Moritz Jacobi

Journalist, Brandenburg (Havel), Brandenburg, Deutschland

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Artikel

Warum eine Aussteigerfamilie von Indonesien in die Lausitz zurückkehrt

Wenn René Kömpel (42) vom Ordnungsamt in diesen Tagen die Parkflächen, Müllcontainer und Hundemarken kontrolliert, könnte man meinen, er hätte nie etwas anderes getan. Seine achtjährige Tochter besucht inzwischen die Jenaplan-Grundschule in Lübbenau, abends macht ihre Mutter in der Wohnung der Spreewaldstadt ein paar Würste im Topf warm. So weit, so normal. Doch was nach einer Normal-Existenz klingt, ist für die Kömpels nach neun Jahren als Aussteigerfamilie auf einer tropischen Insel am anderen Ende der Welt ein kleines Abenteuer geworden. 


Rückblick: Indonesien, 2009: Auf einer Reise durch den südostasiatischen Inselstaat verlieren René aus dem Spreewald und Rini aus Bandung ihre Herzen aneinander. Und an den kleinen Archipel von Karimunjawa: idyllische Sandstrände, blaues Meer und tolle Schnorchelgründe. Über die Jahre reift die Idee, zu heiraten und sich an einem ruhigen Fleck niederzulassen. „Wir haben auf Java, Sumatra, Lombok gesucht. Dann kam ein Anruf, und wir fuhren mit dem Motorroller die 450 Kilometer von Bandung nach Karimunjawa. Sahen das Land und kauften es: 1936 Quadratmeter mit einem renovierungsbedürftigen Steinhaus,“ erinnert sich René.



Das Leben in Indonesien ist auf tropisch-entspannte Art einfach, mit Stunden am Strand und viel Zeit für die Familie. Aber auch von Versorgungsschwierigkeiten geprägt, die im Spreewald nur noch die Großeltern kennen. „Wir hatten keinen Kühlschrank, keine Waschmaschine, keine Luxusartikel“, sagt Rini über die erste Zeit. „Wir haben wie die Inselbewohner gelebt, und das war hart.“ Bei hohen Wellen ist man tagelang vom Festland abgeschnitten, Stromausfälle sind eher die Regel als die Ausnahme. Mit viel Fleiß baut die Familie einen Bungalow für Touristen und bietet individuelle Tourpakete für Urlauber an. Es ist nicht viel, aber es reicht zum Leben. 


Während ihr neues Nest langsam Gestalt annimmt, lässt der Nachwuchs nicht auf sich warten. Auf die Frage, wer sie sei und woher sie komme, antwortet Tochter Emma heute selbstbewusst: „Ich bin Hälfte-Hälfte, ich bin ein Inselkind.“ Sie isst lieber Reis als Kartoffeln, spricht Deutsch und Indonesisch. Der Kontakt zur Familie im Spreewald blieb immer erhalten. „Meine Mutter und ihr Mann haben uns regelmäßig besucht. Mit meinem Vater blieben wir telefonisch in Verbindung“, sagt René Kömpel, der zuvor bei der Bundeswehr und beim Innenministerium gearbeitet hatte. „Wir selbst waren aber seit 2012 nicht in Deutschland.“ 


Und so staunt er nicht schlecht, wenn er heute die Lausitzer Heimat neu entdeckt: „Ich kann kaum fassen, wie sich so manches Dorf entwickelt und herausgeputzt hat.“ Was aber vertrieb die Kömpels aus ihrem tropischen Paradies? Der Übeltäter heißt SARS-CoV-2 und hat den Tourismus in Indonesien praktisch zum Erliegen gebracht. Lange hielt die in Entbehrungen erprobte Familie sparsam durch und hoffte auf bessere Zeiten. Als nach einem dreiviertel Jahr klar wurde, dass in Zeiten der Corona-Pandemie so bald keine Touristen mehr kommen, entschieden sich René und Rini zum Verkauf ihrer beweglichen Habe und zur Übersiedlung nach Deutschland. „Wir haben eine schwere Entscheidung getroffen, unseren Traum aufgegeben.“ 


Nun gilt es, Fuß zu fassen in einem Land, das zwar keinen Regenwald besitzt – dafür aber den Paragrafendschungel. Während René eine Anstellung fand, hat es Rini trotz guter Voraussetzungen und hoher Motivation schwer. Die 39-Jährige hat deutsche Literatur und Linguistik studiert und im baden-württembergischen Weinheim ein Sprachdiplom der VHS Heidelberg erworben. Seit dem hat sie als Erzieherin, Privatlehrerin, Übersetzerin und Reiseleiterin gearbeitet. Anerkannt wird ihre Qualifikation bei der Jobsuche in Deutschland aber nicht, weil die Nachweise nicht den Anforderungen entsprechen.


Auch die Wohnungssuche war schwierig, es hagelte Absagen von Genossenschaften und privaten Vermietern. Behörden und Migrationsberatungsstellen halfen nicht sonderlich weiter. Erst das große Herz von Sozialarbeiter Sebastian Liedtke, Leiter der AWO Kinder-, Jugend- und Familienbegegnungsstätte, öffnete Türen. Er nahm die Kömpels in einer Wohnung auf und half ihnen fortan, auf die Beine zu kommen. „Bis heute verbindet uns eine Freundschaft mit ihm und seiner Familie“, sagen sie.


Besonders intensiv war der Umzug für Emma, die zum ersten Mal in Deutschland ist: Sie wechselte von 30 Grad Celsius zu 3 Grad Celsius, vom Strand in den Wald, vom Homeschooling zum Schulalltag. Durfte Pilze sammeln, Spielplätze erkunden und ihr erstes winterliches Weihnachten erleben. Dabei waren ihr die Deutschen anfangs nicht so recht geheuer: „Die sehen so anders aus!“. So verschieden können die Perspektiven sein. 


Die Eltern bereuen den Schritt nicht. „Unser Kind ist glücklich, erlebt und lernt so viel. Auch, dass das Leben nicht einfach ist.“ Zwar vermissen alle das Meer und den Dschungel, aber „manchmal müssen wir etwas aufgeben für einen neuen Anfang und neue glückliche Momente.“


Erschienen in der Lübbenauer Rundschau vom 8. April 2021.

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