Die Kirschessigfliege ist erst seit wenigen Jahren in Deutschland. Doch sie vermehrt sich rasant: 400 Eier legt der Schädling pro Tag. Zum Leidwesen von Winzern und Obstbauern.
Sie ist nur ein Winzling, doch sie ist gefährlich. Die Rede ist von der Kirschessigfliege. Wäre sie doch in Japan geblieben, wo sie herkommt, denken zunehmend viele Obstbauern und Winzer. Doch der Schädling ist in Europa und bringt die Betroffenen an den Rand der Verzweiflung. Die drei Millimeter große asiatische Fruchtfliege mit den roten Augen und dem braunen Körper hat in den vergangenen drei Jahren enormen Schaden angerichtet. Die Obstbauern haben schon jetzt Angst davor, was passiert, wenn sich die ersten Früchte zeigen.
Rotes Obst liebt sie besonders
Im Jahr 2011 wiesen Forscher Drosophila suzukii erstmals in Deutschland nach. Es handele sich um eine für den Obstbau sehr gefährliche Essigfliege, hieß es damals in der Fachzeitschrift Entomologische Nachrichten und Berichte. Das ist jetzt vier Jahre her – mittlerweile dürfte die Fliege als Schädling Nummer 1 im Obstbau gelten. In Europa trat sie erstmals im Jahr 2008 auf: in einem Waldgebiet in Katalonien. Ein Jahr später wurde sie in Italien gesichtet. Nun ist sie in Deutschland.
Egal ob Kirschen, Erdbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Johannisbeeren oder Weintrauben – der Schädling mag beinahe jedes Obst.Weil sie so viele Wirtspflanzen hat, ist die Fliege schwierig zu bekämpfen. Hält man sie von den Kirschen fern, fliegt sie eben zu den Himbeeren. Rotes weichschaliges Obst liebt sie besonders. In dieses legt die Kirschessigfliege ihre Eier.
Während die heimische Fruchtfliege Obst auswählt, das bereits Risse hat, platziert die Kirschessigfliege aus Japan ihren Nachwuchs in intakte Trauben und Beeren. Das Weibchen ritzt mit zwei sägezahnartigen Auswüchsen seines Legeapparats einen Schnitt in die Frucht. Dahinein legt der Schädling seine Eier. Die Larven der Kirschessigfliege ernähren sich anschließend vom Fruchtfleisch, das rasch beginnt, rund um die Fraßstellen zu faulen. Weiche Dellen entstehen. Nach wenigen Tagen ist die Frucht zersetzt.
Hält man sie von Kirschen fern,
fliegt sie eben zu den Himbeeren
Gefährlich ist die
Kirschessigfliege auch durch ihre schwindelerregende Reproduktionsrate. Die
Tiere fangen gleich nach dem Schlüpfen an, Eier zu legen. In Deutschland bringt
es der Schädling
auf bis zu acht Generationen pro Jahr – in wärmeren Klimazonen wie in Japan
sogar auf 13. Etwa 400 Eier legt ein Weibchen pro Tag. Manchmal legt es mehrere
Eier in eine Frucht. Oft fliegt es weiter zur nächsten. Es sind unzählige
Früchte, die so Schaden nehmen. Die Insektenforscherin Heidrun Vogt vom
Julius-Kühn-Institut für Kulturpflanzen in Dossenheim warnte in einem
Fachartikel bereits vor drei Jahren vor dem Schädling. In Spanien und
Südfrankreich habe er Ernteausfälle von bis zu 100 Prozent an Kirschen
verursacht. In Italien seien vier Fünftel der Himbeeren verdorben.
Doch solange nur Obstbauern betroffen waren, war die Kirschessigfliege ein Thema, das von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Als sich derSchädling im vergangenen Jahr jedoch den Weintrauben zuwandte, löste das eine regelrechte Hysterie aus. Weil die Kirschessigfliege die Weinsorten Acolon, Regent, Dunkelfelder und Dornfelder befiel, wandten sich die Winzeran die Presse. Titel wie „Kirschessigfliege bedroht deutschen Wein“ machten den Schädling über die Fachwelt hinaus bekannt.
In den USA versuchen Forscher,
das Insekt mit importierten
Schlupfwespen zu bekämpfen
Sofort begannen Diskussionen unter den Winzern, welche Insektizide zum Einsatz kommen könnten. In den USA, wo man bereits Erfahrungen mit derFliege gesammelt hatte, wusste man bereits, dass einige Pestizide helfen – derSchädling jedoch schnell Resistenzen aufbaut. Winzer in Südbaden bekämpften den Schädling mit dem Insektizid Spintor, dessen Wirkstoff Spinosad im ökologischen Landbau seit sieben Jahren zugelassen ist. Doch auch wenn das Pflanzenschutzmittel als umweltverträglich beworben werde, könnten Schmetterlinge und Bienen daran sterben, sagt Tomas Brückmann, Insektizid-Experte beim BUND. Auch für Wasserorganismen sei der Wirkstoff Spinosad sehr giftig, so Brückmann. „In Flüssen, Bächen und im Grundwasser kann er großen Schaden anrichten.“
Michael Breuer, Biologe am Freiburger Weinbauinstitut, ist gelassener: „Wir wenden Spinosad nur an, wenn es notwendig ist“, sagt er. Durch den gezielten Einsatz sei das Risiko für die Bienen geringer. Die beste Lösung sei, die Rebanlage sauber zu halten, befallene Früchte sofort zu entfernen und für ein luftiges Klima zu sorgen. Naturschützer wie Brückmann sind da anderer Meinung: Wenn Saft aus der Beere austrete und sich mit dem Spintorbelag vermische, sei das sehr gefährlich für Bienen. Bei geringem Nahrungsangebot laben sich Bienen nämlich an dem Fruchtsaft. „Völlig ungeklärt ist zudem, wie Spinosad mit den vielen Rückständen von Fungiziden reagiert, die regelmäßig im Weinanbau gespritzt werden. Häufig verstärken Fungizide die Wirkungen von Insektiziden“, so Brückmann.
Insektenforscherin Heidrun Vogt spricht das Problem offen an: „Es wird einiges zur Bekämpfung erprobt, aber eine nachhaltige Lösung fehlt.“ Da die Fliege viele Wirtspflanzen befalle und sich rasch vermehre, seien wiederholte Insektizid-Einsätze notwendig. Sie sei jedoch der Meinung, dass im vergangenen Jahr vor allem beim Spätburgunder zu viel gespritzt worden sei. 2014 war für den Weinbau ein typisches Essigfäulejahr. Hohe Temperaturen und Niederschläge während der Reifephase schädigten die Beeren und führten zu Mikrorissen. Diese waren ideale Eintrittspforten für Essigsäurebakterien ebenso wie für die heimische Essigfliege, Drosophila melanogaster. Im Nachhinein könne man nicht genau sagen, ob die Kirschessigfliege die Risse verursacht habe oder ob diese bereits vorhanden gewesen seien, sagt Vogt. Die Rolle derKirschessigfliege als Primär- oder Sekundärschädling müsse noch geklärt werden. Die wichtigste deutsche Rotweinsorte, der Spätburgunder, zählt jedenfalls zu den weniger anfälligen Sorten.
In Südtirol spannen die Bauern
feinmaschige Netze auf. Das hilft,
ist aber extrem teuer
„Wein ist eben ein sehr emotionales Produkt“, sagte kürzlich Kilian Schneider vom Badischen Weinbauverband auf einem eigens eingerichteten Kirschessigfliegen-Symposium in Offenburg. Vergangenes Jahr sei die Sorgeder Winzer riesengroß gewesen – nach allem, was man aus dem Obstbau gehört habe. Die Folge: Spintor kam großflächig zum Einsatz. Und dieses Jahr? „Wir schauen uns die Situation an“, sagt Schneider. „Kommt es zur Eiablage, werden wir spritzen.“ In Südtirol befiel der Schädling vorwiegend rote Weinsorten. Und auch diese eher ungern. Er bevorzugt eindeutig Kirschen, Himbeeren und anderes Obst. Fakt ist also, dass die Obstbauern das weitaus größere Problem haben.
Alternative Bekämpfungsmethoden statt des Einsatzes von Insektiziden existieren, sind jedoch noch nicht ausgereift: In den USA haben Forscher bereits Schlupfwespen – die natürlichen Gegenspieler der Kirschessigfliege – aus Japan und China importiert. „Diese sogenannten Parasitoide legen ihre Eier in die Larven oder Puppen des Schädlings und ernähren sich von deren Innerem“, sagt Heidrun Vogt, die in engem Kontakt mit Insektenforschern in den USA steht. Schlupfwespen könnten die Population der Kirschessigfliege stark reduzieren. In Japan sei die Methode durchaus erfolgreich.
Doch Ökosysteme sind empfindlich, und noch ist nicht absehbar, welche Folgen das Einführen der Schlupfwespe in Deutschland für das heimische Ökosystem haben könnte. Aus diesem Grund betreiben die amerikanischen Wissenschaftler ihre Versuche mit der Schlupfwespe bislang unter Quarantänebedingungen. Überall wird fieberhaft geforscht. Auch in Freiburg.
Im Weinbauinstitut der südbadischen Stadt beugt sich Diplombiologin Anna-Maria Baumann über eine Petrischale und inspiziert den Inhalt einer Fruchtfliegenfalle. Eine wissenschaftliche Helferin stochert mit einer Pinzette darin herum. Baumann will herausfinden, ob Kirschessigfliegen in die Falle geflogen sind. Seit 2012 läuft ein Monitoring-Programm, an dem das Weinbauinstitut in Freiburg beteiligt ist. Etwa hundert Fallen brachten die Forscher in Südbaden aus. Ortenau, Kaiserstuhl, Markgräflerland – alle von der Sonne Südbadens verwöhnten Weingebiete sind auf dem Radar.
Von 2012 bis 2013 hat sich die Zahl der gefangenen Kirschessigfliegen verdoppelt.Im Jahr 2014 fanden die Forscher von Sommer bis Herbst etwa 5000 Fruchtfliegen pro Woche in jeder Falle.Im Winter sammelten sie die Fallen alle zwei Wochen ein und zählten nach, wie viele Tiere darin waren. In milden Wintern können die Schädlinge nämlich auch in Deutschland überleben. Um die niedrigen Temperaturen zu überstehen, bilden die Tiere eine spezielle Winterform – einen sogenannten Wintermorph. Dieser ist dunkler gefärbt, robuster und kälteunempfindlicher als die Gestalt, die die Tiere im Sommer annehmen. Außerdem hat der Wintermorph eine Lebenserwartung von bis zu einem halben Jahr. Im Sommer sterben die Fliegen dagegen schon nach zwei bis vier Wochen. Je mehr Tiere die kalte Jahreszeit überleben, umso stärker istder Befall im folgenden Sommer.
Baumann wirft einen Blick durchs Binokular. „Da haben wir ja einen Kandidaten“, sagt sie. Die Männchen der Kirschessigfliege sind leicht auszumachen, sie weisen einen schwarzen Punkt an den Flügelenden auf, was ihnen im englischsprachigen Raum den Namen „Spotted wing Drosophila“ eingebracht hat. Die Weibchen erkennt man an ihrem Legeapparat. Je früher im Jahr die Schädlinge auftauchen, umso öfter können sie sich fortpflanzen, und umso stärker ist der Befall. In den Jahren 2012 und 2013 tauchten die ersten Exemplare erst im Juli auf. Im Jahr 2014 wegen des vorangegangenen milden Winters schon im April.
Der Insektenforscher Peter
Shearer von der Oregon
State University im Westender USA
empfiehlt, die Fangmaßnahmen auf die Weibchen zu konzentrieren. In Fallen
sollen sie gelockt werden, Apfelessig-Wasser-Gemische schlürfen und darin
ertrinken. Eine andere Methode besteht darin, die Essigfliegen-Weibchen mit
Stoffen zu vertreiben, die sie nicht mögen – sogenannte Repellentien. Doch
bislang greift nichts zuverlässig. Insektenforscherin Heidrun Vogt sagt: „Am
Ende wird es nicht eine einzige Maßnahme sein, die uns hilft, sondern ein Paket
aus mehreren Methoden.“
In Südtirol spannen die Obstbauern und Winzer schon seit Längerem feinmaschige Netze auf. Diese halten die Fliegen zwar erfolgreich ab, aber die Angelegenheit ist sehr teuer. 25 000 Euro kostet das Einnetzen einer Kirschanlage pro Hektar. „Es ist eine hohe Investition, und die engen Maschen schränken die Belüftung ein. Für den Weinbau ist diese Maßnahme nicht geeignet“, sagt Heidrun Vogt. Viel zu groß seien die Flächen. Auch in Japan hat man noch keine nachhaltige Lösung für das Problem gefunden. Trotz Schlupfwespe wird auch dort nach wie vor stark mit Insektiziden gearbeitet.
Seit die Kirschessigfliege Deutschland erobert hat, haben zahlreiche Experten auf Symposien diskutiert und Express-Risikoanalysen erstellt. Die Pflanzenschutzdienste der Länder wurden unterrichtet und Arbeitskreise einberufen. Doch nach wie vor gibt es keine nachhaltige Strategie, die Vermehrung der Fliege zu stoppen. Es geht nur noch darum, den Schaden zu begrenzen. Und zu lernen, mit ihr zu leben. Schließlich ist die Fliege gekommen, um zu bleiben.