Stand: 03.09.2021 17:49 Uhr
Der Landesverband jüdischer Gemeinden saniert Gräber auf einigen der Friedhöfe in Niedersachsen. Nun auch auf dem historischen jüdischen Friedhof in Göttingen. Unser Reporter war beim Beginn der Arbeiten dabei.
von Michael Brandt
Steinmetzmeister Peter Hofmann rüttelt vorsichtig an einem der Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof in Göttingen. Es ist einer der 176 Steine, die umzukippen drohen. Das Problem liegt bei den alten Fundamenten, die mittlerweile porös sind, so Hofmann: "Die bestehen aus geschichteten Steinen und aus Bruchsteinen. Und mit der Zeit senken die sich etwas. Wenn die Grabsteine in Schieflage geraten, drohen sie, umzustürzen und dabei zu zerbrechen."
Jüdisches Ewigkeitsrecht: Sanierung darf die Gräber nicht antastenEinige zersplittern dann sogar und sind nicht mehr zu reparieren. Daher wird nun saniert. Insgesamt bis zu 700.000 Euro stellen Bund, Land und der Landesverband jüdischer Gemeinden von Niedersachsen dafür bereit. Denn die Arbeiten sind aufwendig, erklärt Michael Fürst, der Vorsitzende des Landesverbands: "Bei der Fundamentierung haben wir ein kleines jüdisches Problem - wir dürfen nicht in die Gräber selbst eingreifen. Es ist das Ewigkeitsrecht eines jeden Bestatteten, auf Dauer an dieser Stelle zu liegen, wo er bestattet wurde, ohne dass er von irgendeiner Seite angerührt werden kann."
Moralische Pflicht zur Erhaltung der GrabstättenDaher wird nicht tiefer als 20 Zentimeter gegraben - also oberhalb der Höhe, in der noch Gebeine liegen könnten. Über die Jahrhunderte könnten sie nach oben gedrückt worden sein, erklärt Fürst. Für jüdische Gemeinden sei es eine moralische Pflicht, die Gräber auf ihren Friedhöfen zu erhalten.
Sie sei auch religiös tief verankert, so Fürst: "Es geht darum, dass die Gebeine im Prinzip, wenn der Messias kommt, wiederauferstehen."
Jüdischer Friedhof in Göttingen für Jahre gesperrtDer Einzug des Messias in Jerusalem - das ist eine Kernbotschaft im Judentum. Friedhöfe sind daher neben Ritualbädern auch die beiden wichtigsten Bestandteile, um eine jüdische Gemeinde zu gründen, so Fürst. Seit fast fünf Jahren ist der historische Friedhof nun aber gesperrt. Ein Problem, wenn zum Beispiel Nachfahren - auch von Opfern des Holocaust - die Gräber ihrer Vorfahren besuchen möchten.
Fünf Jahre soll es nun dauern, bis die 176 der insgesamt 430 Grabsteine in Göttingen wieder auf festem Boden stehen. Danach soll der Friedhof wieder öffnen - auch für Besucher. "Hier werden auch Führungen stattfinden", erzählt der Landesverbands-Vorsitzende. "Und dabei kann man erfahren: Hier ist ein großer, historischer jüdischer Friedhof, und eine jüdische Gemeinde gab es hier auch schon vor 700 Jahren."
Allerdings stehen bisher nur Gelder bereit, um die Steine vor dem Umkippen zu bewahren - aber zum Beispiel nicht für den Erhalt der Inschriften.