Nach der Trennung ihrer Eltern wird Nina zur Hauptbezugsperson ihrer Mutter. Was sie erst zusammenschweißt, wird zu einem ungesunden Abhängigkeitsverhältnis.
Als Ninas* Handy klingelte, frühstückte sie gerade mit ihrer Großtante. Auf dem Display leuchtete der Name ihrer Mutter auf. Nina nahm ab, schon ahnend, dass das gemütliche Wochenendfrühstück gleich vorbei sein würde. Am anderen Ende heulte und schluchzte ihre Mutter so sehr, dass Nina kein Wort verstand. "Ich habe richtig Panik bekommen. Ich dachte, mein Bruder wäre gestorben", sagt Nina heute. Damals fuhr sie sofort nach Hause. Dort angekommen, fand sie ihre Mutter heulend auf dem Küchenboden, ihr damals zwölfjähriger Bruder und der Hund standen daneben, unversehrt. Ihre Mutter hatte den Brief einer anderen Frau an ihren damaligen Partner gefunden. Sie war der festen Überzeugung, er betrüge sie. "Das war der Moment, in dem ich beschlossen habe: Ich muss hier weg", sagt Nina.
Kinder haben ein Recht darauf, unbeschwert aufzuwachsen, umsorgt zu werden, einfach Kind zu sein. Doch was, wenn ein oder beide Elternteile es nicht schaffen, ihrer Rolle gerecht zu werden? Mehr noch: Was, wenn es die Kinder sind, die sich um die Eltern kümmern müssen? In diesen Fällen spricht man von Parentifizierung, also einer Rollenumkehr zwischen Eltern und Kind. Genau das erlebte Nina.
Dabei war die heute 25-Jährige lange stolz, eine junge Mutter zu haben, nur 20 Jahre liegen zwischen ihnen. Bis heute fühle sich ihre Beziehung nicht an, wie eine zwischen Mutter und Tochter, sagt sie, eher wie Freundinnen. Freundinnen, die - als Nina noch zu Hause wohnte - Filmabende zusammen machten, gemeinsam backten oder shoppen gingen.
Damals hab' ich mich fast ein wenig geschmeichelt gefühlt, weil ich dachte: Meine Mutter gibt so viel auf meine Meinung und denkt, dass mein Input wertvoll ist. Nina
Ein bisschen wie bei Lorelai und Rory Gilmore aus der TV-Serie Gilmore Girls. Als Teenie habe es ihr oft gefallen, eine Mutter zu haben, die nicht so streng war wie andere. Nina hatte nie Hemmungen, sich ihrer Mutter anzuvertrauen. Sie habe ihr vom Schulhoftratsch erzählt und wie sie zum ersten Mal Gras rauchte. Und dieses Vertrauen habe sie auch in die andere Richtung gespürt, wenn ihre Mutter ihr beispielsweise von Problemen auf der Arbeit erzählt habe. "Damals hab' ich mich fast ein wenig geschmeichelt gefühlt, weil ich dachte: Meine Mutter gibt so viel auf meine Meinung und denkt, dass mein Input wertvoll ist." Es gab ihr das Gefühl, reifer zu sein als andere in ihrem Alter.
Freundschaftlich, weniger autoritär, zu nahManche wünschen sich genau so eine Beziehung zu ihrer Mutter: freundschaftlich, weniger streng, weniger autoritär. Das kann jedoch zum Problem werden, sagt Philipp Ruland, Psychotherapeut aus Saarbrücken: "Ein liebevoller, freundschaftlicher und respektvoller Umgang miteinander ist natürlich in Ordnung." Gleichzeitig sollten Eltern nicht vergessen, dass sie Autoritätspersonen sind. "Sie sind dafür verantwortlich, den Kindern den Weg im Leben zu ebnen." Wenn das Kind die Rolle eines Seelentrösters übernehmen müsse, überschreite das die Grenze einer freundschaftlichen Mutter-Tochter-Beziehung. Dieses Beziehungsgefüge könne Kinder und Jugendliche nachhaltig schädigen, sagt Ruland.
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In der Beziehung zu ihrer Mutter war Nina schon früh die Ratgeberin und Problemlöserin. "Ich habe mich gefühlt, als wäre ich die Mutter, die auf ihre Tochter aufpassen muss", sagt sie. Ninas Mutter bezog sie ständig in ihre Probleme ein - wenn es um Ärger auf der Arbeit ging oder um Probleme in ihrer Beziehung. Dinge, die man mit einer engen Freundin oder dem Partner bespricht. Mit einer Person, die nicht verurteilt, bei der man sich ausheulen kann und die zuhört, wenn man sie braucht. Nina war diese eine Person für ihre Mutter.
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