5 Abos und 2 Abonnenten
Artikel

Einrichtungsbezogene Impfpflicht: "Personell nicht zu stemmen"

Mit der einrichtungsbezogenen Impfpflicht drohen vielen Pflegekräften Konsequenzen - allerdings nur in der Theorie. Denn ob die Gesundheitsämter wirklich durchgreifen, ist fraglich.

Veröffentlicht bei tagesschau.de am 
16.03.2022.

Im Haus Landgraf, einem Pflegeheim in Worms in Rheinland-Pfalz, sind fast alle Mitarbeiter gegen Covid-19 geimpft. Nur eine Mitarbeiterin in der Pflege lasse sich nicht überzeugen - aus Angst vor Nebenwirkungen, berichtet Heimleiter Benedikt Queins. Der Leiter der Einrichtung muss die ungeimpfte Pflegerin nun dem zuständigen Gesundheitsamt melden. Was danach passiert? Queins weiß es nicht.

"Solange es uns das Gesundheitsamt nicht verbietet, machen wir weiter wie bisher", sagt er. Auf sie verzichten will er nicht: "Die Mitarbeiterin ist eine wichtige Stütze und steht auch weiter auf dem Dienstplan." Ohnehin herrscht in der Pflege Personalmangel, jede helfende Hand wird gebraucht.

Wie viele im Gesundheitswesen sind betroffen?

Die ungeimpfte Mitarbeiterin im Haus Landgraf ist kein Einzelfall: Laut einer SWR-Umfrage waren im Februar noch mehrere Zehntausend Mitarbeiter in deutschen Pflegeeinrichtungen ohne vollständigen Impfschutz. Danach haben mehrere Bundesländer unter Pflegekräften eine Impfquote, die zwischen 84 und 92 Prozent liegt.

Die Impfquote in Krankenhäusern liegt wohl etwas höher. Dennoch sind die Belastungen, die durch den Personalausfall drohen, spürbar, sagt Peter Förster, Geschäftsführer der Westpfalz-Klinikum GmbH. Die Impfquote über alle Standorte hinweg liege bei 95 Prozent, so Förster, dennoch könnten über 150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausfallen.

"Das schmerzt - natürlich. Es wird uns an einen Punkt bringen, wo wir für die Versorgung nicht mehr die Menge an Personal zur Verfügung haben und eventuell nochmal Betten reduzieren müssen", sagt Förster.

Wie wird die Teil-Impfpflicht umgesetzt?

Durchsetzen müssen die einrichtungsbezogene Impfpflicht die zuständigen Gesundheitsämter in den Städten und Landkreisen. Der Ablauf dafür ist klar geregelt: In einem ersten Schritt melden die Heime, Krankenhäuser und Praxen die Mitarbeiter, die keinen Impf-, Genesenennachweis oder ein ärztliches Attest vorweisen können, dem jeweiligen Gesundheitsamt.

Dann nimmt das Amt mit diesen Mitarbeitern Kontakt auf und fordert sie dazu auf, einen Nachweis nachzureichen. Auch die Plausibilität der vorgezeigten Atteste, etwa wegen einer Impf-Unverträglichkeit, wird überprüft. Gibt es Zweifel an der Echtheit oder wird weiterhin kein Impfnachweis erbracht, sollen die Gesundheitsämter ein Bußgeld aussprechen - bis zu 2500 Euro sind möglich. In letzter Konsequenz soll das Amt ein Betretungsverbot für das ungeimpfte Personal verhängen - soweit die Theorie.

Überlastete Gesundheitsämter sollen Impfpflicht durchsetzen

In der Praxis sind die Gesundheitsämter jedoch chronisch unterbesetzt und haben aufgrund der Pandemie zwei Jahre lang an der Belastungsgrenze gearbeitet. Die Umsetzung der Impfpflicht ist für viele eine zusätzliche, kaum zu bewältigende Mammutaufgabe. "Wir müssen jeden Einzelfall überprüfen", sagt Anja Brilmayer, Ärztin im Gesundheitsamt in Bad Kreuznach.

Berücksichtigt werden soll auch die personelle Situation in der jeweiligen Einrichtung, also ob der betroffene Mitarbeiter überhaupt verzichtbar ist und mit welchen Personen der ungeimpfte Mitarbeiter in der Einrichtung zusammentrifft. "Bei dem Aufwand, den wir betreiben müssen, ist das personell nicht zu stemmen", sagt Brilmayer.

"Bürokratischer Aufwand ist enorm"

"Der bürokratische Aufwand ist enorm", warnt auch Gerald Gaß von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Der Verwaltungsaufwand im Vorfeld, beispielsweise den Impfstatus des Personals zu erfassen, sei sehr groß gewesen.

Das wiederhole sich jetzt bei den Gesundheitsämtern: "Wir werden jetzt erleben, dass die Gesundheitsämter von heute an Hunderttausende von Namen genannt bekommen, denen dann im Einzelfall nachgegangen werden muss. Das ist in der Tat kaum leistbar." Er befürchtet, dass es Monate dauern könnte, bis die Überprüfungen abgeschlossen sind.

Doch nur eine Drohkulisse?

Wird die Impfpflicht also überhaupt durchgesetzt werden können? "Ich gehe nicht davon aus, dass wir hier im Landkreis Bad Kreuznach ein Betretungsverbot aussprechen werden", sagt Landrätin Bettina Dickes. Sie rechnet damit, dass viele Ungeimpfte ein Gefälligkeitsattest vorlegen werden - also ein Attest, obwohl keine tatsächliche Unverträglichkeit vorliegt. Dagegen vorzugehen sei für die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes nur sehr schwer möglich. "Wir können schließlich keine Krankheitsakte herholen und einfach mal reingucken", sagt Dickes. Die Prüfung dieser Fälle werde lange dauern und häufig vor Gericht enden. In vielen Einzelfallentscheidungen werde die einrichtungsbezogene Impfpflicht dann gekippt werden.

Von der Impfpflicht bliebe dann kaum mehr als eine über viele Monate aufgebaute Drohkulisse. 

Auch Pflegeheimleiter Benedikt Queins ist skeptisch, ob es in nennenswerter Zahl zu Betretungsverboten kommt. "Man wird viele Appelle an unsere Branche richten, aber kaum mehr machen können." Er sieht die Gesundheitsämter in einem Dilemma: "In den Pflegeeinrichtungen, wo wenige Ungeimpfte arbeiten, wird man sie tolerieren können. In den Einrichtungen, wo viele Ungeimpfte arbeiten, wird man sie akzeptieren müssen. Denn diese Mitarbeiter abzuziehen, würde dann die Versorgungssicherheit gefährden."

Zum Original