Stand: 14.03.2022 10:18 Uhr
Der Krieg in der Ukraine dominiert die Nachrichten. Pro Asyl zufolge nutzen die Taliban die verschobene Aufmerksamkeit für Razzien gegen Regimegegner. Ex-Ortskräfte wie Ahmad aus Wendeburg sind in Sorge.
von Michael Brandt
Der 29 Jahre alte Ahmad fürchtet, dass die Weltgemeinschaft Afghanistan in Folge des Russland-Ukraine-Kriegs vergisst - und damit auch seine Familie. Seine Schwester habe früher als Strafverfolgerin für das Militär gearbeitet und unter anderem Taliban festnehmen lassen, erklärt der junge Mann. Er selbst arbeitete damals als Übersetzer bei der Bundeswehr und lebt seit der Machtergreifung der Taliban in der niedersächsischen Gemeinde Wendeburg im Landkreis Peine.
Schwester: Taliban sind "in der Nähe unserer Häuser""Unsere Situation ist sehr gefährlich, besonders durch die Hausdurchsuchungen", schildert seine Schwester dem NDR am Telefon. "Bisher konnten wir uns verstecken, aber jetzt durchsuchen die Taliban unser Gebiet aus jeder Himmelsrichtung. Sie sind schon in der Nähe unserer Häuser. Sie könnten heute Nacht, morgen oder übermorgen schon in unserem Haus sein." Dort könnten die Taliban Dokumente aus ihrer Zeit als Strafverfolgerin finden. Das Verbrennen der Papiere könnte jedoch Aufmerksamkeit erregen. Darüber hinaus hätte sie bei einer Einreise nach Deutschland keinen Nachweis mehr über ihre Arbeit. "Unsere einzige Hoffnung ist Ahmad", sagt die Schwester. Zu ihrer Sicherheit nennen wir ihren Namen nicht.
Ahmad spart Grundsicherung und schickt Geld an FamilieNeben der unsicheren Lage leiden die Menschen in Afghanistan unter Hunger, wie die Hilfsorganisation Misereor berichtet. Ahmad schildert, dass er manchmal selbst weniger esse, um 50 Euro seiner Grundsicherung zu sparen und das Geld seiner Familie zu schicken. Eigentlich wollte er in Deutschland als Nächstes seinen Master-Abschluss machen. Nun ist sein Plan, schnell zu arbeiten und mit seinem Gehalt seine Familie weiter zu unterstützen: "Ich lebe hier in Frieden, für mich ist alles verfügbar, ich habe alles", sagt der 29-Jährige.
Sozialarbeiterin: Für Angehörige nichts unversucht lassenAhmad hofft auch auf die Unterstützung von Sozialarbeiterin Monika Giesen. Sie betreut in der Gemeinde Wendeburg rund 150 Geflüchtete. Sie versucht Ahmads Familie zu helfen. Neben fehlenden Fluchtwegen aus Afghanistan gibt es Giesen zufolge ein rechtliches Problem: "Es dürfen eigentlich nur ganz nahe Familienangehörige per Familiennachzug rüber." Sie hofft, dass die Behörden Ausnahmen ermöglichen. "Man sollte es nicht unversucht lassen, zu fragen, zu arbeiten dafür." Der Familiennachzug ist derzeit nur für Ehepartner und minderjährige Kinder möglich. Seit Mai vergangenen Jahres sind laut Bundesinnenministerium knapp 12.600 Ortskräfte, ihre Ehepartner und Kinder eingereist. Aufnahmezusagen gibt es den Angaben zufolge für insgesamt rund 22.300 Afghaninnen und Afghanen.
Ahmad will Ukrainern beim Einleben helfen"Mein größtes Ziel ist, meiner Familie zu helfen. Und ich möchte einen guten Job haben und ein sehr aktives Mitglied der Gesellschaft sein. Ich möchte Menschen helfen", sagt Ahmad. Das gelte auch für Geflüchtete aus der Ukraine. Er wolle ihnen beispielsweise Wendeburg zeigen. "Ich kann die Menschen in der Ukraine besser verstehen als andere", sagt der Übersetzer. "Ich bin ja im Krieg aufgewachsen, ich habe im Krieg studiert - ich weiß, was Krieg bedeutet."