Nadine Zeller

Wissenschaftsjournalistin, Freiburg

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Geistige Erschöpfung: Wieso Denken müde macht

Intensives Nachdenken erschöpft uns - aber warum eigentlich?

Keinen Muskel bewegt und trotzdem platt: Wer den ganzen Tag intensiv nachdenkt, sinkt abends oft besonders müde in die Kissen - und das, ohne körperlich geschuftet zu haben. Denn Erschöpfung ist nicht nur ein Phänomen physischer Arbeit, tatsächlich machen auch Nachdenken und mentale Arbeit kaputt.


Nur wie?


Tatsächlich gibt es bislang wenig wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, was im passiert, wenn wir ermüden. Nach körperlicher Anstrengung, so eine einflussreiche Theorie, gaukele das Gehirn uns nur vor, dass wir müde seien (Behavioral and Brain Sciences: Kurzban et al., 2013). Die Botschaft der Illusion: Bitte wende dich entspannteren Dingen zu und schöpfe neue Kraft.


Noch schwieriger zu erklären, ist, wie geistige Tätigkeit und Erschöpfung zusammenhängen. Eine kürzlich erschienene Studie scheint jetzt neue Antworten zu liefern (Current Biology: Wiehler et al., 2022). Eine Forschergruppe um Antonius Wiehler vom Paris Brain Institute kam darin zu dem Ergebnis, dass sich bei intensivem und langem Nachdenken große Mengen des Neurotransmitters Glutamat im präfrontalen Kortex ansammeln, dem Teil des Gehirns also, der für die Impulskontrolle und anspruchsvolle Denkaufgaben so wichtig ist. Glutamat ist der wichtigste Neurotransmitter für die Aktivierung von Nervenzellen. Die schiere Menge an Glutamat, so die Hypothese, die die Wissenschaftler entwickeln, führe bei geistigen Arbeiten zu einer Art Reizüberflutung des Gehirns. Die Folge davon? Natürlich Müdigkeit.


Die Studie bekam seit ihrem Erscheinen viel Aufmerksamkeit. Kein Wunder, postulieren ihre Autoren doch einen denkbar einfachen Mechanismus für ein Phänomen, das wir alle nur allzu gut kennen. In Fachkreisen zog die Studie aber auch einiges an Kritik auf sich. Der Teufel, das zeigt die Kritik, steckt einmal mehr im Detail.


Glutamat ist der wichtigste erregende Neurotransmitter

Um die Kritik zu verstehen, muss man sich deshalb zunächst genau den Versuchsaufbau anschauen. Die Pariser Forschergruppe um Antonius Wiehler ließ 40 Probanden und Probandinnen einen Tag lang Konzentrationstests absolvieren. Dafür wurden die Versuchsteilnehmer in zwei Gruppen unterteilt, die eine bekam leichtere Aufgaben, die andere schwierigere.


Insgesamt dauerte die Testreihe sechseinhalb Stunden - unterbrochen von zwei zehnminütigen Pausen. Am Ende des Tages fühlten sich zunächst einmal beide Gruppen geistig erschöpft. Die Probandinnen und Probanden machten mehr Fehler als zu Beginn und ihre Selbstkontrolle nahm ab.


Besonders Letzteres ist ein wichtiges Indiz für steigende, geistige Erschöpfung: Die Ego-Depletion-Theorie besagt, dass Selbstkontrolle keine unendliche Ressource ist - sondern durch kognitive Arbeit förmlich verbraucht wird. Sinkende Selbstkontrolle sei ein Versuch des Gehirns, sich kurzzeitig geistig zu entlasten und zu pausieren, so die Theorie (Trends in Cognitive Science: Inzlicht et al., 2014).


In der Pariser Studie wurde die Selbstkontrolle durch eine regelmäßige Befragung der Teilnehmenden überprüft. Allen wurde Geld als Aufwandsentschädigung in Aussicht gestellt. Zwischen den Aufgabenblöcken durften sie immer wieder aufs Neue entscheiden, ob sie lieber sofort wenig Geld bekommen wollen oder später mehr. Vor allem die Gruppe mit den schwierigeren Aufgaben wählte im Laufe des Tages immer häufiger den kleineren Geldbetrag, den es sofort gab: ein Zeichen gesunkener Selbstkontrolle.


Während der Aufgaben untersuchten Wiehler und sein Team die Gehirne der Versuchsteilnehmer mithilfe der sogenannten Magnetresonanzspektroskopie. Das Verfahren ermöglicht es, herauszufinden, wie viel einer bestimmten Substanz, etwa eines Neurotransmitters, an welcher Körperstelle zu finden ist. "Wir haben uns für Glutamat entschieden, weil es der wichtigste erregende Neurotransmitter bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen ist", sagt Studienleiter Antonius Wiehler. Die erste Messung fand nach der ersten Aufgabe statt, weitere in unregelmäßigen Abständen bis zum Abschluss aller Aufgaben.


Obwohl sich beide Gruppen nach den sechseinhalb Stunden ähnlich erschöpft fühlten, hatte die Gruppe mit der schwierigeren Aufgabe eine deutlich höhere Glutamatkonzentration im präfrontalen Kortex als die Kontrollgruppe. Bei der Kontrollgruppe wurde zwar nach der ersten Messung noch eine ähnlich hohe Glutamatkonzentration gemessen wie bei der anderen Gruppe - allerdings sank diese im Laufe des Tages ab.

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