Das Brummen der Luftfilter ist in den Klassenräumen des Frankfurter Lessing-Gymnasiums längst zum alltäglichen Hintergrundrauschen geworden. Schon im Sommer wurden die Geräte angeschafft. Zu einem Zeitpunkt, als viele Schulträger noch zögerten, in die Technik zu investieren. Den Eltern am Lessing-Gymnasium aber stand da schon das Szenario eines weiteren ungemütlichen Pandemie-Herbstes vor Augen. Sich auf die langsam mahlenden Mühlen der Kultusbürokratie zu verlassen schien ihnen zu riskant.
Also legten sie zusammen und finanzierten Luftfilter im Wert von 30.000 Euro. Und jetzt, da das Virus wieder wütet und die Corona-Krise mit Rekord-Infektionszahlen zurück ist, erweisen sich die Geräte als "entscheidender Vorteil", sagt Frank Jockers. Seit sieben Jahren engagiert sich der Steuerberater im Förderverein am Lessing-Gymnasium – einem Gremium, das Wünsche wahr macht. Zwischen 2016 bis 2018 hat der Verein nach eigenen Angaben rund 87.000 Euro in die Schule gesteckt.
Lücken, die der Staat hinterlässt
In Deutschland haben zwei Drittel aller Schulen einen Förderverein – und es werden jedes Jahr mehr. Private Geldgeber springen in Lücken, die der Staat hinterlässt. Neue Akteure wie Stiftungen, Bildungsträger oder Fördervereine durchdringen zunehmend das deutsche Bildungssystem. 16 Millionen Menschen engagieren sich laut der Studie "Zivilgesellschaft in Zahlen (ZiviZ)" bundesweit ehrenamtlich in Bildungseinrichtungen. In den Fördervereinen sind es vor allem Eltern und Ehemalige, die sich einmischen und mitgestalten wollen. Das Deutsche Schulbarometer, eine repräsentative Befragung im Auftrag der Robert Bosch Stiftung und der ZEIT, stellt fest, dass an Gymnasien mittlerweile fast die Hälfte der Eltern Mitglied in einem Förderverein ist. An den Haupt- und Mittelschulen sind es rund 30 Prozent.
Bildung werde immer mehr zum gesamtgesellschaftlichen Thema, so erklärt Katja Hintze die vielen Vereinsgründungen. Die Vorsitzende der Stiftung Bildung, die deutschlandweit Schulfördervereine unterstützt, sagt, das Engagement von Eltern sei in den letzten Jahren geradezu explodiert. Maike Finnern, die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, überrascht der Boom nicht: "Bildung ist unterfinanziert. Seit 20 Jahren ist das spürbar." Nach Berechnungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau summiert sich der Investitionsstau bei Schulgebäuden mittlerweile auf 46,5 Milliarden Euro. Es seien diese sichtbaren Missstände, die Eltern dazu bewegen, sich an den Schulen einzubringen.
Selten geht es dabei um Millioneninvestitionen wie den Neubau einer Turnhalle. Meist sind es Anschaffungen wie Laptops und Tablets, die der Förderverein stemmt. Oder der Kauf von Klettergerüsten, Spielkisten und Büchern für die Bibliothek. Also all das, was die Schule zu einem Ort macht, an dem man gerne und besser lernt.
Gerade in Krisenzeiten zeigen sich die Stärken der Schulfördervereine: schlanke Strukturen, kurze Entscheidungswege, ein enger Draht zur Schule. Sei es die Integration von geflüchteten Kindern oder die Corona-Pandemie: Die Fördervereine leisten häufig Erste Hilfe, während die Politik sich noch sortiert.
Mr. Förderverein
In Berlin-Reinickendorf schlendert Andreas Kessel durch den Obstgarten der Stötzner-Schule. An einem großen Walnussbaum bleibt er stehen. Den habe er vor 20 Jahren als Setzling mit an die Förderschule gebracht, sagt der pensionierte Lehrer. Der Pausenhof sei damals ein trister Schotterplatz gewesen, mittlerweile stehen hier Klettergerüst, Waldpavillon und eine Fahrradwerkstatt. Auf dem Dachboden des alten Schulgebäudes zeigt Kessel ein Regal voller Skischuhe, Schneeanzüge und Skier. Ausrüstung für mehr als hundert Kinder, über viele Jahre aus Spenden finanziert. Denn Geld von reichen Eltern gibt es hier nicht. Viele Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien, die sich keine Skifreizeit leisten könnten. Der Förderverein, den Kessel mitgegründet hat, besteht deshalb vor allem aus Lehrerinnen und Lehrern. Als stellvertretender Vorsitzender des Bundesverbands der Kita- und Schulfördervereine hat er selbst Vereine in ganz Deutschland mitgegründet. Am Geld müsse kein Förderverein scheitern, sagt Kessel. Es gebe genug Wege, Spenden aufzutreiben, auch für ärmere Schulen: Stiftungen, Unternehmen, Wettbewerbe.
"Anders als früher ist das nicht mehr nur Elite. Es gibt an fast jeder Schule Fördervereine, und die sind sehr vielfältig", sagt Katja Hintze von der Stiftung Bildung: "Sie sind nah an den Bedürfnissen der Kinder dran und können spontan reagieren." In vielen Bundesländern sind Verbandsstrukturen entstanden, die bei Vereinsgründungen und bei der Finanzierung helfen. Die Stiftung Bildung fordert zudem mehr staatliche Finanzierungshilfe für Schulfördervereine, um etwa auch hauptamtliche Mitarbeiter bezahlen zu können. "Der Staat sollte ein Interesse daran haben, Fördervereine zu unterstützen", sagt Hintze. Gerade auch, weil sonst die Gefahr bestehe, dass Ausstattung und Möglichkeiten einer Schule stark davon abhängen, wie wohlhabend die Elternschaft ist.
Fördervereine als Ungleichheitsmotor?
Eine Studie der Humboldt-Universität Berlin stellt bei Fördervereinen eine "zunehmende Akademisierung des bürgerschaftlichen Engagements" fest. Zwischen 1999 und 2009 hat sich der Anteil der Engagierten mit einem niedrigen Bildungsabschluss halbiert. In leitenden Funktionen der Vereine kommen auf ein Mitglied mit niedrigem Bildungsabschluss 35 Engagierte mit Abitur. Und auch finanziell, das zeigt die ZiviZ-Studie, gibt es erhebliche Unterschiede: Während die meisten Fördervereine durchschnittliche Einnahmen von 10.000 Euro oder weniger haben, stehen rund zehn Prozent der Initiativen jedes Jahr mehr als 100.000 Euro zur Verfügung.
Für Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband sind Fördervereine vor allem ein "Qualitätssiegel", um das Image der Schule aufzupolieren. "Die verkaufen dir deine Schule." Für Lehrkräfte seien die Fördervereine wichtige Ansprechpartner, weil sie "Gelder ranschaffen und Löcher stopfen" – und so Projekte ermöglichen, die mit der staatlichen Finanzierung kaum zu realisieren sind. Fleischmann befürchtet, dass der Förderboom die bestehenden Ungleichheiten im Schulsystem zementieren könnte. "Ich erlebe, dass elitäre Fördervereine ihre Eliteschule noch mal elitärer machen. Die Spreizung wird größer." Fleischmann warnt vor einer schleichenden Privatisierung des Schulsystems.
Auch Katja Hintze sagt, dass Fördervereine oft staatliche Aufgaben übernehmen. So gebe es immer mehr Elternhäuser, die keine Sozialleistungen beziehen und dennoch die Kosten für Schulfahrten, Bücher und Materialien nicht allein stemmen können. "Hier springen dann die Fördervereine ein", sagt Hintze.
Mittelschulen wenig attraktiv
Winfried Gintschel steht auf dem Pausenhof seiner Schule – einer Asphaltfläche mit einzelnen begrünten Inseln. Der Würzburger Mittelschulrektor versucht gar nicht erst, die Probleme zu beschönigen: Der Pausenhof sei in einem "erbärmlichen Zustand". An den Sitzecken ist die Holzverkleidung morsch, mehrere Holzstelen sind herausgebrochen. Die Sanierung wäre Aufgabe des Schulträgers, doch bei der Stadt kommt Gintschel nicht weiter. Mindestens 40.000 Euro müssten investiert werden. "Das kann aber auch ein Förderverein unserer Größe nicht leisten", sagt er. Viele seiner Schülerinnen und Schüler kommen aus Familien mit Migrationsgeschichte; die Eltern haben oft zwei Jobs gleichzeitig. Interesse am Förderverein zeigt da kaum jemand. Auch bei potenziellen Sponsoren wird Gintschel immer wieder abgewiesen: "Sie glauben gar nicht, wie viele Klinken ich schon geputzt habe." Eine Mittelschule zu unterstützen sei für Firmen eben wenig attraktiv.
Fördervereine als Ungleichheitsmotor? Kai Maaz, Direktor des Leibniz-Instituts für Bildungsforschung, hält das für plausibel. Die privaten Initiativen könnten "ungleichheitsfördernde Effekte" haben, sagt Maaz. Strukturelle Unterschiede in den Elternmilieus – also Job, Einkommen und Bildungsniveau – würden sich in den Fördervereinen widerspiegeln. Schließlich verfügten Eltern mit Uni-Abschluss über mehr Wissen und die entsprechenden Kontakte, um Geld zu besorgen, Anträge zu schreiben und Vereinsmitglieder zu werben. Wenn im Vereinsvorstand ein Banker, ein Anwalt und ein Steuerberater sitzen, so wie am Frankfurter Lessing-Gymnasium, hilft das enorm. "Diese Netzwerkstrukturen gibt es in bestimmten Schulen einfach nicht", sagt Maaz – und plädiert deshalb für einen unterstützenden Ansatz: Wenn sich Eltern an Schulen einbrächten, dürfe dieses Engagement nicht erstickt werden. In sozial benachteiligten Milieus bräuchten die Vereine jedoch Starthilfe – nicht nur finanziell.
Belastbare Daten zur Wirkung von Fördervereinen fehlen in der Bildungsforschung bislang. Ein Manko, sagt Maaz und fordert mehr empirische Forschung zur Rolle der Zivilgesellschaft im Bildungssystem. Im Vergleich zu den frühen Jahren der Bundesrepublik schotten sich Schulen heute weit weniger ab. Stattdessen nehmen Kooperationen und Vernetzung zu, gerade auf lokaler Ebene. Wie sehr das die Lernkultur an den Schulen verändert, bleibt jedoch eine offene Frage. Auch die Politik interessiert sich nicht sonderlich für Fördervereine. Wie viel Geld private Initiativen vor Ort in die Schulen stecken, werde nicht erfasst, antworten die Bildungsministerien der Länder auf eine Anfrage der ZEIT. "Es wird einfach nicht hingeguckt, wo Ungleichheiten entstehen", kritisiert die GEW-Vorsitzende Finnern die Intransparenz der Geldflüsse.
Am Frankfurter Lessing-Gymnasium gibt es einen Physiklehrer, der richtig ins Schwärmen kommt, wenn er über den Förderverein seiner Schule spricht: "Ohne ihn könnte ich viele meiner Ideen im Unterricht gar nicht umsetzen", sagt Norbert Stützle. Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern, die viele neue Messgeräte erfordern, sei der Etat eigentlich immer zu klein. Stützle steht in einem der modernen Klassenräume, vor ihm ist ein Glaskolben aufgebaut. Das Fadenstrahlrohr, so der Name des physikalischen Spezialgerätes, hat der Förderverein für satte 7500 Euro angeschafft. Endlich kann Stützle seinen Schülerinnen und Schülern zeigen, wie sich winzig kleine Elektronen bewegen. Es sei ein Experiment, das "jeder Schüler mal gesehen haben muss" – aber längst nicht jeder sehen wird.
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