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Katarina Barley - eine Leisetreterin an der Spitze

SPD-Politikerin und Europaparlamentsvizepräsidentin Katarina Barley ist die Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl 2024. Im Wahlkampf will sie Europa gegen rechts verteidigen und hat bereits einen Plan.

Katarina Barley kennt den Berliner Politbetrieb gut, und doch erwischen dessen Eigenheiten die frühere Bundesjustizministerin bisweilen auf dem falschen Fuß. So machte sie am Dienstag mit einer angeblichen Forderung nach eigenen Atomwaffen für die EU Schlagzeilen – und erntete dafür Kritik und Spott. Dabei hatte die SPD-Politikerin eigentlich nur zurückhaltend auf eine direkte Interviewfrage dazu geantwortet.

Dass sie etwas bewegen kann, merkt Katarina Barley bereits als Kind. Als 8-Jährige geht sie mit ihrem Bruder Unterschriften für einen Spielplatz sammeln. Inzwischen sei es der schönste Spielplatz Kölns, sagt Barley. „Ich habe immer daran geglaubt, dass man sich für das einsetzten muss, das man für richtig hält.“ Diese Einstellung führt die nun 55-jährige SPD-Politikerin und Feministin 2019 ins Europaparlament, dessen Vizepräsidentin sie ist.

 

Aufgewachsen als Tochter eines Briten und einer Deutschen in Köln, studiert sie Jura in Marburg und Paris. Als eine der ersten Erasmus-Studierenden profitiert sie früh selbst von der EU. Nach ihrer Promotion arbeitet sie als Juristin in einer Kanzlei, später am Bundesverfassungsgericht, eine Zeit, von der sie bis heute schwärmt. Anschließend ist sie Richterin in Trier und arbeitet im rheinland-pfälzischen Justizministerium in der Europaabteilung. Die SPD macht sie zur Europabeauftragten. „Europa zieht sich durch mein Leben“, sagt Barley. Sie hat die deutsche und britische Staatsangehörigkeit.

 

Der Schritt auf die große Politikbühne kommt zufällig: Bei einer Landratswahl 2005 verliert Barley knapp, das Ergebnis ist aber so gut, dass sie beschließt, mehr politisch zu wagen. Aber sie zweifelt. „Ich bin ein sehr empfindsamer Mensch, ehrlich und direkt. Ich dachte lange, dass man mit so einer Art nicht in die Politik gehen kann.“ Doch nachdem sie 2013 in den Bundestag einzieht, steigt Barley in der SPD schnell auf: Justiziarin, Mitglied im Ältestenrat, Generalsekretärin. In der Großen Koalition wird sie 2017 erst Familienministerin, 2018 Justizministerin. Unter ihrer Weisung stimmt Deutschland 2019 für die umstrittene EU-Urheberrechtsreform. Dann die Überraschung: Barley kandidiert für die Europawahl – und gewinnt. Ihre Begeisterung für Europa zieht sie nach Straßburg. „Innerlich muss ich immer lächeln, wenn ich an Europa denke“, sagt sie. Damit ist sie die einzige Bundesministerin, die je ein solches Amt für die EU geräumt hat.

 

Die Entscheidung habe sie nie bereut, sagt Barley. „Ich bin nicht für mich selbst in die Politik gegangen, sondern weil ich Verantwortung übernehmen wollte.“ Im EU-Parlament setzt sie sich für die Rechte von Arbeitnehmer:innen, die Stärkung von Gewerkschaften und Betriebsräten sowie digitale Sicherheit ein und dafür, dass rechtsstaatliche, demokratische Werte eingehalten werden. Als Erfolge seit 2019 sieht sie den Digital Service Act gegen Hass und Hetze im Netz, die Mindestlohnrichtlinie und das Recht auf Reparatur: Unternehmen müssen kaputte Geräte dann in der Garantiezeit kostenlos reparieren.

 

In der kommenden Legislatur will Barley das europäische Projekt verteidigen, vor allem gegen rechts. „Wir müssen verhindern, dass demokratische Parteien Rechtsradikalen die Türen öffnen und sie so normalisieren“, sagt Barley. Damit spielt sie auf Schweden an, wo die konservative Regierung von Rechtspopulisten toleriert wird. Umso wichtiger sei es gewesen, dass Polen die rechtsnationale Regierung abgewählt hat. „Fuchsteufelswild“ habe es sie hingegen gemacht, dass die EU-Kommission Ungarns Präsidenten Orbán lange nicht für Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit sanktionierte.

 

Bei der Wahl im Juni hofft sie auf ein „pro-europäisches Signal“. Dafür müsse den Wähler:innen klargemacht werden, was es bedeuten würde, wenn sich Anhänger:innen einer AfD oder einer Marie Le Pen durchsetzen. „Wir, die Bürgerinnen und Bürger, spielen dann keine Rolle mehr. Dann zählt nur noch nationaler Egoismus“, prognostiziert Barley und sagt: „Wir dürfen den Friedensgaranten der EU nicht aufs Spiel setzen.“


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