Matthias Lünzmann ist HSV-Fan und Dauerkartenbesitzer. Obwohl er Spielfeld und Ball kaum erkennen kann, begibt er sich zu jedem Heimspiel ins Stadion, ins Gewühl. Was treibt ihn an? Und wie erlebt er ein Spiel, das er nicht sehen kann?
Ein schwarz-weiß-blaues Menschenmeer flutet die schmale S-Bahn-Unterführung, schiebt einen voran, weiter, nur weiter, zum Volksparkstadion. Es geht vorbei am süßlichen Geruch von umgekippten Bierflaschen und Energy-Dosen, vorbei an Imbissständen, vorbei auch an wummernder Musik und explodierenden Böllern. "Das Schwierigste für uns", sagt Broder-Jürgen Trede, "ist es, die Leute überhaupt ins Stadion zu bekommen".
"Ich komme eigentlich immer", sagt Matthias Lünzmann. Wind, Wetter, alles egal - außer es findet sich keiner, der mich begleitet. Dann muss auch ich zuhause bleiben."
Matthias Lünzmann ist Fußballfan und Broder-Jürgen Trede der Mann, der ihm ermöglicht, seinen Hamburger Sportverein wieder im Stadion zu erleben.
Eine Stimme im Ohr, ein Vermittler. Denn das vermeintlich Wichtigste, das Spiel selbst, bleibt Matthias Lünzmann allein verschlossen. Zwar erkennt er, dass eine Mannschaft helle und eine dunkle Trikots trägt, an guten Tagen auch den Ball. Die Spieler aber nimmt er nur als Schemen, wie durch Milchglas hindurch, wahr. Wegen einer fortschreitenden Netzhaut-Erkrankung hat er seine Sehkraft über die Jahre bis auf zwei bis fünf Prozent verloren.
Zum heutigen Heimspiel ist er mit zwei Freunden aus dem Kegelverein gekommen, Andreas und Christopher – "den kenn ich schon, seit er so ist", sagt Matthias Lünzmann und schwenkt die Hand einen knappen Meter über den Boden. Er bewegt sich rasch und ohne Blindenstock durch den Innenraum des Volksparkstadions, auch die weißen Leuchtstreifen, die die Route markieren, beachtet er kaum. Der Gang zum Bierstand, zum Brezelwagen, alles Wege, die Lünzmann schon dutzende Male gegangen ist.
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