Joris im Interview: "Zuhause ist eher ein Gefühl"
Joris Ramon Buchholz hat mit Mitte 20 schon dank “Herz über Kopf” einen riesigen Deutschpop-Hit gelandet und tourt bald durch die Clubs mit frischen Songs seines neuen Albums “Schrei es raus“. Kein Grund, durchzudrehen: Er empfing uns entspannt im Musikzimmer eines Hamburger Hotels und plauderte offen über den Stand der Dinge.
Dein neues Album heißt “Schrei es raus” – das wirkt im Vergleich zu deinem Erstling “Hoffnungslos hoffnungsvoll” fast aggressiv.
Das Album ist auf alle Fälle
energiegeladener und progressiver, auch wenn natürlich die leisen
Momente noch mit dabei sind. Der Titel ist mir wichtig, weil ich ihn auf
meine Entwicklung seit dem ersten Album beziehe, er aber auch gut zur
aktuellen politischen Lage passt. Es ist wichtiger denn je, dass man Haltung zeigt. Wir müssen für unsere Werte einstehen, so wie in Chemnitz, wo ich auch
bei dem #wirsindmehr Konzert war. “Schrei es raus” kann aber auch für
das Ausbrechen aus dem Alltagstrott stehen, in dem man sich gefangen
fühlt.
Einige große Popkünstler äußern sich zu Themen wie Chemnitz und Fremdenhass allgemein nicht gerne, weil sie Angst haben, so auch Fans zu verlieren.
Wenn man sich für Menschenrechte und Toleranz gerade macht und Gewalt verurteilt, ist das nur ein Einstehen für die Grundlagen der Demokratie und unseres Zusammenlebens. Wenn man dadurch manche Fans verliert, muss man sich eher fragen, warum man genau diese vorher überhaupt hatte.
Man konnte auch in deinen Instastories sehen, dass du beim #wirsindmehr-Konzert als Zuschauer in Chemnitz warst. Macht dir Social Media Spaß, nutzt du diese Kanäle gerne?
Also es macht schon Spaß, mit den
Leuten so direkt kommunizieren zu können. Aber das nervt mich
gleichzeitig auch, weil es oft diese Erwartungen gibt, dass man sein
ganzes Privatleben online stellt, postet was man alles isst oder gerade
macht. Das ist eine Grenze für mich, die ich nicht öffnen möchte. Aber
ich nutze es gerne, um Neuigkeiten und wichtige Momente zu teilen.
Es gibt sicher viele Seiten, positive wie auch negative.
Sicher. Wir müssen alle noch lernen,
wie man richtig mit solchen Medien umgeht. Trolle können sich hier noch
viel zu ungehindert ausleben. Genauso müssen Jugendliche vor
Onlinemobbing geschützt werden. Als Musiker stört mich vor allem dieses
Bewertungssystem mit Like-Zahlen. Da hatte ein Kollege von mir die beste
Idee: Warum nicht einfach die Zahl der Likes ausblenden? Es gäbe dann diesen Druck und Wettbewerb untereinander nicht mehr.
Hat sich dein Leben durch den großen Erfolg in den drei Jahren seit deinem Debütalbum sehr verändert?
Ja und nein. Ich bin seitdem nonstop unterwegs und spiele fast jeden Abend Konzerte, wovon ich immer geträumt habe. Davor habe ich aber auch schon 19 Jahre musiziert, nur eben nicht so öffentlich. Zu Hause bin ich aber nur noch sehr selten, das Zuhause ist inzwischen fast mehr ein Gefühl für mich: das Abschalten und zur Ruhe kommen.
Du hast aber schon noch deine Wohnung in Mannheim?
Mein WG-Zimmer in Mannheim habe ich noch, und auch eines in Berlin, bin aber in beiden nur selten. Das klingt für viele Leute hart, für mich ist es aber wunderschön. Ich lerne jeden Tag neue Leute kennen und habe meistens eine gute Zeit unterwegs, kriege viel mit. Gerade in der Festivalsaison ist es toll, selbst zu spielen und dann voller Adrenalin andere Idole auf der Bühne zu sehen.
Bei Festivals kannst du zudem auch vor viel mehr Menschen spielen. Ist dir die Größe deines Publikums wichtig?
Schon, es ist ein wahnsinniges Gefühl, vor Tausenden Leuten auf der Bühne zu stehen. Wenn alle gemeinsam singen, ist das unfassbar laut und beflügelnd. Jetzt steht im Herbst meine erste eigene Clubtour seit anderthalb Jahren an, und da bin ich auch sehr aufgeregt. Zu den Konzerten kommen alle nur wegen meiner Musik, also kann ich ganz andere Ideen für die Show umsetzen.
Hat dich eine Band beim Schreiben des neuen Albums beeinflusst, von der man das gar nicht erwarten würde?
Biffy Clyro! Eine unglaubliche Liveband mit riesiger Energie. In meinem Song “Rom” gibt es tatsächlich eine richtige Biffy-Gitarrenwand. Aber natürlich kommen auch unterbewusst ganz viele Einflüsse dazu, die man mitgenommen hat, ohne es zu merken. Deswegen ist mir immer wichtig, mich im Studio abzuschotten, sodass ich mich in der Zeit ganz auf meine eigene Musik konzentrieren kann. Das waren neun Monate bei diesem Album, eine verdammt lange Zeit. Umso mehr habe ich die Festivals diesen Sommer genießen können.
Repeat: Einmal zurück in der Songgeschichte
“Rom” – die schönste Stadt der Welt, oder gibt es eine schönere?
Ich war tatsächlich selbst noch nie in Rom! In dem Lied geht es darum, dass mir nach dem Abitur alle Wege offen standen, ich aber trotzdem nicht wusste, wo es langgehen soll. Die ganzen Möglichkeiten sollten uns keine Angst machen, denn solange man mit Herzblut füllt, was man macht, geht es immer weiter.
“Sommerregen” – gab es in diesem Hitzesommer 2018 fast gar keinen. Bist du eher Sommer- oder Wintertyp?
Ganz ehrlich, ich fand diesen Sommer extrem geil! Leider muss man die Hitze natürlich auch in Verbindung mit der globalen Erwärmung und die ganzen negativen Folgen sehen. Aber wenn ich das alles beiseiteschiebe, ist mir so ein Sommer sehr lieb.
“Herz über Kopf” – Sollte man immer aus dem Bauch heraus entscheiden?
Auf gar keinen Fall. Es ist gut, dass man einen Kopf hat, mit dem man wichtige Dinge immer entscheiden sollte. Das Herz hilft aber dabei, die guten Dinge im Fokus zu behalten.
“Signal” – Anhand welcher Signale merkt man, dass du einen schlechten Tag hast?
Meine Band sieht immer sofort an meinem Gesicht, wenn ich genervt bin. Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, der unter Stress zwar sehr gut funktioniert, aber lange Tourtage zehren an meinen Nerven. Wenn es aber dann auf die Bühne geht, ist alles wieder vergessen.
“Im Schneckenhaus” – Wohin gehst du, wenn du dich komplett zurückziehen willst?
Ich erinnere mich dann an einen Ort aus meiner Kindheit, eine Düne an der südfranzösischen Küste. Wenn mir Dinge zu viel werden, mache ich die Augen zu und stelle mir genau diesen Weg die Düne rauf vor, von deren Spitze man nur noch das riesige Meer vor sich sieht. Das ist ein absoluter Rückzugsort für mich, auch wenn er nur mental erreichbar ist.
“Das sind wir” – Wen möchtest du in deinem Leben nicht missen?
Meine besten Freunde haben seit Jahren Verständnis dafür, dass ich mich nicht immer melden kann oder wir uns nicht oft sehen. Wenn sie frei haben, fahren sie dafür auch mal ein paar Tage im Tourbus mit. Das ist für mich eine ganz starke Schulter.
“Wie man es auch dreht” – das Leben …
… kommt immer wie es kommt, aber es kommt immer gut.
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