In der Polizeistation der nordirischen Kleinstadt Enniskillen hängt eine große Tafel mit schwarz-weißen Porträtfotos. Unter jedem Bild stehen ein Name, ein Alter, ein Dienstgrad, ein Datum und "getötet von der IRA". Familienväter, die hinterrücks erschossen wurden. Junge Polizeianwärter, durch Autobomben zerfetzt. Sekretärinnen, bei Mörserattacken getötet. Über 300 Polizisten waren es landesweit. "Hier hätte auch mein Name stehen können", sagt Michael Skuce, 56 Jahre alt, ein kräftiger Mann mit kurzen grauen Haaren. Einige der Menschen auf den Bildern hat er persönlich gekannt. 30 Jahre lang war er Polizist. Aber Skuce hegt keine Rachegedanken. Im Gegenteil: Er sehnt sich nach Versöhnung.
"Nicht alle Katholiken hassten die Polizei", erklärt Skuce. Noch 1998 bestand die nordirische Polizei zu 88 Prozent aus Protestanten. Die katholische Minderheit misstraute ihr zutiefst. "Aber sobald man in ihre Häuser kam und mit ihnen sprach, wollten die meisten dasselbe wie ich: in Frieden leben und für ihre Familien sorgen." Schon in seiner Zeit als Polizist hat Skuce versucht, Menschen mit verschiedenen politischen Ansichten an einen Tisch zu bringen. Das ging nicht immer gut aus. "Aber wenigstens haben sie überhaupt miteinander geredet", sagt Skuce, der sich heute in ökumenischen Gruppen engagiert. "Für mich ist der Kern der christlichen Botschaft: Liebe deinen Nachbarn", sagt er. Doch vielen Nordiren fällt nichts schwerer, als ihren Nachbarn zu lieben - oder gar die Polizei. Manchmal war ein Notruf ein Hinterhalt. Fuhren die Polizisten hin, verloren sie vielleicht ihr Leben. Fuhren sie nicht, verloren sie Rückhalt in der Bevölkerung.
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