Miriam Eckert

Freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Zürich

9 Abos und 4 Abonnenten
Artikel

„Krebs ist ein Arschloch - hilfst Du mir?"

Unternehmer Claudius Holler hat Krebs, die Krankenversicherung zahlt nicht: Er ist mit den Beiträgen in Rückstand. In einem bewegenden Youtube-Video bat er um finanzielle Hilfe - und wirft damit ein Schlaglicht auf ein gesellschaftliches Problem.

Für Selbstständige ist es ein Alptraum: die Diagnose Krebs - und die Krankenversicherung zahlt nicht. Was kann man dann tun?

Das fragte sich auch der Hamburger Unternehmer Claudius Holler. Der 38-Jährige hat keinen Krankenversicherungsschutz, jetzt wurde Hodenkrebs bei ihm festgestellt. Die Rechnung für den Arzt, der das festgestellt hat, konnte er noch nicht bezahlen, auch für die Behandlung fehlt das Geld.

In einem Youtube-Video „Krebs ist ein Arschloch - hilfst Du mir?" bittet er deshalb um finanzielle Unterstützung - und findet Gehör. Die Resonanz im Netz auf Hollers Aufruf ist riesig. Über 54.000 Mal wurde sein Clip seit Ende März bereits geklickt (Stand: 4. April). Insgesamt 9000 Euro erhofft sich Holler durch Spenden - für den Anfang. Denn wenn Chemotherapie und längerer Arbeitsausfall hinzukommen, reicht das Geld lange nicht.

Leetmate-Zulieferer ging insolvent

Claudius Holler ist freiwillig gesetzlich versichert. Er ist Gründer der Firma Leetmate und vertreibt seit 2010 mit seinem Bruder eine Limonade mit Koffein, die auch unter dem Namen „Hackerbause" bekannt war. Alles lief gut, doch dann geriet der Abfüller in wirtschaftliche Schwierigkeiten. „Wir haben dem Insolvenzverwalter vertraut, dass es in wenigen Monaten weitergeht, aber dann ging die Firma doch insolvent. Bis wir einen Ersatz gefunden hatte, dauerte es", erzählt Holler auf impulse-Anfrage. „Wir hatten viele Kundenanfragen, aber kein Produkt." Die Folge: acht Monate Stillstand, rund 100.000 Euro Umsatzausfall - während die Fixkosten weiterliefen. „Wir konnten nur an uns sparen und haben uns selbst gekündigt", sagt Holler.

Danach lebten die Brüder von Erspartem und der Unterstützung von zu Hause. Die Krankenversicherungsbeiträge zahlten sie nicht. Sie waren zu hoch. Bei Beratungsgesprächen mit der Versicherung wurde ihnen gesagt, dass sie nicht gesenkt werden könnten. Die Schulden für diese monatlich 600 Euro häuften sich an, 9000 Euro Krankenkassenbeiträge stehen aus. Hollers Versichertenstatus ist dadurch auf Grundsicherung gefallen: Damit ist zwar die Behandlung unmittelbar lebensbedrohlicher Zustände wie ein Herzinfarkt abgedeckt, jedoch nicht Krebs, wie er jetzt erfahren musste. Auch eine Versichertenkarte bekam er nicht mehr. „Rückblickend wäre es wohl besser gewesen wäre, Insolvenz anzumelden und sich eine Festanstellung samt dem damit verbundenen Luxus zu suchen", sagt Holler. „Aber es gab Leute, die an uns geglaubt haben, die wollten wir nicht enttäuschen, und wir glauben an das Produkt."

Inzwischen ist die Firma wieder auf einem guten Weg. Aber „genau zu dem Moment, in dem ich mit meinem gesellschaftlichen Engagement und meinem Unternehmen richtig durchstarten will. Jetzt, wo nach 1,5 Jahren Alarm und auf die Fresse endlich alles vorbereitet ist, wieder gut zu werden, kommt dieser miese Tiefschlag", schreibt Holler auf Facebook. „Mein Bruder wird jetzt erstmal die meiste Arbeit übernehmen", sagt er.

Reaktionen auf das Youtube-Video

Das Video zu veröffentlichen ist ihm nicht leicht gefallen, sagt Holler: „Es fühlt sich nicht gerade toll an, mit meiner Krankheit hausieren zu gehen, Bittsteller zu sein." Doch im Internet ist Claudius Hollers Offenheit bisher auf sehr viel Anteilnahme gestoßen. 1000 E-Mails, 3000 Facebook-Nachrichten. Als Ex-Spitzenkandidat der Hamburger Piratenpartei ist Holler kein Unbekannter im Netz. Auf allen Kanälen wünschen ihm die Nutzer in den Kommentaren gute Besserung, Mut und viel Kraft. Comedian Otto Waalkes hat ihm einen Ottifanten gewidmet.

„Helft mir, in der Lage zu sein, auch anderen wieder zu helfen", sagt Holler im Video. Und ihm wird geholfen. Die ersten Spenden sind schon eingegangen, ein fünfstelliger Betrag. Was er mit den Spenden tun will: wieder gesund werden und weiterhin ein soziales Projekt in Mecklenburg-Vorpommern unterstützen.

Kosten für die Krankenversicherung überfordern viele Selbstständige

Claudius Hollers Geschichte rückt ein soziales Problem in den Fokus: In Deutschland sind trotz der Versicherungspflicht rund 140.000 Menschen nicht krankenversichert (Statistisches Bundesamt, 2011). Uwe Denker, Arzt und Gründer der „Praxis ohne Grenzen", setzt die Zahl noch höher an: Er geht sogar davon aus, dass 2 Millionen Menschen in Deutschland, Kinder und Flüchtlinge eingeschlossen, keine oder eine unzureichende Krankenversicherung haben. In seiner Praxis in Bad Segeberg seien 80 Prozent der Patienten deutsche Mittelständler in Not.

Doch wie kann das passieren? Während Angestellte über ihren Arbeitgeber versichert sind, müssen Unternehmer und Selbstständige die Initiative ergreifen: Da die Beiträge für die gesetzlichen Kassen vergleichsweise hoch sind, versichern sich die meisten privat. Doch auch dort steigen die Beiträge. Zum 1. April 2016 müssen zum Beispiel Versicherte der Deutschen Krankenversicherung mit einer erneuten Beitragssteigerung von bis zu 7,8 Prozent rechnen. Diese Beiträge überfordern vor allem Solo-Selbstständige, wie auch eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts der Ortskrankenkassen (WidO) zeigt. Sie geben fast ihr halbes Einkommen für die Krankenversicherung aus. Wer nicht zahlen kann, landet im Notlagentarif.

Auch bei Holler meldeten sich auch andere Unternehmer, denen Ähnliches passiert ist: Selbstständige ohne Krankenversicherung. Eine Lücke im System, die vielen zum Verhängnis wird. „Das ist eine Katastrophe", sagt Arzt Denker. Er fordert, die Bürgerversicherung durch eine Grundversicherung für jeden zu ersetzen. Im Fall von Claudius Holler ist er optimistisch; gleich nach Veröffentlichung des Videos schrieb er ihm: „Keine Panik, das kriegst du hin."

Update:

Claudius Holler hat seine Spendenaktion am 6. April gestoppt. In einem neuen Video dankt er seinen Unterstützern und zeigt sich „massiv überwältigt" von der riesigen Resonanz. „Ich werd' den Krebs jetzt stemmen können und das mit der Versicherung klären, damit ich endlich wieder eine Versichertenkarte in der Tasche habe", sagt er. Der Termin für seine Operation steht am 13. April an.

Seine Kontodaten hat Holler unter dem Video entfernt. Stattdessen verlinkt er nun auf Organisationen, die sich für Menschen ohne Krankenversicherung einsetzen, etwa Uwe Denkers „Praxis ohne Grenzen". „Ich bin nur einer von vielen", sagt er. Die Informationen, die er von vielen Seiten erhalten hat, wolle er daher auch anderen zugänglich machen. „Aber zu allererst werd' ich jetzt gesund."

Zum Original