Nadine Leichter

Diplom Online-Journalistin, Neu-Isenburg

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AfD spielt sich als „Schutzherrin des Grundgesetzes" auf und stänkert gegen Europa

AfD-Wahlkampf: Die AfD feiert in einem Video das Grundgesetz - und tritt es doch im Alltag allzu oft mit Füßen. Die Lobhudelei ist eine Farce - und verfolgt ein klares, aktuelles Ziel. Ein Kommentar.


Eine in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtete Partei springt auf den Jubiläumszug des Grundgesetzes auf, um sich den Mantel der Verfassungskonformität zu geben: Die AfD inszeniert sich in einem Youtube-Video als „Grundgesetzpartei unseres Landes" - und nutzt die Plattform für Europäischen Wahlkampf auf den letzten Drücker. Die Brücke? Die Unterstellung, Europa gefährde das Grundgesetz.


„Die AfD ist die Schutzherrin des Grundgesetzes", konstatiert Alice Weidel in dem Video. Die einzige, setzt sie dramatisch hinterher. Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, allgemeiner Gleichheitssatz, Menschenwürde - die AfD schützt also all die Errungenschaften des Grundgesetzes. Das aber zeigt die AfD nur höchst selektiv.


Gerade das Diskriminierungsverbot aufgrund von Abstammung (Art. 3 Abs. 3) ist nicht gerade die Stärke der Partei. Auch die Würde des Asylbewerbers (Art. 1, Art. 16a) fällt gerne mal unter den Tisch. Wir erinnern uns an den Aufruf Alexander Gaulands, die SPD-Integrationsministerin Aydan Özoguz in Anatolien zu entsorgen. Oder Alice Weidels Entgleisungen im Bundestag, als sie im Zusammenhang mit der Einwanderungspolitik der Bundesregierung von „Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse" faselte. Oder die Mausgerutscht-Affäre von Beatrix von Storch, als sie den Einsatz von Schusswaffen zur Verteidigung der deutschen Grenze forderte. Zur Gleichberechtigung fällt ihr die Frauenquote ein. Storch sieht diese als „konkrete Diskriminierung eines Mannes wegen seines Geschlechtes zu Gunsten der abstrakten Gruppe FRAU", wie sie auf Twitter verkündete.


AfD lobt Grundgesetz, um Aufmerksamkeit für Europawahlkampf zu bekommen


Für die AfD kommen die grundgesetzlich garantierten Rechte immer dann in Betracht, wenn sie der Partei nützen. Entweder, um Biodeutsche zu privilegieren - oder als Argument, die Partei in der altbewährten Opferrolle zu inszenieren. Das Jubelvideo zum Thema 70 Jahre Grundgesetz erscheint keineswegs aus ehrlicher Überzeugung. Es passt der Partei gerade jetzt zur Europawahl gut ins Konzept. Lässt sich doch kurz vor der Europawahl prima für einen Wahlkampfendspurt verwenden. Kaum verwunderlich, dass die AfD in dem Video den Bogen zur obligatorischen Stänkerei gegen die Europäische Union nicht auslässt. Etwa dreieinhalb von achteinhalb Minuten des Jubiläumsvideos beschäftigen sich mit Europa - und sollen eine Begründung liefern, die AfD in Gestalt ihres Spitzenkandidaten Jörg Meuthen ins Europäische Parlament zu wählen.


Alice Weidel wittert „eklatante Störung der Gewaltenteilung" in Europa

Da wirft Weidel der EU zum Beispiel eine „eklatante Störung der Gewaltenteilung" vor, weil in der EU-Kommission ungewählte Kommissare das legislative Initiativrecht inne hätten. Europa werde „auf mittlere bis lange Sicht unsere Nation als solche" und auch das Grundgesetz als Rechtsgrundlage in Frage stellen, unkt Meuthen - der als Spitzenkandidat der AfD im Europa-Wahlkampf kandidiert. Er begründet das mit der „Vergemeinschaftung" auf europäischer Ebene. Deshalb will er dem Ende der Nationalstaaten, wie er es auffasst, ein Ende bereiten. Von innen. „Das ist meine zentrale Aufgabe dort", lautet sein Fazit im Video.


„Wir wollen nicht, dass der deutsche Nationalstaat (...) durch einen europäischen Nationalstaat ersetzt wird, der in der europäischen Geschichte keinerlei Vorbilder hat", sagt Gauland. Das klang auf einem AfD-Parteitag in Bayern im Juni 2018 noch anders, zitiert der Verfassungsschutz den AfD-Vorsitzenden: „Wir sollen uns als Volk und Nation in einem großen Ganzen auflösen. Wir haben aber kein Interesse daran, Menschheit zu werden. Wir wollen Deutsche bleiben." Der funktionierende Staatenzusammenschluss ist übrigens nicht ganz vorbildlos in der europäischen Geschichte. Die deutschen Bundesländer haben sich dereinst zu einer gemeinsamen Nation zusammen geschlossen. Man nennt sie heute Bundesrepublik Deutschland.


Es ist eine Farce, dass sich die AfD in Lobhudeleien aufs Grundgesetz ergeht, wo sie doch alltäglich zeigt, wie intensiv ihre Mitglieder die Grundgesetze mit Füßen treten. Es ist eindeutig, dass die Partei das Jubiläumsvideo nicht aus Überzeugung, sondern als letzten Stimmenfang vor der Europawahl inszeniert - um dann den gemeinschaftlichen europäischen Gedanken im Zusammenschluss mit anderen rechten Parteien in Europa von innen heraus zu torpedieren.

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