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Wang Kewen würde an diesem Mittwoch lieber mit ihren Freundinnen in einem der vielen Shanghaier Cafés sitzen. Draußen scheint die Sonne, dazu ein strahlend blauer Himmel und ein leichter Wind. „Ein bisschen traaatschen", sagt Kewen und muss lachen. Die junge Chinesin spricht fließend Deutsch, das „a" zieht sie dabei sympathisch in die Länge. „Traaatschen", sagt sie. „Ja, warum nicht." Schließlich sind Semesterferien. In China reisen die Studenten aus der Provinz meist nach Hause zu ihren Eltern und helfen dort im Haushalt aus. Einige müssen bis zu 26 Stunden mit dem Zug fahren, um ihre Eltern zu sehen, die Semesterferien bieten dafür die einzige Gelegenheit.
Wang Kewen kommt aus Shanghais Nachbarprovinz Zhejiang. Sie ist schnell zu Hause, bleibt deshalb oft auch einfach in Shanghai. Ins Café gehen oder nach Hause zu den Eltern, das kann sie sich aussuchen. Der Weg in die Lehrräume der Universität sind normalerweise keine Option für sie. Und dennoch fährt Wang Kewen an jenem Mittwoch genau dorthin, zur Deutschen Fakultät der Shanghaier Tongji Universität...