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IT-Firmen kritisieren GroKo - Weg vom "Neuland" in die Digitalisierung

Kurz vor der Regierungsbildung fordern IT-Verbände mehr Mut bei der Digitalisierung. Auch wenn die neue GroKo mehr Raum dafür vorsieht - die Pläne reichen den Kritikern nicht.

Autobauer denken über Lufttaxis nach, Politiker verschicken per WhatsApp ein Selfie auf Tausende Handys und in Berlin wird eine neue Regierung gebildet, in der die Digitalisierung etwas mehr Raum bekommt. Am Mittwoch werden die Minister vereidigt. Dorothee Bär (CSU) nimmt dann ihre Arbeit als Staatsministerin im Kanzleramt auf, als Beauftragte der Bundesregierung für digitale Fragen wird die 39-Jährige an den Kabinettssitzungen teilnehmen. 20 Jahre nach der Gründung von Google in einer kalifornischen Garage bekommt die Netzpolitik damit einen festen Platz in der Regierungszentrale.

Es war ein langer Weg: Unvergessen im Netz ist noch das aus dem Jahr 2007 überlieferte Zitat des einstigen CSU-Wirtschaftsministers Michael Glos: "Ich habe Gott sei dank Leute, die für mich das Internet bedienen." Oder die Aussage der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) von 2013: "Das Internet ist für uns alle Neuland." Nun hofft die Internetwirtschaft, dass das Thema im Kabinett endlich mit dem nötigen Ernst behandelt wird. Ihre Vertreter zeigen sich erstmal abwartend. Der Präsident des Bundesverbands IT-Mittelstand (Bitmi) Oliver Grün kritisiert eine "diffuse Angst vor Daten" in Deutschland. Sein Verband setzt sich schon lange für ein Digitalministerium ein. Ein ganzes Ministerium gibt es aber auch diesmal nicht. Mit Blick auf Staatsministerin Bär hofft Grün nun, dass sie "wirksame Autoritäten zur Bündelung der Digitalisierungsfragen, wie beispielsweise ein Veto-Recht" erhält. Doch wie ihrer Kompetenzen in diesem neuen Umfeld genau aussehen, muss sich erst herausstellen.

Ohne schnelles Netz kein Fortschritt

Der deutsche Mittelstand sieht gerade bei einer Verknüpfung von Handwerk und IT-Firmen große Chancen. Als Beispiel wird häufig die Dachrinne genannt, die über einen Sensor das Werk benachrichtigt, wenn sie verstopft oder durchgerostet ist. Doch so lange es kein schnelles Internet im ganzen Land gibt, können viele digitale Vorhaben nicht umgesetzt werden.

Union und SPD versprechen in ihrem Koalitionsvertrag nun den flächendeckenden Ausbau mit Gigabit-Netzen bis 2025 und "Glasfaser in jeder Region und jeder Gemeinde, möglichst direkt bis zum Haus". Es gibt viel nachzuholen: Einer Statistik von Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von 2017 zufolge gehört Deutschland beim Anteil von Glasfaseranschlüssen mit zwei Prozent zu den Schlusslichtern. Zum Vergleich: Der OECD-Durchschnitt liegt bei 22 Prozent, im baltischen Estland, wo online gewählt wird und Lieferroboter Post zur Haustür bringen, sind es fast 37 Prozent und in Schweden sogar 58 Prozent.

Als "digitalen Flickenteppich" bezeichnet der Bundesverband Deutsche Startups die Situation. Die deutschen Maßnahmen im Anti-Terror-Kampf bereiten IT-Firmen ebenfalls Sorge. "Wenn das Innenministerium Verschlüsselungen mit sogenannten Backdoors, also Hintertüren, umgeht, entstehen Lücken, die auch organisierte Kriminelle nutzen, um Daten zu stehlen und Systeme lahmzulegen", gibt der Geschäftsführer des eco Verbands der Internetwirtschaft, Alexander Rabe, zu bedenken.

Und in den Schulen, wo die Kinder auf eine digitale Zukunft vorbereitet werden könnten, läuft das meiste noch analog. Wie die Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Jahr herausfand, sind nur 15 Prozent der Lehrer versierte Nutzer digitaler Medien und nur acht Prozent der Schulleiter messen der Digitalisierung eine hohe strategische Bedeutung zu. Cornelsen-Chef Mark van Mierle, dessen Verlag auch digitale Schulbücher entwickelt, sieht derzeit jedoch einem Trend hin zu mehr digitalem Lernen. "Es kommt Wind in die Segeln, aber wir brauchen noch einen klareren Kurs aller beteiligten Parteien", sagte der Vorsitzende der Verlags-Geschäftsführung. 

Im politischen Berlin hat derweil auf Twitter ein Wettbewerb digitaler Visionen zwischen Staatsministerin Bär und SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil begonnen, jenem Politiker also der per WhatsApp das Selfie seiner Genossen aus den Koalitionsverhandlungen geschickt hatte. Nachdem Bär laut über Flugtaxis nachgedacht hatte, tweetete er: "ich dachte, wir beamen" und unkte: "Schade, dass ihr von der CSU mit euren Flugtaxis so anspruchslos seid!"

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