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Dorf mit viel Potenzial

Foto: Michael Schick (www.michael-schick-photo.com)

In der Reihe "FR vor Ort" porträtiert die Lokalredaktion der Frankfurter Rundschau die Teile ihrer Stadt. Hier: Eckenheim, vom 05.03.2012. Am Besten dem Link zum Original folgen!



Im alten Eckenheimer Ortskern gibt es Innenhöfe, in denen Hühner gackern. Hier gibt es den Alten Friedhof, der nur noch ein Denkmal ist, das sich in keinem guten Zustand befindet. Und es gibt so ziemlich die modernste Ampel, an der man in Frankfurt auf grün warten kann. Die Eckenheimer Luxusampel, wie Anwohner sie nennen.


Sie steht an der Kreuzung von Hügelstraße, Eckenheimer Landstraße und Engelthaler Straße. Wer durch Eckenheim fährt oder nach Eckenheim will, der kommt hier durch, dachte die Stadt. Um dem Verkehr Herr zu werden, hat sie sich deshalb etwas Besonderes einfallen lassen: Eine Ampel mit Kameras zur Verkehrsüberwachung und Geräten, die klackern, um Sehbehinderten den Weg über die Straße zu erleichtern. „Sie sehen ja, ein Riesenverkehr", sagt Klaus-Peter Musch voller Sarkasmus. Gerade überqueren zwei Fahrzeuge hintereinander die Kreuzung, wirklich voll ist es nicht. „Es hat sicherlich seinen Sinn", sagt der Ur-Eckenheimer. „Aber die Frage ist, ob man das wirklich braucht." Eine andere Anwohnerin berichtet, dass selbst die Verkehrssteuerung oftmals nicht funktioniere und man trotz leerer Kreuzung vergeblich auf grün warte.


Musch hat hier nach eigenen Angaben noch nie einen Blinden gesehen, zudem sei das Trottoir abgeflacht und damit nicht erkennbar. „Der knallt doch gegen die Hauswand", sagt der Gemischtwarenhändler. Da helfe auch kein Klackern. Das wird indes immer lauter, wenn ein Auto die Kreuzung überquert. „Meine Goldfische schnappen im Takt des Klackerns nach ihrem Futter", sagt Musch. Er verbringt die Mittagspause in seiner Wohnung direkt an der Kreuzung.


Für ihn hat Eckenheim wichtigere Probleme. Deshalb meckert er so gerne über die Luxusampel. Da gibt es zum Beispiel das Problem der Identität. Die ehemalige Vereinsringsvorsitzende Ursula Plahusch erinnert sich an Straßenfeste wie das Eckenline oder das Funzelfest. „Die gibt es leider nicht mehr." Zudem fehle es an Treffpunkten. So ist zumindest die allgemeine Wahrnehmung. Als einzige Möglichkeit gilt das Haus Ronneburg, das in Preungesheim liegt. Doch gerade im Ortskern hat sich auch etwas getan in den letzten Jahren.

Dazu gehört die kleine Buchhandlung CAMP von Dinu Popa, direkt gegenüber dem Gemischtwarenladen von Klaus-Peter Musch. Der Versandexperte Popa, der seine Bücher vorwiegend nach Großbritannien, Japan oder in die USA verkauft, hat seinen Stadtteil liebgewonnen und will ihm etwas zurückgeben. „Das ist ein Angebot an die Nachbarschaft", sagt Popa über sein unscheinbares Geschäft. „Der ist super sortiert", sagt Ursula Plahusch, auch wenn der Laden noch ein Geheimtipp sei.


Ganz in der Nähe befindet sich der Homburger Hof, das zweite Highlight im Ortskern. Andreas Kimmel hat ihn gepachtet und kämpft dagegen an, dass das Haus Ronneburg die einzige Location Eckenheims sein soll. „Es ist mein Lebenstraum", sagt er 37-Jährige über seine Apfelweinwirtschaft. „Hier wurde viel Frankfurt wiedergegründet", sagt Kimmel und meint nicht nur die Gaststätte, in der es Lagermöglichkeiten für 200.000 Liter Stöffche gibt. „Das war das Epizentrum der Eckenheimer Apfelweintradition." Für den Neu-Eckenheimer ist die eigene Kneipe ein Stück der Identität des Stadtteils, die leider verloren gegangen sei. Im Homburger Hof gibt es nicht nur allabendliche Verpflegungsmöglichkeiten, sondern auch eine Kegelbahn, die bei Bedarf zu einem großen Saal umgebaut werden kann. Das sei leider bei den Vereinen noch nicht so bekannt, weshalb die oft noch nach Preungesheim auswanderten, berichtet Kimmel mit schmerzlich verzerrtem Gesicht.


Für den 37-Jährigen, der in Hattersheim aufgewachsen ist, ist Eckenheim „einer der attraktivsten Stadtteile". Da spielt die Zusammensetzung aus Alteingesessenen und nachgekommenen Familien sowie die Nähe zur Innenstadt eine Rolle. Dazu komme in Eckenheim die nachbarschaftliche Unterstützung, mitten in der Anonymität der Stadt. „Das ist das, was Menschen suchen, wenn sie aufs Land ziehen", glaubt Kimmel.


Früher war die Ausgeh-Tradition in Eckenheim ausgeprägter. Über die Idylle des mittlerweile abgerissenen Kurhessischen Hofs, gibt es nur noch Geschichten. Messegäste hätten hier unter Kastanien diniert, erzählt man. Und nicht nur das Gasthaus ist verschwunden. Auch viele kleine Läden wurden von Supermärkten verdrängt, von den angeblich früher ansässigen sieben Metzgern und drei Bäckern blieb keiner übrig. Für das Ortszentrum wäre es ein enormer Aufschwung, wenn einer zurückkehrte.


Probleme gibt es auch bei der Jugendarbeit. Der sogenannte rote Block, 1906 eines der ersten Beispielen des sozialen Wohnungsbaus, ist bis heute ein Ort der Unruhe. Zuletzt häuften sich Beschwerden über Jugendliche im Schliemannweg, mittlerweile vermittelt das Amt für multikulturelle Angelegenheiten. Da gibt es mit der aufsuchenden Arbeit des Jugendbüros Eschersheim und der Deutschen Jugend Russland aus dem Haus der Heimat kompetente Träger. Doch auch das Haus der Heimat in der Porthstraße wird bald von den Sozialarbeitern verlassen. Aus brandschutztechnischen Gründen muss die Deutsche Jugend Russland umziehen - was von den Anwohnern sehr bedauert wird.


Ortsbeirat und Grünflächenamt haben die Einrichtung eines Bolzplatzes angekündigt, um den Jugendlichen eine Möglichkeit zu geben, sich auszutoben. Viel getan wird auch in den Eckenheimer Vereinen. Zwar sind die glorreichen Zeiten der Ringer - der Max-Leichter-Weg erinnert noch an den mehrfachen Deutschen Meister - vorbei, doch der Fußballverein Viktoria Preußen zieht noch immer viele Kinder an. Die Ringer machten im vergangenen Jahr negative Schlagzeilen, als sich der mittlerweile geschasste Vorstand den Namen Eintracht Frankfurt schützen lassen wollte.


Wie viel Eckenheim trotz allem zu bieten hat, wird an der Liste der im Stadtteil beheimateten Institutionen deutlich. Der Hauptfriedhof reicht weit in die Eckenheimer Gemarkung, auch der Neue Jüdische Friedhof und das Katastrophenschutzzentrum befinden sich hier. Noch im 19. Jahrhundert war Eckenheim eine ländliche Gegend, hervorgegangen aus einer Ansiedlung von Höfen, doch mittlerweile gibt es nur wenige Stadtteile, die dichter bebaut sind. Vor der Verstädterung war Eckenheim vor allem für seine Ziegeleien bekannt. Mit den hier jeden Sommer gebrannten sechs Millionen Ziegeln wurden große Teile des Frankfurter Nordends gebaut.

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