Mona Linke

Freie Journalistin, Berlin

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Artikel

Nachhaltige Geldanlagen: Ganz ohne Gewissensbisse geht es nicht

© DEEPOL/​/​Kike Arnaiz/​Deepol/​plainpicture

Lieber Herr G.,

vermutlich haben Sie, bevor Sie Ihre Leserfrage abgeschickt haben, bereits im Internet nach einer Antwort gesucht. Und vermutlich sind Sie dabei auf die Websites der großen Banken und Vermögensberatungen gestoßen, die Ihnen genau das versprechen, wonach Sie suchen: eine Geldanlage, die Ihnen eine stabile Rendite einbringt und trotzdem keine Gewissensbisse bereitet. Wenn es so einfach wäre, dann hätte ich in diesem Moment vermutlich nicht Ihre Frage vor mir liegen. Oder ich bräuchte für meine Antwort nicht 100 Zeilen, sondern nur zwei, weil ich Ihnen einfach einen der unzähligen als nachhaltig vermarkteten Aktienfonds ans Herz legen würde (es gibt inzwischen verflucht viel Auswahl in dem Bereich). Aber die Lage ist, wie so oft, etwas komplizierter.

Es beginnt damit, dass "Nachhaltigkeit" in der Finanzwelt ein biegsamer Begriff ist. Noch sucht sich jeder Anbieter seine Nachhaltigkeitskriterien selbst aus, nach denen er seinen Finanzprodukten ein "ESG"-Label verpasst. Das Kürzel steht für Environmental, Social, Governance, also Klimafreundlichkeit, Arbeits- und Menschenrechte und eine verantwortliche Unternehmensführung. Diese Willkür wird sich ändern, wenn die geplante EU-Taxonomie in Kraft tritt, also ein einheitlicher Kriterienkatalog, der gewisse Mindeststandards für ESG-Produkte festschreibt.

Das Problem ist: Diese Standards werden nicht jedem gefallen. Das zeigt der aktuelle Streit um die Frage, ob Atomkraft als grün eingestuft werden soll. Wie schon im Alltag müssen Sie also zuerst Ihre eigenen Ansprüche an soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz definieren: Genügt es Ihnen, wenn Plastik und Pappe nicht in denselben Mülleimer wandern und bei gutem Wetter das Auto stehen bleibt? Oder kommen Ihnen nur kompostierbares Plastik und selbst angerührtes Waschmittel ins Haus? Das ist wichtig, weil in der Gesellschaft kein Konsens darüber herrscht, was moralisch vertretbar ist.

Unternehmen wie Amazon, Apple, Alphabet oder Netflix beispielsweise kann man für ökologisch unbedenklich halten, sie betreiben weder Erdöl-Pipelines, noch bauen sie Braunkohle ab. Nimmt man es ganz genau, müsste man sie aber für ihren CO₂-Fußabdruck rügen. Denn Rechenzentren und Streaming erzeugen einen gigantischen Strombedarf. Trotzdem sind ESG-Indizes voll von Tech-Unternehmen. Wo also ziehen Sie Ihre persönliche Grenze?

Ich empfehle einen Blick ins Factsheet eines Fonds oder ETFs. Dort steht etwa, in welche Branchen das genau fließt und welche zehn Unternehmen am stärksten gewichtet werden. Prüfen sollte man auch, nach welchen Kriterien ein ESG-Produkt von seinem Herausgeber zusammengestellt wurde.

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Übrigens: Je mehr Ausschlüsse vorgenommen werden, desto weniger Firmen stecken in einem Index oder Fonds, desto höher ist also das Risiko. Der MSCI World SRI Index enthält um die 400 Firmen, beim konventionellen Pendant sind es mehr als 1600. Den lupenreinen Öko-Fonds bekommen Sie also nur mit einem höheren Risiko, weil die Risiken sich auf weniger Unternehmen verteilen. Ich würde Ihnen deswegen eher eine halb grüne Anlage empfehlen. Oder Sie investieren nur einen Teil Ihres Vermögens eindeutig nachhaltig.

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Nach aktueller Studienlage ist ohnehin nicht geklärt, wie viel Gutes sich über grüne Investitionen am Kapitalmarkt bewirken lässt. An der Bilanz einer Firma ändert so ein grüner Aktienkauf zunächst einmal nichts. Denn als Privatanleger kaufen Sie die Aktie einem anderen Marktteilnehmer ab, das Geld fließt nicht an das Unternehmen selbst.

Von einem höheren Börsenkurs profitiert eine Firma langfristig zwar schon, wenn sie zum Beispiel neue Aktien begibt. Erst wenn die Nachfrage nach "schmutzigen" Aktien eines Tages spürbar nachlassen sollte, hätte das direkten Einfluss auf die Realwirtschaft, weil die Unternehmensführung ihre Politik dann ändern müsste. Doch an diesem Punkt sind wir noch nicht. Mancher Investor plädiert sogar dafür, dass Fonds bewusst in "Sünden-Aktien" investieren sollten, um ein Mitspracherecht bei den Hauptversammlungen zu haben und Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen ausüben zu können.

Was auch am Ende der richtige Weg sein mag: Auf der sicheren Seite sind Sie, wenn Sie im echten Leben grüner investieren, etwa in den teureren Zug statt das Flugzeug oder in fair produzierte Produkte. Denn ein Braunkohle-Unternehmen wird so schnell keine Fotovoltaik-Anlagen herstellen, wenn es genügend Abnehmer für den konventionellen Strom gibt. Und ein Autobauer wird schneller von seinen Benzinern ablassen, wenn die Kundschaft andere Modelle verlangt. Ihre Mona Linke

In unserer neuen Kolumne beantworten wir nun jede Woche eine Geldfrage. Es schreiben im Wechsel: Mona Linke, Redakteurin beim Online-Portal Finanzfluss, und der langjährige ZEIT-Autor Rüdiger Jungbluth. Stellen Sie hier Ihre Fragen.

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