Nadine Zeller

Wissenschaftsjournalistin, Freiburg

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Forensische Hypnose: Augenzeugen unter Hypnose

Als die Frau in den Rückspiegel sieht, erblickt sie für einen Augenblick das Gesicht eines Mannes, der ihr seltsam vorkommt. Aber da es bereits dämmert, erkennt sie nicht viel. Es ist der Herbst 2016. Tage später werden Kriminalbeamte sie auf dem Polizeipräsidium bitten, das Aussehen jenes Mannes zu beschreiben, den die Polizisten für einen Mörder halten. Sie ist die einzige Zeugin. Aber die Erinnerung fällt ihr schwer. Die Ermittler lassen ein Phantombild nach ihren Beschreibungen anfertigen. Die Zeugin findet, es ähnele dem Mann kaum. Die Hoffnung der Ermittler zerschlägt sich. Die junge Frau ist die Einzige, die den Mörder der Joggerin Carolin G. aus dem südbadischen Endingen in Tatortnähe gesehen hat.

So schildert den Fall der frühere Ermittler und Polizeisprecher Walter Roth in seinem Buch Soko Erle. Doch die Enttäuschung währte nicht lange. Die südbadischen Kriminalbeamten griffen zu einem in der Öffentlichkeit kaum bekannten Mittel. Ein professionell geschulter Hypnotherapeut sollte die Zeugin in einen tranceartigen Zustand versetzen, um ihr Gedächtnis anzukurbeln. Was nach Esoterik klingt, ist seit Jahren eine erprobte Methode: die forensische .


Immer wieder stehen Ermittlerinnen vor dem Problem, dass sie schwere Straftaten aufklären müssen, aber Zeugen sich nicht an wichtige Details erinnern. In solchen Fällen wenden sich die Ermittler zum Beispiel an Alexander von Delhaes. Der Arzt und Hypnotherapeut führt in seiner Praxis im bayerischen Starnberg klinische Hypnosen durch, also für medizinische oder therapeutische Zwecke. Immer wieder bitten ihn auch Expertinnen der Operativen Fallanalyse, sogenannte Profiler, um seine Dienste: Von Delhaes hypnotisiert Zeugen im Auftrag der . In den vergangenen 15 Jahren wurden er und seine Kollegin Andrea Beetz zu fast 100 Ermittlungen in Süddeutschland hinzugezogen. 800 bis 1.000 Euro berechnen sie den Behörden für eine Sitzung.


Gegenüber der Hypnose kursieren viele Vorurteile. Menschen verbinden mit ihr Kontrollverlust, Ausgeliefertsein und spektakuläre Bühnenshows, in denen hypnotisierte Menschen nicht Herr ihrer selbst sind. Dabei gehört Hypnotherapie zu den Leistungen, die von den Krankenkassen anerkannt werden. Ihre Wirksamkeit ist gut belegt. Aber eignet sich Hypnose auch für kriminologische Zwecke?


Die Strafprozessordnung verbietet Vernehmungsmethoden von Beschuldigten und Zeugen, die den freien Willen beschneiden. Dennoch dürfen Kriminalbeamte in Deutschland die forensische Hypnose unter zwei Voraussetzungen zulassen: zum einen, wenn der jeweilige Zeuge einverstanden ist, und zum anderen, wenn die zuständige Staatsanwaltschaft zustimmt. Letztere begründen den Einsatz forensischer Hypnose häufig damit, dass sie Zeuginnen, die sich erinnern wollen, aber nicht können, unterstütze. So argumentiert auch die zuständige Staatsanwaltschaft im Mordfall Carolin G. Laura Riske, Sprecherin der Freiburger Polizei sagt: "Das Delikt muss dieses Mittel rechtfertigen. Insgesamt stellt es eher die Ausnahme dar."

Augenzeugin in Trance

Es werde nur bei schweren Straftaten eingesetzt. Ziel sei, dass die Zeugen sich nach der Hypnose an Ereignisse und Dinge erinnerten, die sie vergessen hatten. "Die meisten Zeugen wollen uns unbedingt mit ihrer Aussage helfen und setzen sich damit manchmal unter Druck", sagt die Polizeisprecherin. Wer schon einmal versucht hat, sich krampfhaft an den Namen eines bestimmten Liedinterpreten zu erinnern, weiß, dass dies oft zum Scheitern verurteilt ist. Die forensische Hypnose nehme diesen Druck. Ein entspannter Trancezustand erleichtert den Zugang zu manchen Informationen in unserem Gehirn. Auch die Ermittler im Endinger Mordfall hofften, dass sich die Augenzeugin in Trance an wichtige Details erinnern würde. Doch vorher führen Hypnotherapeut und Ermittler immer ein Gespräch.


"Meist bespricht der zuständige Kriminalbeamte mit mir zunächst das Ziel der Hypnose", sagt Alexander von Delhaes. Als forensischer Hypnotherapeut erhalte er einen Überblick über die Aktenlage und dürfe die Vernehmungsprotokolle lesen. So entwickle er eine Vorstellung vom Zeugen und von der Tat. Die forensische Hypnose selbst findet dann in einem Zeugenvernehmungszimmer der Polizei statt. Vor der Hypnose fordert der Therapeut den Zeugen auf, noch mal alles zu erzählen, was er im Wachzustand weiß. Die eigentliche Sitzung wird dann von einer Videokamera aufgezeichnet. In einigen Bundesländern dürfen die Ermittlerinnen bei der Sitzung per Video zuschauen und währenddessen Detailfragen an den Hypnotherapeuten schicken. In anderen Bundesländern wie beispielsweise Bayern ist das untersagt.


Dort halten sich nur der Hypnotiseur und der Zeuge im Raum auf. Die Sitzung wird aufgezeichnet und der Zeuge darf später entscheiden, ob er es für die Ermittlerinnen freigibt. Mit dieser Praxis soll ausgeschlossen werden, dass sich Zeugen während der Hypnose vor den Ermittlerinnen selbst belasten. Eine doppelte Vorsichtsmaßnahme - für die Polizei gerichtlich verwendbar ist sowieso nur das, was der Zeuge in der Vernehmung nach der Hypnose erzählt. Denn nur Informationen, die im normalen Wachzustand gewonnen werden, haben vor Gericht Bestand.

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