Monika Gemmer

Online-Journalistin, Frankfurt

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Geocaching: Für Entdecker

Na, finden Sie ihn, den Nano?

Meinen schönsten entdeckte ich an der Steilküste von Bansin mit spektakulärem Blick auf die Ostsee vor Usedom. Mein höchster liegt im Geröll auf 1900 Metern Höhe am Gipfel des Mount Washington in New Hampshire, USA. Und mein allererster wartete vor sechs Jahren unter einem Felsspalt am Fuße eines Römerturm-Nachbaus in der Nähe einer hessischen Kleinstadt im Taunus auf mich. Seitdem bin ich infiziert vom Geocaching, der Jagd nach versteckten Dosen.

Geocaches verbergen sich überall da draußen: Sie stecken in Astlöchern, Mauernischen und unter Baumwurzeln, kleben an Schildern und Zäunen, klemmen unter Brücken, in Rohröffnungen oder ausgehöhltem Holz, unter künstlichen Steinen, Grasbüscheln oder in präparierten Schrauben. Groundspeak, Betreiber der größten Geocaching-Plattform im Netz, zählt weltweit fast 2,5 Millionen Verstecke; allein in Frankfurt sind mehr als 1000 Caches registriert. Wer Rätsel liebt, sich gerne im Freien aufhält und geschichtsträchtige Plätze entdecken möchte, die nicht in jedem Reise- oder Stadtführer stehen, für den ist die Schnitzeljagd mit GPS-Unterstützung eine perfekte Freizeitbeschäftigung. Immer mehr kommen auf den Geschmack, auch weil Ortungstechnologie inzwischen in jedem Smartphone steckt: Weltweit halten laut Groundspeak rund sechs Millionen Menschen Ausschau nach den „geheimen Lagern", wie man den Begriff Geocache ins Deutsche übersetzen könnte.

Das Prinzip ist einfach: Der Eigentümer versteckt einen wasserdichten Behälter beliebiger Größe an einer öffentlichen zugänglichen Stelle. Oft fällt die Wahl auf einen historischen Ort, einen Platz mit besonderer Aussicht oder einfach ein idyllisches Fleckchen Erde, das als Geheimtipp gilt. Die Koordinaten dokumentiert der „Owner" samt einer Beschreibung auf einem der Geocaching-Portale. Mit diesen Angaben ausgestattet, können sich Mitspieler nun auf Schatzsuche begeben. Doch Vorsicht! Unauffälligkeit ist das oberste Gebot beim Geocaching. Außenstehende, nach den Harry-Potter-Romanen tragen sie die schöne Bezeichnung „Muggles", dürfen von der Jagd nichts mitbekommen - eine echte Herausforderung an stark frequentierten Plätzen wie der Konstablerwache, dem Römerberg oder einem der Frankfurter Parks an einem sonnigen Wochenende (und natürlich ist jeder von ihnen mit mindestens einer Dose versehen).

Sucher tarnen sich daher ganz gerne mal als bildungshungrige Touristen, die ausgiebig eine Inschrift studieren - etwa am Grab Johann Caspar Goethes auf dem Peterskirchhof, das selbstverständlich durch einen Geocache ganz in der Nähe geehrt wird, ebenso wie Stadtgärtner Weber im Nizza am Main, Onkel Otto im Dornbusch, wie Traxlers „Ich"-Denkmal nahe der Gerbermühle, Waechters Struwwelpeter-Weide in den Schwanheimer Wiesen und Gernhardts bronzenes Grüngürteltier am alten Bonameser Flugplatz. Geocaches locken in den Stadtwald, zum Goetheturm und in die Nähe der Schillerruh', zu den Ruinen des früheren Radiosender am Heiligenstock oder dem namenlosen Brunnen an der Darmstädter Landstraße, der wohl einst als Pferdetränke für die Kutscher in den Wartegässchen ringsum diente.

Wer bei der Suche stets eine Kamera parat hat, kann längere Aufenthalte plausibel machen, zum Beispiel auf einer der Mainbrücken, die natürlich allesamt mit einem Cache ausgestattet sind. In Grünanlagen gilt (neben dem ehernen Geocaching-Gesetz, die Flora nicht zu zertrampeln und auch sonst keinerlei Schäden anzurichten) das gemächliche Flanieren und Verweilen als Mittel der Wahl, um unauffällig zu wirken. Bewährt hat sich auch die Chamäleon-Taktik. Am Königsbrünnchen an der Oberschweinstiege können Geocacher, die richtige Jahreszeit vorausgesetzt, als eifrige Bärlauch-Sammler durchgehen. Wird das Versteck in Bodennähe vermutet, greift man zum Klassiker: Umständliches Schuhezubinden.

Manchmal erleichtern Hinweise die Angelegenheit - mal mehr, mal weniger verklausuliert. Eine präzise Angabe wie „In 1,30 Metern Höhe" erspart Grasflecken auf der Hose, aber auch das eher kryptische „Sechs Platten südlich und zwei Platten westlich von Anja und Stephan" entschlüsselt sich, wenn man erst einmal an der richtige Stelle der Main-Neckar-Brücke steht.

Der kleinste Geocache ist der „Nano", ein magnetischer Fingerhut zum Aufschrauben. Die gute alte Filmdose erlebt ihre Renaissance als „Micro". In größeren Behältern, von der Tupperware bis hin zur Munitionskiste, finden sich allerlei Tauschobjekte. Die Spielregel: Wer etwas herausnimmt, legt etwas Neues dafür hinein. Manchmal ist ein „Trackable" dabei, ein registrierter Gegenstand, der vom Finder zum nächsten Versteck mitgenommen werden soll. Die Reise solcher Geocoins oder Travelbugs kreuz und quer durch die Weltgeschichte ist anhand der eingravierten Kennung nachzuvollziehen. Ob groß, klein oder winzig: In allen Dosen findet ein Logbuch oder Logstreifen Platz, auf dem sich der Finder mit Spielername und Datum verewigt. Zusätzlich wird der Fund auf der Cache-Seite des Webportals „geloggt" und damit offiziell gezählt.

Das Spiel kennt eine ganze Reihe von Variationen: Beim herkömmlichen „Tradi" führen die angegebenen Koordinaten direkt zum Ziel. Den „Multi" spürt man über mehrere Zwischenstationen hinweg auf - eine Cache-Art, die selbst beim lauffaulen Nachwuchs die Lust aufs Wandern wecken kann. Oftmals knifflig sind die Mystery-Caches, die das Lösen von Aufgaben noch vor der eigentlichen Suche erfordern. Der Nacht-Cache ist mit Reflektoren versehen und zeigt sich nur im Dunkeln. Wer sich partout nicht die Finger schmutzig machen will, hält nach einem Earth-Cache Ausschau: Bei dieser Variante, in Frankfurt unter anderem am Senckenberg-Museum und im Enkheimer Ried platziert, finden die Spieler am Ziel keine Dose, sondern Hinweise, um dem Besitzer Fragen per Mail beantworten zu können.

Ein Trost für alle, die trotz intensiver Suche nicht fündig werden: An manchen Verstecken beißt man sich auch nach vielen Jahren des Schatzsucher-Daseins die Zähne aus. Unter all den Liebesschlössern am Eisernen Steg das eine zu finden, das in Wahrheit ein Geocache ist: Um dieses Erfolgserlebnis bemühe ich mich weiterhin hartnäckig. Aber nicht immer scheitert man an sich selbst. Gut möglich, dass das gesuchte Objekt einfach „gemuggelt" wurde.

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