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Hinter den Kulissen - Krise in Ägypten lockt die Mächtigen hervor

Ägyptens Verfassungskrise: Das Oberhaupt der Muslimbrüder wandte sich an die Presse, dann deren graue Eminenz. Und schließlich sprach das Militär ein Machtwort.

Istanbul/Kairo. Nach stundenlangen Beratungen mit seinen Vertrauten und Oppositionellen in seinem Palast hat Präsident Mohammed Mursi eingelenkt. Am späten Sonnabendabend ließ er den Islam-Gelehrten Mohammed Selim al-Awa erklären, dass die umstrittenen Sondervollmachten für das Staatsoberhaupt annulliert seien. Sie waren der Anlass für die jüngsten Massendemonstrationen, die zum Teil blutig endeten.

Die Entscheidung kam an einem Tag, an dem nach und nach wichtige Entscheidungsträger des Landes aus der Deckung kamen und vor die Kameras traten. Als erster wandte sich am Mittag der Vorsitzende der Muslimbrüder an das Volk, ein ergrauter älterer Herr mit Brille und kurzem Bart, auf dessen Stirn die „Sabiba" - das vermeintliche Gebetsmal - zu sehen ist. „Was momentan in Ägypten passiert, ist keine Opposition", sagte Mohammed Badia. Vielmehr handele es sich um „kriminelle" Machenschaften.

Der 69-Jährige ist seit knapp drei Jahren der „Murschid", der Führer der Bewegung. Er gilt als konservativer Hardliner und saß wegen seiner politischen Aktivitäten mehr als zwölf Jahre im Gefängnis. Mehrere „Märtyrer" aus den Reihen der Organisation, die auch Mursis politische Heimat ist, gebe es zu beklagen und Übergriffe auf 28 Büros der Bruderschaft.

Dann beschwor Badia alte Zeiten. Als Langzeitherrscher Husni Mubarak vor beinahe zwei Jahren gestürzt wurde, hatten Muslimbrüder und andere Aktivisten Seit an Seite demonstriert. An diese Zusammenarbeit erinnerte er nun. Die jüngsten Ausschreitungen bezeichnete Badia jedoch als Werk von bezahlten Krawallmachern, die dem Land schaden wollten.

Wenig später trat auch die graue Eminenz der Muslimbrüder, Chairat al-Schater, ins Rampenlicht. Der erzkonservative Finanzier und Vize der Organisation spricht zwar selten in der Öffentlichkeit, aber dann mit lauter Stimme. Diesmal ist der massige 62-Jährige mit den dicken Brauen, dem Bart und den dunklen Augenringen sehr verärgert, redet schnell und drohend. „Überbleibsel des alten Regimes wollen die gewählte Regierung stürzen, indem sie Chaos verbreiten", sagte er. „Wir werden uns die Revolution nicht wieder stehlen lassen."

Ursprünglich sollte Al-Schater für die Muslimbrüder als Präsidentschaftskandidat ins Rennen gehen. Er wurde aber wegen seiner Inhaftierung unter Ex-Machthaber Husni Mubarak disqualifiziert. Ins Gefängnis brachte ihn eine militärische Inszenierung der Muslimbruderschaft auf dem Gelände der Al-Azhar-Universität. Die damals verbotene Organisation wollte mit der Präsentation der „Al-Azhar-Milizen" ihre Stärke demonstrieren. Al-Schater wurde vorgeworfen die Milizen zu unterstützen. Insgesamt war Al-Schater unter Mubarak zehn Jahre in Haft. Erst nach dem Sturz des Langzeitpräsidenten kam der Ingenieur im März 2011 frei.

Die größte Wucht an jenem Tag hatte aber eine Erklärung des Militärs, die von einem Sprecher im Staatsfernsehen verlesen wurde. Die Armee - in Ägypten ein Staat im Staate - hatte sich bislang in der Krise zurückgehalten. Die Konfliktparteien in Ägypten müssten in den Dialog treten und zu einem Kompromiss kommen, las der Sprecher vor. Alles andere werde Ägypten durch einen „dunklen Tunnel" in die „Katastrophe" führen. „Das werden wir nicht erlauben", drohte das Militär.

Am Ende des Tages gaben Regierung und Oppositionelle schließlich ihre Einigung bekannt: Das umstrittene Dekret zur Machtausweitung Mursis wurde zurückgenommen. Der für den 15. Dezember festgesetzte Termin für das Verfassungsreferendum aber bleibt. Allerdings hatten die maßgeblichen Oppositionsführer wie Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei das Treffen bei Mursi boykottiert. Ihre zentrale Forderung aber, das Referendum zu verschieben, blieb unerfüllt. Linke und Liberale befürchten eine Einschränkung der Freiheitsrechte durch die überwiegend von Islamisten erarbeitete Verfassung.

Hasan Abu Talib, Berater beim Kairoer Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien, sieht Mursi nun an einem Wendepunkt. Zuletzt habe er nicht als Staatsoberhaupt gehandelt, sondern als Befehlsempfänger der Muslimbruderschaft. „Jetzt muss Mursi beweisen, dass er der Präsident aller Ägypter ist."

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