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Wahlkampf mit Angela Merkel

Bild: bento / Mirjam Banz


Ein Land, zwei Realitäten - der Wahlkampf bringt sie zum Vorschein.

Es gibt, so scheint es oft in diesem Wahlkampf, zwei Bundesrepubliken: Die Bewohner der einen Republik fühlen sich bedroht von einer angeblichen Islamisierung. Sie fürchten sich vor einer Diktatur und dem inneren Zerfall. Die Bewohner der anderen sind vollbeschäftigt, sie sonnen sich in selbstzufriedener Stabilität trotz turbulenter Zeiten. Die beiden Gruppen treffen sich selten, höchstens in Talkshows. Dort streiten ihre Repräsentanten erbittert darum, was denn nun die Wahrheit sei. Aber beide Seiten haben eine Symbolfigur auserkoren:

Angela Merkel.

Auf die hier, vor dem Eingang der belasso-Halle in Schwerin, alle warten: Die Unterstützer und die Wütenden stehen in kleinen Grüppchen auf einem Parkplatz. Sie reden nicht miteinander. Kurz vor 18 Uhr, in wenigen Minuten soll die Kanzlerin ankommen, Menschen drängeln, die Security-Mitarbeiter rufen zur Ordnung. "Ruhe jetzt! Wer sich benimmt, kommt rein." Die Stimmung ist aufgeheizt.

Angela Merkels Wahlkampfauftritte der letzten Wochen waren vor allem eines - anstrengend. Sie wurde ausgepfiffen, ausgebuht und mit Tomaten beworfen. In Bitterfeld und in Brandenburg waren die Proteste so laut, dass die Kanzlerin kaum zu Wort kam. In Schwerin will die CDU alles richtig machen.

Eigentlich sollte die Veranstaltung auf dem Marktplatz stattfinden. Dann wurde alles kurzfristig in eine geschlossene Halle verlegt. Wegen schlechtem Wetter, sagt die CDU. Wegen schlechtem "Volkswetter", schrieb eine rechts-konservative Onlinezeitung. Selbst hier werden sich die Bewohner der zwei Bundesrepubliken nicht einig.

Für beide nervig: Die Busfahrt zur Veranstaltungshalle dauert 20 Minuten, ein Stück geht über die Autobahn.

Deutschland Nummer eins, das Land mit den vielen Thor-Steinar-Shirt-Trägern, hat sich gut auf den Wahlkampf vorbereitet. Es gibt einen regelrechten Merkelbashing-Tourismus:

Rechte Facebook-Gruppen riefen mit nationalistischen Hashtags zu geschlossenen Protest auf. Manche Seiten veröffentlichten eine Liste mit allen Wahlkampfterminen der Kanzlerin. Mitglieder wurden aufgefordert, jeden dieser Termine zu stören. Und tatsächlich, auf der Zufahrtsstraße zur Veranstaltungshalle schallen mir erste "Heil Merkel"-Rufe entgegen.

„Wir müssen der mal zeigen, dass wir sie nicht wollen. Ich bin kein Nazi, aber so kann es doch nicht weitergehen."

Deutschland zwei ist aber auch präsent: Carla, 20, und Louise, 19, kommen aus Merkels Wahlkreis und wollen die Chance nutzen, sie live zu sehen. „Ich war auch schon bei Sarah Wagenknecht und Martin Schulz", sagt eine andere junge Frau. "Ich mache mir immer gern selbst ein Bild von den Leuten." Die drei dürfen später in der Halle der Kanzlerin zuhören.

Viele andere werden nicht reingelassen - vielleicht, weil sie bei den Bewohnern des unzufriedenen Deutschlands stehen. Vielleicht auch, weil die Halle voll ist. "Hat die Kanzlerin Angst vor uns?" fragen sie. Offizielles Statement: Kein Kommentar.

Währenddessen in der Halle: Eine Schlagerband spielt Wohlfühl-Musik. Für fünf Euro bekommt man fünf Kekse mit Käse. Auf jedem Platz liegt ordentlich zurechtgerückt ein buntes Schild in Deutschland-Farben. Eine Gruppe junger syrischer Männer betritt den Raum. Sie haben mit ihrer Lehrerin ein Projekt erarbeitet, um sich bei "Frau Merkel" zu bedanken. Auf ihren Plakaten steht: " Wir lieben dich Merkel." und "Wir wollen lernen, arbeiten und leben." Sie werden sofort in die erste Reihe gesetzt.

Denn dieses Deutschland, das Deutschland Nummer zwei, will bunt sein, herzlich, voller Chancen.

Draußen auf dem Parkplatz schallen währenddessen NPD-Parolen aus einem Lautsprecher: "Die Politik hat die deutsche Frau zum Freiwild erklärt. Wehrt euch!"

Kurz bevor Angela Merkel eintrifft, werden die Proteste lauter. Menschen, die nicht reinkommen, fühlen sich übergangen.

Drinnen: Merkelliebe. Draußen: Merkelhass.

Als die schwarzen Limousinen dann endlich vorfahren, bricht ein Pfeifkonzert aus. "Volskverräterin" und "Stasischlampe"-Rufe tönen durch die Menge. Innerhalb von zwei Sekunden ist die Kanzlerin drin. Und der ganze Protest bleibt draußen.

Und tatsächlich. Auf der Zufahrtsstraße zur Veranstaltungshalle schallen mir erste "Heil Merkel"-Rufe entgegen. Da ist sie also, die Gruppe, die quer durch Ostdeutschland tourt um Angela Merkel und ihre Unterstützer möglichst übel zu beschimpfen.

Drinnen feiert die Partei sich selbst. Merkel hält ihre "Wir schaffen das"-Rede und bedenkt die üblen Pöbler lediglich mit einem kurzen Kommentar:

"Das kann ja auch nicht Demokratie sein, wenn man seine Meinung nur mit Pfeifen ausdrückt."

Dabei hat das andere Deutschland, das vor der Tür skandiert, es auf einem anderen Weg schon längst in die Halle geschafft: Der Ton der Kanzlerin wird spürbar härter. Das Themen Sicherheit rückt immer weiter in den Vordergrund in diesem Wahlkampf. Sie wolle dafür sorgen, dass Bürger auch vor steigenden Einbruchzahlen geschützt werden, sagt Merkel. Vor organisierter Kriminalität aus dem Ausland und der Gefahr des Islamismus.

Aber das reicht ihnen nicht, den Einwohnern dieses Landes. Sie bleiben wütend.

Auf dem Weg nach draußen trennt eine Reihe Polizisten die NPD-Demonstranten von den Merkel-Unterstützern. "Schämt euch!" rufen beide Seiten.

Es gibt, so scheint es oft in diesem Wahlkampf, zwei Lager in Deutschland. Und die Symbolfigur, die sie beide gewählt haben, Angela Merkel, hat es nicht ansatzweise geschafft, sie zu vereinen.

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