Moritz Jacobi

Journalist, Brandenburg (Havel), Brandenburg, Deutschland

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B2B-Plattform Faire: Einhorn auf dem Sprung nach Europa

Unicorns sind Start-ups, die mit 1 Milliarde US-Dollar oder mehr bewertet werden. Dazu zählt die nordamerikanische B2B-Plattform Faire, die jetzt den Schritt nach Europa wagt und von Herstellern und Händlern getestet wird. Für kleine Händler ist es mitunter eine Glaubensfrage: "Nicht auf Amazon" nutzen viele von ihnen als Standardabfrage bei der Suche nach neuen, interessanten Produkten für ihre Kundschaft. Damit werden sie auf faire.com durchaus fündig, wurde das kalifornische Start-up doch nach eigenen Angaben extra als Alternative für kleine und mittelgroße Marken gegründet, die ihre Ware in den Einzelhandel bringen möchten.


170.000 Einzelhändler, 15.000 Marken

Darüber hinaus im Fokus der Plattform sind stationäre Händler, die Produkte abseits des Mainstreams suchen. Mehr als 170.000 Einzelhändler und rund 15.000 Marken verbindet Faire in Nordamerika. Europa hat das Unternehmen von den Niederlanden aus jetzt stärker ins Visier genommen. Zum Vergleich: Auf dem Alten Kontinent zählt Ankorstore aus Frankreich mit etwa 10.000 Marken und 100.000 Händlern zu den führenden Anbietern.

Faire vermarktet Kleidung, Accessoires, Heimtextilien, Deko-Artikel, Tierbedarf und Beauty-Produkte. Filtern lassen sich die Angebote unter anderem nach der Herkunft der Marken, was Max Rhodes besonders wichtig ist: "Wir haben Faire gegründet, weil wir überzeugt sind, dass die Zukunft des Einzelhandels lokal ist", betont der CEO und Mitgründer. "Kunden sehnen sich nach authentischen, personalisierten Einkaufserlebnissen, die nur von lolalen Geschäften angeboten werden können."


Digitale Messen sparen den Nutzern Marketingkosten

Die Zahlungsbedingungen und die Logistik von Faire ähneln denen anderer Wholesale-Plattformen. Bei Erstbestellung einer Marke ist die Rücksendung immerhin kostenfrei, auch der Hersteller behält seinen Umsatz und kann die Ware mit einem Rabatt von 30% sogar zurückkaufen. Suchkriterien wie "von Frauen geführt" oder "Zero Waste" tragen zeitgenössischen Konsumtrends Rechnung. Mit Online-Werbeaktionen und digitalen Messeveranstaltungen sollen die Nutzer zudem Kosten für das Marketing sparen.


Backstore überzeugt Händler

Faire lässt sich mit Shopify und Square verknüpfen, was jedoch bei anderen Plattformen ebenfalls zum Standard zählt. "Die Integration mit Shopware oder Oxid wäre interessant gewesen, aber stattdessen auch an dieser Stelle nichts Neues", beschreibt Gabriele Ampt aus Hamburg ihren Eindruck. Sie bietet mit ihrer Marke Lütteblüten handgemachte Blütenkunstwerke zum Verkauf. "Technisch ist Faire im Vergleich mit der Konkurrenz allerdings besser, was den Backstore angeht." Der Anbieter trete sehr professionell auf, "und ich habe eine persönliche Ansprechpartnerin", betont Ampt, die hauptberuflich eine Design- und Multimedia-Agentur führt.


Kommunikation nur auf Englisch

Was sie bemängelt: Die Kommunikation mit Faire finde ausschließlich auf Englisch statt, da der Support aus Kalifornien geleistet werde. "Gerade für die Einzelhändler wäre ein regionaler Ansprechpartner in Deutschland gar nicht so schlecht." Zu den positiven Aspekten zählt nach Ansicht von Kristina Wiemann der optische Eindruck: "Die Oberfläche von Faire ist wirklich schön gemacht", findet die Bornheimerin. Die Auswahl von anderen Marken, in deren Umfeld ihr Papeterie-Shop "Sonst noch was?" auf der Plattform erscheint, gefällt ihr ebenfalls. Was offenbar noch nicht ganz so zufriedenstellend verläuft, ist der Verkauf. "Die anderen Plattformen sind technisch nicht so professionell wie Faire, aber man verkauft dort eben mehr", lautet Lütteblüten-Gründerin Ampts Zwischenbilanz.


Gebührenstruktur als Fallstrick

Zu üblichen Anlaufproblemen gesellen sich strukturelle Fallstricke. In Nordamerika wendeten sich Nutzer nach wiederholten Änderungen der Gebührenstruktur, Erfahrungen mit inkonsistentem Kundenservice oder Problemen bei der Abwicklung von Retouren von der Plattform ab. Die Provision von 25% auf die Erstbestellung einer Marke erscheint happig, und erfolgt diese Erstbestellung auf Empfehlung von Faire, fallen weitere 10% Vermittlungsgebühr an. Kritiker monieren, dass der Algorithmus den Käufern deshalb überwiegend neue Marken vorschlage und die Kundenbindung erschwere.

Auf redaktionelle Anfragen wollte sich Faire nicht äußern, weder zu den bemängelten Aspekten noch zum weiteren Vorgehen in Europa.


"Die Zukunft des Einzelhandels ist regional."
        Max Rhodes, CEO Faire Einer von vielen Kanälen

Für die hiesigen Hersteller dürfte die Plattform bis auf Weiteres allenfalls einer von mehreren Kanälen sein. Gabriele Ampt wie auch Kristina Wiemann vermarkten etwa sowohl über Stand-alone-Shops an Endkunden als auch über B2B-Marktplätze wie Orderchamp aus den Niederlanden oder das Berliner Pendant Mercavus. Mit 6.000 Händlern und 400 Anbietern kleiner, dafür als Kombination aus B2B-Marktplatz und Messe interessant ist zudem Nextrade aus Düsseldorf für den Home&Living-Sektor.


Plattformen müssen sich ihren Markt schaffen

Ein harter Wettbewerb also - für Platzhirsche wie für Newcomer. "Ob der B2B-Markt groß genug für so viele Plattformen ist, hängt auch davon ab, ob die Unternehmen gut genug sind, sich diesen Markt zu schaffen", gibt Frank Düssler vom Bundesverband E-Commerce und Versandhandel zu bedenken. Die Erfolgsgeschichten von Zalando und Aboutyou hätten das in der Vergangenheit bewiesen. "Gute Preise, gute Leistung und ein bisschen näher am Bedarf des Kunden, dann kann man durchaus erfolgreich sein."

Dieser Artikel erschien zuerst in Der Handel.

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