Den Eurovision Song Contest kennt jeder, aber schon einmal was von der Jewrovision gehört? Im Düsseldorfer Jugendzentrum Kadima bereiten sich jüdische Jugendliche auf das jüdische Großereignis des Jahres vor. Ein Besuch.
Füße treten auf der Stelle, Arme hoch, runter, kurz stehen. Ein Sprung zur Seite, ein Schritt zurück, einer nach vorne, Drehung. Wäre der dunkelbraune Holzboden ein Spiegel, er könnte die Schrittfolge schon auswendig. Der Bass aus einer schwarzen Boombox vibriert über den Boden. "Eins, Zwei, Drei, Vier, mehr Spannung, let's go." Erik Schäfer nickt im Takt mit. Ernst und konzentriert dreinblickend schaut er in die Gesichter von rund zwanzig Kindern und Jugendlichen, die jüngsten sind 10, die ältesten 16 Jahre alt. "Zieht durch, mehr Spannung", sagt er. "Arme hoch, macht euch groß." Er versucht es ohne Musik, tanzt mit. "Könnt ihr bitte mal aufpassen? Ich kann die Schritte ja alle", sagt Schäfer, versucht ein sanftes Lächeln. Doch er ist nervös. Denn in weniger als vier Wochen wollen die Kinder und Jugendlichen des jüdischen Jugendzentrums Kadima in Düsseldorf mit ihrer Performance die Jewrovision gewinnen.
Seit 2013 richtet der Zentralrat der Juden in Deutschland die Jewrovision aus: Europas größten jüdischen Musik- und Tanzwettbewerb, der an den Eurovision Song Contest angelehnt ist. Jüdische Jugendzentren und Verbände, dreizehn sind es 2023, davon fünf aus Nordrhein-Westfalen, treten bei der Jewrovision in Frankfurt gegeneinander an. Dafür covern sie bekannte Songs und führen diese mit eigener Choreografie und selbst geschriebenem Liedtext auf. Jede Gruppe reicht zudem ein Vorstellungsvideo ein, das ihre Gemeinde repräsentiert.
Beides bewertet eine Jury. Das diesjährige Motto: "Don't stop believing!" An die Show knüpft sich eine "Mini-Machane" an, eine Jugendfreizeit, bei der alle gemeinsam Schabbat, also den im jüdischen Glauben verankerten wöchentlichen Ruhetag, feiern. Teilnehmen dürfen Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 19 Jahren. Das Jugendzentrum Kadima gehört jedes Jahr zu einem Hauptanwärter auf den Titel. 2022 konnten die Jugendlichen den Video-Preis nach Düsseldorf holen. Für viele ist die Jewrovision das Highlight des Jahres.
Während die anderen Jugendlichen und Kinder an diesem Sonntagnachmittag Ende April Sneakers, Leggins, Jogginghose, T-Shirt und Sweatshirts tragen und versuchen den Anweisungen von Choreograf Schäfer zu folgen, trägt Kaplan Jeans und sitzt am Rand. Als einziger im Gemeinderaum trägt er eine Kippa, die traditionelle religiöse Kopfbedeckung jüdischer Männer. Sie ist blau mit weißem Davidstern. Kaplan ist im Jugendzentrum aufgewachsen. Sein Vater ist seit 2008 Rabbiner der Düsseldorfer Gemeinde. Schon mit fünf Jahren kam Michael Kaplan ins Jugendzentrum, mit 15 wurde er "Madricha", also Jugendbetreuer. "Ich bin von Herzen ein Kadima-Mensch. Und ich werde, egal wo ich lebe, immer für Kadima und für Düsseldorf sein. Das ist meine Heimat."
Die jüdische Gemeinde in Düsseldorf, die in Golzheim, nördlich der Innenstadt liegt, ist mit 7.000 Mitgliedern eine der größten jüdischen Gemeinden Deutschlands - nur Berlin und München sind größer. Fast 90 Prozent der Mitglieder stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Kadima, was Hebräisch ist und so viel wie "Vorwärts" bedeutet, ist ein wichtiger Bestandteil des Gemeindelebens. Denn das Jugendzentrum bietet jüdischen Kindern und Jugendlichen einen geschützten Raum, einen Raum, in dem sie nicht komisch angeguckt werden, wenn sie einen Davidstern, eine Kippa oder ein Shirt mit hebräischen Schriftzügen tragen. "Wir wollen zeigen: Wenn du jüdisch bist, dann vergiss das nicht und steh dazu", sagt Kaplan.
Bis zur großen Show in Frankfurt am 19. Mai haben die Jugendlichen noch einige Probestunden vor sich. "Wir werden gewinnen", sagt Kaplan und lächelt. "Aber selbst wenn nicht: Hauptsache die Kinder haben Spass." Und Hauptsache er kann dann wieder auf der Bühne stehen und Kadima Düsseldorf stolz machen.
Die Jewrovision 2023 findet am 19. Mai in Frankfurt am Main statt. Ab 14:30 Uhr kann man die Veranstaltung im Livestream auf dem YouTube-Kanal „Jewrovision" verfolgen.