sich beim “Beseitigen von Richter*innen” für nichts zu schade ist, sah man schon am verabschiedeten Gesetz im April 2018. Dieses Gesetz setzte das Pensionsalter für Höchstrichter*innen und Staatsanwält*innen von 70 Jahren bei Männern auf 65 Jahre, bei Frauen auf 60 Jahre und zwang ein Drittel in den Ruhestand. 

Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki rechtfertigt das neu beschlossene Gesetz in einem Interview mit “Die Welt” damit, dass der Staat mit dieser Regelung der Korruption den Kampf ansagen möchte. "Ich sehe nicht, wie dieses Gesetz helfen soll, Korruption zu bekämpfen, wenn Richter*innen ihre Meinungsfreiheit entzogen wird. Die Schwächung der Unabhängigkeit der Richter*innen in Polen wurde von einem UN-Sonderberichterstatter, dem Menschenrechtskommissar des Europarates und einer Anti-Korruptionsgruppe kritisiert.", so Draginja Nadaždin dazu.

Dass diese Vorhaben (wie viele andere Vorhaben der PiS-Partei auch) auf unendlich vielen Ebenen unmenschlich und undemokratisch sind, sehe nicht nur ich so. Vergangenen Samstag versammelten sich Tausende Richter*innen und Anwält*innen mit Unterstützung ihrer ausländischen Kolleg*innen und marschierten schweigend am “Marsch der Roben” in Dienstgewand durch Warschau. Auch Richter*innen in zahlreichen anderen Städten Polens beteiligten in ihrem Richtergewand. Trotz Drohungen von Politiker*innen, Hasskampagnen auf Social Media und im vom Staat kontrollierten öffentlich rechtlichen Fernsehen. 

 

Support your local judge!

 

“Man sollte Richter*innen vor allem das Gefühl geben, dass sie nicht alleine gelassen werden.”, meint Nadaždin.

Solidarität wie gerade in Polen ist sehr wichtig, doch in der österreichischen Medienlandschaft kaum zu finden. Während im nicht einmal Fünfhundert Kilometer entfernten Land, die Demokratie den Bach untergeht, wissen die meisten Österreicher*innen nicht einmal davon. Dass über den möglichen Untergang des polnischen Rechtsstaates fast niemand berichtet,  habe ich spätestens während meiner Recherche für diesen Artikel herausgefunden. Genau das versuche ich gerade zu ändern, um zumindest einer/m betroffenen/r Richter*in das Gefühl zu geben, dass er/sie nicht alleine ist. 

Nadaždin beendet unser Telefonat: “Egal, ob es eine kurze Nachricht, ein Brief, ein Event oder eine Petition ist. Jedes Zeichen zählt und hilft. Vor allem den Betroffenen, damit sie verstehen, wie  gut und wichtig es ist, dass sie sich für ihre Rechte einsetzen.”

Das sehe ich auch so und hoffe, dass sich die Lage in Polen bald wieder verbessert. Damit sich meine Heimat wieder wie zuhause anfühlt.

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