Michaela Schneider

Journalistin, Pressefotografin, Würzburg

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Wenn die Party im Krankenhaus endet

Dr. Johannes Wirbelauer, Oberarzt der Universitäts-Kinderklinik in Würzburg. Foto: Michaela Schneider

Wie sie in die Klinik gekommen sind, wissen die Mädchen und Jungen oft nicht mehr. Eine Party, viel Alkohol, Blackout. Dabei sind die Zahlen erschreckend: Deutlich mehr als 25000 Jugendliche landen Jahr für Jahr mit einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus, Tendenz steigend. Dem entgegenwirken will das Suchtpräventionsprojekt „HaLT". An zahlreichen Standorten der Bundesrepublik kooperieren inzwischen Krankenhäuser, Jugend- und Gesundheitsämter, Schulsozialarbeit und Justiz, um das Bewusstsein für einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol zu schärfen und Jugendliche mit riskantem Alkoholkonsum frühzeitig zu erreichen. Auch im Landkreis Main-Spessart hat sich „HaLT" seit mittlerweile fünf Jahren etabliert.

Dabei fußt die Initiative laut Andrea Schön, Kreisjugendpflegerin beim Landratsamt Main-Spessart, auf reaktiven und proaktiven Projektbausteinen. Heißt: Die Mitarbeiter stehen als Krisenteam zur Seite, wenn Jugendliche nach einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus landen, sie betreiben aber zum Beispiel auch in Schulen präventive Aufklärungsarbeit. In der Praxis heißt das: Kliniken rufen auf dem Notfallhandy beim Projektmitarbeiter an, wenn ein Jugendlicher mit Alkoholvergiftung eingeliefert wird. Das passiert im Landkreis Mai-Spessart zwischen 25 und 35 Mal pro Jahr. Ist der Patient wieder nüchtern, wird ihm wie auch den Eltern ein gesondertes Beratungsgespräch mit „HaLT" angeboten. „Das läuft alles auf freiwilliger Basis, aber 99 Prozent nehmen das Angebot an", sagt Schön.

Bei dem „Brückengespräch" geht es im ersten Moment vor allem um Krisenintervention: „Für die meisten Jugendlichen ist es ein Schock, niemand will im Krankenhaus landen", so die Erfahrung der Kreisjugendpflegerin. Gemeinsam wird überlegt, wie es zur Alkoholvergiftung kommen konnte und ob dies wieder passieren könnte. Besteht Bedarf, werden weitere Hilfsangebote vermittelt. Im Rahmen von „HaLT" wird zudem sämtlichen Patienten ein Risikocheck mit anderen Jugendlichen angeboten. Bei der ganztägigen Aktion setzen sich die Teenager aus dem Landkreis Main-Spessart in Gesprächen gemeinsam mit riskantem Konsumverhalten auseinander, am Nachmittag besuchen sie einen Klettergarten. Und: Am Ende definiert jeder Jugendliche eine individuelle Zielvereinbarung.

Die Jungen und Mädchen als Gesprächspartner auf der einen, ihre Eltern auf der anderen Seite. „Hier geht es uns auch darum, zu vermitteln: Das kann passieren und gottseidank ist nichts Schlimmeres geschehen", sagt Andrea Schön. Denn: Die meisten Eltern seien geschockt, häufig sei ihnen das Verhalten des eigenen Kindes peinlich. Und manche Mütter und Väter wissen schlichtweg nicht, wie sie an den Sprössling rankommen können. „Ermahnungen machen meist wenig Sinn", so die Erfahrung der Kreisjugendpflegerin. Wichtig sei, dass Eltern schon früh mit ihren Kindern über einen vernünftigen Umgang mit Alkohol sprächen. Eine mögliche Grundlage: das Jugendschutzgesetz. Demnach ist der Verkauf von hochprozentigen Getränken wie Schnaps oder Whiskey an Jugendliche unter 18 Jahren verboten. Ab 16 Jahren dürfen Teenager öffentlich Bier, Wein, bestimmte Mixgetränke wie Alcopops oder Sekt trinken. Schön empfiehlt Eltern, gemeinsame Regeln mit den eigenen Kindern zu diskutieren, aber auch Grenzen zu setzen. „Schnaps bei einem 16. Geburtstag ist ein No-Go", sagt sie. Übrigens nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich: Bei privat ausgerichteten Partys stehen die Eltern in der Pflicht und können sich strafbar machen, wenn ihre minderjährigen Sprösslinge die Regelungen zum Alkoholausschank missachten.

Alkoholkonsum komplett zu verbieten, hält sie indes für wenig realistisch. Nicht zuletzt, weil Alkohol längst sozialisiert ist. „Eigentlich ist der Alkoholkonsum in unserer gesamten Gesellschaft zu hoch, das wird aber in keiner vernünftigen Art und Weise hinterfragt", sagt Schön. In Zahlen: Durchschnittlich werden hierzulande pro Kopf jährlich zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. 9,5 Millionen Menschen trinken Alkohol Experten zufolge auf gesundheitlich riskante Weise und 1,3 Millionen Deutsche gelten als alkoholabhängig. Pro Jahr sterben knapp 75000 Menschen direkt oder indirekt an Alkoholmissbrauch.

Auch der Mediziner Dr. Johannes Wirbelauer, Oberarzt der Universitäts-Kinderklinik in Würzburg, kritisiert, dass der Umgang mit Alkohol zu wenig hinterfragt wird. „Wir leben hier mitten in einer Weingegend - von Geburt an werden wir mit dem Thema Alkohol konfrontiert. Wein ist für uns lebensbegleitend vorhanden", sagt er. Dabei zweifelt er nicht daran, dass viele Menschen einen gesunden Umgang mit Alkohol beherrschen. Jugendliche allerdings müssen diesen ersten lernen.

Bei dem Mediziner auf der Abteilung landen die Kinder und Jugendlichen allerdings in der Regel erst, wenn ihr Zustand bereits lebensbedrohlich ist. „Alkohol ist ein Giftstoff mit direktem Einfluss auf die Nervenzellen", erläutert der Arzt. Dies kann zu Schwindel, Erbrechen oder Bewusstlosigkeit, im Extremfall zum Atemstopp, Herz-Rhythmusstörungen oder Herzstillstand führen. Wer häufig Alkohol konsumiert, kann Leber, Gehirn oder Herz dauerhaft schädigen. Von lebensbedrohlich spricht Wirbelauer, sobald ein Patient die eigenen Körperfunktionen nicht mehr unter Kontrolle hat - etwa im bewusstlosen Zustand erbricht oder Kälte nicht mehr spürt. In dem Zusammenhang erzählt er etwa von einem Patienten, der betrunken in einen Bach gestürzt war - seine Kumpels liefen weg. Bis der Jugendliche ins Krankenhaus eingeliefert, wurde er massiv unterkühlt.

Behandelbar ist eine Alkoholvergiftung nicht - bewusstlose Patienten landen auf der Intensivstation, dort werden Vitalfunktionen wie Atem, Temperatur, Herz-Rhythmus und Blutzuckerwerte überwacht. Und dann heißt es abwarten, bis der Alkohol abgebaut und der Körper entgiftet ist.

Wirbelauer betont: Alkohol entfaltet seine toxische Wirkung in jedem Lebensalter. Das Nervensystem von Kindern reagiere allerdings empfindlicher und sie seien unerfahren im Umgang - gerade bei süßen Mixgetränken wird der Alkoholgehalt immer wieder drastisch unterschätzt. „Die Alkoholvergiftung war dann ein Unfall. In der Regel sind die Jugendlichen selbst entsetzt und lernen fürs Leben", sagt der Mediziner. Andere Teenager indes handelten mit Vorsatz. Sei es aus Langeweile oder um Grenzen auszutesten, wird eine Flasche Wodka gekauft und getrunken bis zum Umkippen. In allen Fällen sprechen die Ärzte anschließend mit den Jugendlichen und klären sie über die toxische Wirkung von Alkohol auf. „Wir wollen vermitteln: Ihr habt selbst in der Hand, ob so etwas wieder vorkommt oder nicht", sagt er. Seine Beobachtung: Etliche Jugendliche seien in den Gesprächen sehr zugänglich - an einigen pralle die Beratung ab. Die gute Nachricht: Patienten, denen der Mediziner mehrfach auf der Intensivstation begegnet, bleiben die Ausnahme.

Mindestens so wichtig wie die reaktive Aufklärung, ist das Thema frühzeitige Prävention - auch im Rahmen von „HaLT". Die Projektmitarbeiter besuchen zum Beispiel Schulklassen, hierfür wurde ein spezieller Parcours entwickelt, den die Jungen und Mädchen durchlaufen. Da geht es um erste Hilfe in Notfallsituationen, um Freunden im Ernstfall beistehen zu können. Blutalkoholwerte, die Verkehrstauglichkeit und gesundheitliche Folgen werden behandelt. Und es wird mit Vorurteilen und Mythen rund um den Alkoholkonsum aufgeräumt. Zudem bieten die „HaLT"-Mitarbeiter zum Beispiel Elternabende an oder stellen sich auf Festen mit Infoständen vor.

So alarmierend es bleibt, dass Jahr für Jahr mehr Jugendliche mit Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden: Hineinspielen mag hier auch, dass viele junge Menschen durch umfassende Aufklärung inzwischen für die Gefahren einer Alkoholvergiftung sensibilisiert sind. „Der Krankenwagen wird häufiger gerufen als früher. Die Jugendlichen wissen, was zu tun ist, wenn auf einer Party doch einmal etwas schief geht", sagt Andrea Schön.

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