Miriam Eckert

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Zürich

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Jetzt übernehmen die Töchter den Weinberg

Zwei junge Winzerinnen führen die Weingüter ihrer Familien weiter. Hier erzählen sie von ihren Arbeitsalltag zwischen Weinberg und Keller - und geben Tipps für die Nachfolge im Familienbetrieb.

Schuften im Weinberg und kämpfen gegen Vorurteile: Frauen haben es nicht leicht als Winzerinnen, gilt doch der Winzerberuf als klassische Männerdomäne. Trotzdem studieren immer mehr Frauen Weinbau und -technik. Waren 1990 noch 120 Männer und drei Frauen für Weinbau und Oenologie an der Hochschule Geisenheim eingeschrieben, sind jetzt fast 50 Prozent der Studenten Frauen.

Einige der jungen Winzerinnen führen nach dem Studium das elterliche Weingut weiter - und sind damit etwas Besonderes: Werden doch Familienunternehmen bislang selten von den Töchtern übernommen, wie beispielsweise die Studie von „ generation töchter " belegt. Wir stellen zwei von ihnen vor.

„Ich dachte immer, ich muss alle Weine trocken machen, aber das ist Quatsch" Christiane Koebernik hat das Weingut Emmerich-Koebernik von ihren Eltern übernommen. Vor drei Jahren ist die heute 28-Jährige in den Betrieb der Eltern in Waldböckelheim eingestiegen. Wie es dazu kam und welche Tipps sie für andere Töchter hat, die die Nachfolge in Familienbetrieben antreten möchten.

Ich als Winzerin? Mit 15 Jahren konnte ich mir das nicht vorstellen. Aber über Umwege kam ich wieder zum Wein zurück. Der Vorteil: Jetzt weiß ich wirklich, was ich will. Mit 25 bin ich in den Betrieb meiner Eltern eingestiegen. Vorher habe ich Weinwirtschaft studiert.

Die Übernahme des Familienbetriebs, mittlerweile in neunter Generation, ist nicht wie ein Schnitt, sondern ein schleichender Prozess. Am Anfang hatte ich kaum Verantwortung, dann langsam immer mehr. Ich durfte mitentscheiden und eigene Ideen einbringen. Wir haben viele neue Dinge angefangen - von Social Media, Newslettern und neuer Homepage bis hin zu GPS-Touren für Besuchergruppen im Weinberg. Aktuell bauen wir eine Vinothek auf dem Hof, haben zwei Hektar Weinberg dazugekauft und ich habe meine eigene Weinlinie „Bock auf Wein" herausgebracht.

Als Frau den Winzerberuf auszuüben, war für mich nie merkwürdig. Auch meine Mutter hat damals den Betrieb übernommen. Ende der 60er-Jahre hatte sie mit mehr Widerständen in der Branche und der Region zu kämpfen, weil man ihr als Frau den Beruf nicht zutraute.

Auch ich musste meine Stärken und Schwächen erst selber herausfinden. Eine meiner Schwächen ist zum Beispiel das Traktorfahren im Weinberg: Damit habe ich erst spät angefangen und gebe es heute gerne ab. Auch in der Weinbautechnik musste ich nach dem Studium noch viel lernen. Vor allem die Praxis fehlte mir, im Weinberg wie im Keller. Diese Erfahrungen musste ich in den vergangenen drei Jahren aufholen.

Was ich heute anders machen würde? Anfangs war ich sehr ungeduldig. Jetzt weiß ich: Es muss sich nicht immer alles sofort ändern. Besser man ist entspannt und bringt seine Ideen ein, ohne die Werte der Eltern aufzugeben. Ich dachte immer, ich muss alle Weine trocken machen, aber das ist Quatsch. Man lernt, dass die Eltern viel Ahnung und Fachwissen haben und dass es sich nicht lohnt, auf jeden Trend aufzuspringen, zum Beispiel dass jeder Wein trocken sein muss. Anfangs habe ich mich irritieren lassen von anderen jungen Winzern, die ein paar Jahre älter sind als ich. Aber das war ein Irrweg. Es geht darum, seinen eigenen Weg zu gehen.

„Mein Standardspruch ‚Das machen wir jetzt anders' provoziert meine Eltern bestimmt" Seit vier Jahren arbeitet die 28-jährige Kathrin Otte auf dem Weingut Mehling ihrer Eltern. Im kommenden Jahr soll sie Teilhaberin des Betriebs werden.

Es war ein Herbst mit Wetterkapriolen und starkem Regen. Plötzlich musste in den Weinbergen meiner Eltern alles ganz schnell gehen. Es war wie ein Marathon, pausenlos haben wir die Trauben gerettet und zum Weingut gebracht. Da war mir plötzlich klar: Ich möchte Winzerin werden. Das war 2006, ich war 19 Jahre alt und hatte gerade das Abitur geschafft. Eigentlich hatte ich schon andere Pläne, träumte vom Radio. Meine Eltern hatten mir nie Druck gemacht, den Betrieb zu übernehmen. Es hieß immer: Wenn Du nicht mit Herzblut dabei bist, dann mach lieber etwas anderes. Aber dann waren auch sie überzeugt: Wer sich nach so einem Herbst für den Winzerberuf entscheidet, der meint es ernst.

Bis 2011 habe ich Weinbau studiert, in anderen Betrieben mitgearbeitet und Praktika in der Weinvermarktung gemacht. Darüber habe ich nicht nur die eigenen Produkte besser kennen gelernt und mich stärker mit dem Betrieb meiner Eltern identifiziert. Ich habe auch erkannt, dass ich beides möchte: eigene Weine herstellen und sie selbst vermarkten. Seit 2011 arbeite ich bei meinen Eltern, erst in Teilzeit und parallel in einem anderen Weinbaubetrieb, dann Vollzeit. Mein Vater gibt immer mehr Aufgaben an mich ab: zuerst das Qualitätsmanagement im Weinberg und die Traubenauswahl, dann den Keller. Er sagt immer: „Ich lasse Dir alle Freiheiten, aber schmecken muss er und trocken soll er sein."

Trotzdem gibt es natürlich Diskussionen und es können mal die Fetzen fliegen. Diskutiert wird zum Beispiel über die Fässer. Mein Vater hat in den vergangenen Jahren den ganzen Keller auf Edelstahl umgestellt. Ich würde gerne wieder Holzfässer wie früher haben und die Spontangärung wieder einführen. Mein Standardspruch „Das machen wir jetzt anders" provoziert meine Eltern bestimmt, aber sie freuen sich auch über meine Motivation und die vielen Ideen. Sollte die Diskussion einmal hitzig werden, gibt es in meiner Familie den Grundsatz: „Jede Stimme zählt gleich viel und niemand geht wütend auf den anderen ins Bett."

2013 bin ich voll in den Betrieb eingestiegen und auch mein Freund arbeitet seit einem Jahr mit uns. Wir haben die Weinbergfläche auf neun Hektar erweitert und bewirtschaften sie nur zu viert. Bei der Nachfolge sind wir mitten in einem fließenden Übergang. Manchmal bin ich für meine Eltern noch das kleine Mädchen, aber sie lassen mir auch viele Freiheiten. Zum Beispiel habe ich die Homepage und die Etiketten neu gestaltet. Seit 1988 bewirtschaften meine Eltern die Weinberge kontrolliert umweltschonend. Aber sie wollten damit nie werben. Nach der dreijährigen Umstellung steht das Bio-Siegel nun offiziell auf den Etiketten.

Im Keller habe ich anfangs vieles so gemacht wie mein Vater. Diskussionen bin ich aus dem Weg gegangen. Ich wollte die Mitarbeit langsam angehen lassen und meine Eltern nicht überrumpeln. Deshalb ich damals nicht gleich alle Ideen umgesetzt und mich im ersten Jahr eher mit kleinen Dingen eingebracht. Jetzt bin ich 28 Jahre alt und fühle mich gut eingearbeitet. Ich arbeite selbstständiger, nehme mir kleine Niederlagen nicht mehr so zu Herzen. Und ich bin geduldiger mit meinen Eltern und mit mir selbst.

Das Gute an der langsamen Übergabe: die Mischung aus Tradition und Erfahrung. Ich kann auf die jahrelange Erfahrung der Eltern zurückgreifen und mir so einige Fehltritte ersparen. Aus dem Studium bringe ich wiederum neue Ideen und moderne Techniken mit. Diese Kombination ist mehr als praktisch. Scheurebe, Muskateller und Kabinettweine sind zurück. Zudem trinken Liebhaber diesen Sommer „Natural Wine".Ein Interview zu den Weißwein-Trends des Sommers

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