Adelino Massuvira schlägt ein graues Fotoalbum auf und blickt sein 40 Jahre jüngeres Ich an: Lächelnd und ein wenig verträumt hält ein junger Mann eine Kamera. Das Album ist sein Abschiedsgeschenk. Eine Arbeitskollegin - eine Genossin - hat es ihm überreicht, damals, kurz bevor er in den Flieger stieg, um Deutschland zu verlassen. Für immer, wie er dachte.
Auch Bilder der kleinen uckermärkischen Stadt, in der er seinerzeit
arbeitete, sind eingeklebt. „In der Kaufhalle hast du sicher oft
eingekauft“, heißt es daneben, „und auf dem Sportplatz bei Sport und
Spiel Freude gehabt.“ Die meisten der Fotos aber zeigen ältere Herren in
grauen DDR-Anzügen. Es sind die Direktoren, Gewerkschafter, Parteisekretäre der Fabrik – allesamt Genossen,
mancher von ihnen auch ein „väterlicher Freund“. Heute kann Adelino
Massuvira – freundliches, rundes Gesicht, grauer Kinnbart – darüber
lachen: „Sie haben uns wie kleine Kinder behandelt“, sagt er.
Überhaupt
fällt auf, dass Massuvira während der Stunden, in denen man mit ihm
spricht, nie wütend oder verbittert wird. Nicht als er von Einsamkeit in
einem fremden Land spricht. Nicht als er von prügelnden Nazis berichtet. Auch nicht, als er erzählt, wie er von zwei Staaten ausgenutzt und betrogen wurde.
Adelino
Massuvira, der heute 62 Jahre ist und als Diakon im Süden Thüringens
arbeitet, ist sicher: Er hat Unrecht erlitten und verdient dafür eine
Entschuldigung vom deutschen Staat.
2021
unterzeichneten mehr als 100 Wissenschaftler:innen einen offenen Brief
an die damalige Bundestagsvizepräsidentin Dagmar Ziegler (SPD): Die
Bundesrepublik Deutschland habe es nach der Wende versäumt,
Verantwortung für Leute wie Massuvira zu übernehmen, eine finanzielle
Entschädigung sei überfällig.
Im vergangenen Jahr legte ein neues Gutachten der Bundesstiftung zur
Aufarbeitung der SED-Diktatur der Regierung nahe, eine „vereinfachte und
pauschalisierte Entschädigung dringend zu prüfen“. In diesem Jahr
schließlich hat es die Frage, welche Verantwortung Deutschland heute
noch für in der DDR verübtes Unrecht trägt, bis in den Bundestag
geschafft.
Blättert man zum Ende von Adelino Massuviras Fotoalbum, finden sich alte
Lohnzettel. Darauf eingetragen ist Geld, das ihm sein Betrieb zahlte –
und Geld, das ihm unter vagen Versprechungen vorenthalten wurde. Später
werde er es bekommen, hieß es, später, wenn er in seine Heimat
zurückkehre. Wie all seine Landsleute hat er es nie gesehen. Und wie sie
hofft Massuvira, dass sich das nun endlich ändert.
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