Im Libanon machen viele Riad Salameh für die aktuelle Wirtschaftskrise verantwortlich. Die Schweiz und andere europäische Länder ermitteln gegen ihn. Was, wenn der mächtige Zentralbankchef verurteilt wird?
In den ersten Monaten der Wirtschaftskrise wurde dem libanesischen Online-Magazin Daraj Media ein brisantes Dokument zugespielt. Der Inhalt: Screenshots von Kontoauszügen sowie weitere detaillierte Informationen über das Vermögen des libanesischen Zentralbankchefs Riad Salameh. Insgesamt soll sich dieses auf rund 2 Milliarden Dollar belaufen. Eine verdächtig hohe Zahl für einen, der offiziell nicht mehr als seinen Lohn vom Staat verdient.
Seit drei Jahrzehnten steht Riad Salameh der libanesischen Zentralbank Banque du Liban vor. Lange Zeit war er kaum umstritten. Er galt mit seiner Wirtschaftspolitik als stabiler Anker in einem Land, das regelmässig von politischen Krisen erschüttert wird. Auch Alia Ibrahim, Geschäftsführerin von Daraj Media, sagt: "Er war nicht auf unserem Radar."
Das System Salameh brach im Herbst 2019 zusammen. Hunderttausende demonstrierten in jenen Wochen im ganzen Libanon gegen Korruption und Misswirtschaft der herrschenden Elite. Am zweiten Tag der Proteste schlossen die Banken. Zwei Wochen später gingen sie wieder auf. Nur, ab jetzt konnten die Menschen nur noch wenige hundert Dollar im Monat abheben. Es war der Anfang einer Wirtschaftskrise, die das Leben im Libanon so schnell und tiefgreifend verändern würde wie zuvor nur der Bürgerkrieg zwischen 1975 und 1990.
Heute laufen in fünf europäischen Ländern Ermittlungen gegen den Zentralbankchef: in Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Liechtenstein - und der Schweiz. Hier ermittelt die Bundesanwaltschaft seit 2020 wegen Verdachts auf Geldwäscherei gegen ihn, seinen Bruder und seine Assistentin. Auch die Finanzmarktaufsicht Finma ist aktiv geworden. Bei zwölf Banken machte sie Abklärungen. Gegen zwei hat sie inzwischen eine Untersuchung eingeleitet. In Frankreich hat die Justiz einen Haftbefehl gegen Riad Salameh erlassen, nachdem dieser nicht zu seiner Anhörung in Paris am 16. Mai erschienen war.
Der Vorwurf: Zwischen 2002 und 2015 sollen mehr als 300 Millionen US-Dollar von der libanesischen Zentralbank über eine Offshore-Firma auf Konten bei mehreren Schweizer Banken transferiert worden sein. Rund 250 Millionen wurden auf ein Konto der HSBC in Genf einbezahlt, das Raja Salameh gehört - dem Bruder des Zentralbankchefs.
Der Fall wirft kein gutes Licht auf die involvierten Schweizer Banken. "Es ist ein Desaster", sagt die Compliance-Expertin Monika Roth. "Der Fall zeigt, dass manche Banken offenbar bewusst wegschauen und ohne Skrupel die Geldwäschereiprävention unterlaufen." Der Skandal sei nicht nur wegen der hohen Geldsummen gross, so Roth, sondern weil die Regeln klar seien - und dennoch bewusst gegen sie verstossen wurde.
Doch die Geschichte von Riad Salameh ist grösser als Korruption und Geldwäscherei. Es geht darum, wie Gier gepaart mit Macht ein Land in den Abgrund reissen kann. Riad Salameh war kein Gangster, der im Untergrund seine Geschäfte macht. Er ist eine zentrale Figur in der libanesischen Kleptokratie: Er ist ihr Banker.
Ein Prozess gegen ihn wäre ein Meilenstein. Die Libanesinnen haben Jahrzehnte des Kriegs erlebt, Attentate auf hochrangige Politiker, Aktivistinnen, Journalisten - ohne dass jemals ein politisch Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wurde. Nun gibt es zum ersten Mal eine realistische Chance, dass einer aus der ersten Reihe verurteilt wird.
"Wir sprechen davon, dass die Leute die Ersparnisse ihres ganzen Lebens verloren haben", sagt Alia Ibrahim. "Jemand muss dafür den Preis bezahlen."
Die Geschäftsführerin von Daraj Media sitzt in ihrem Büro im Norden der libanesischen Hauptstadt Beirut. Vor kurzem ist das Online-Magazin umgezogen. Sie hat kaum noch Zeit, selbst zu recherchieren. Nur über ein Thema hat sie in den letzten Jahren regelmässig geschrieben: Riad Salameh.
Alia Ibrahim gründete Daraj Media 2016 zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen. Davor hatte sie ausgiebig über die arabischen Revolutionen und deren Folgen berichtet, war nach Tunesien, Libyen, Syrien und in den Jemen gereist. Das Problem der arabischen Medien, sagt sie, sei, dass die meisten von ihnen Politikern gehörten oder Geschäftsmännern, die Parteien oder Regimes nahestehen. Die Hofberichterstattung, die viele libanesische TV-Sender bis heute über Riad Salameh betrieben, sei dafür ein gutes Beispiel. "Wir wollten ein Medium gründen, das ganz den Journalisten gehört."
Ibrahim ist eine von rund einem Dutzend Personen, mit denen die Republik in den vergangenen Wochen in Beirut gesprochen hat - Journalistinnen, Anwälte, Aktivistinnen, Politiker. Sie alle setzen sich dafür ein, dass jemand zur Rechenschaft gezogen wird für diese Wirtschaftskrise, die die Mehrheit der Menschen im Libanon in die Armut gestürzt hat.
Von ihnen wollten wir wissen: Was bedeutet es für den Libanon, wenn Riad Salameh nun tatsächlich der Prozess gemacht wird?
Als Daraj Media jenes Dokument über das Vermögen Salamehs zugespielt wurde, war dies der Startschuss für eine Recherche, die bis heute andauert. Wochenlang versuchten die Journalistinnen, das Geflecht aus Offshore-Firmen und Bankkonten aufzuschlüsseln, das Riad Salameh und seine Entourage geschaffen hatten. Sie fanden Immobilien in Paris und London, die der Zentralbankchef gekauft hatte. Zum Beispiel eine Wohnung für 4,1 Millionen US-Dollar nahe der Royal Albert Hall und mit Sicht auf den Hyde Park in der britischen Hauptstadt.
Mit der Recherche wurde Ibrahim nicht nur klar, welches Jetset-Leben der Zentralbankchef all die Jahre geführt haben muss - sondern auch, welch zentrale Rolle er innerhalb der libanesischen Politik innehatte. Er war nicht einfach ein Rad im Getriebe. Er hatte das System miterschaffen, dessen Kollaps einen Grossteil der Menschen im Land in die Armut stürzte. "Wirtschaftlich gesehen hat nichts Sinn ergeben", sagt Ibrahim. "Der wichtigste Regulator war der korrupteste von allen."
Manchmal fragt sie sich, warum sie die Zeichen nicht früher gesehen hat. Zum Beispiel, als sie 2016 im Zentrum Beiruts eine riesige Konferenz für libanesische Start-ups besuchte, 9 Bühnen, über 20'000 Teilnehmerinnen und Gäste wie der Apple-Mitgründer Steve Wozniak. Damals war ihr neu gegründetes Online-Magazin auf der Suche nach Investoren. Doch ein ungutes Gefühl hielt Ibrahim von einer Bewerbung um Finanzierung ab.
Die Konferenz war Teil einer Initiative der Zentralbank, die aus dem Libanon ein neues Silicon Valley machen wollte. Dafür hatte Riad Salameh 2013 beschlossen, Banken, die einen kleinen Prozentsatz ihres Kapitals in Start-ups investierten, mit hohen Zinsen auf Staatsanleihen zu belohnen. Ein gutes Geschäft für die Banken. Und ein ungewöhnlicher Schritt für eine Zentralbank, deren Aufgabenbereich eigentlich auf Währungs- und Geldpolitik beschränkt sein sollte.
Die libanesische Zentralbank aber fand einen schmissigen Begriff dafür: "Banking outside the box".
Der Ausdruck ist bezeichnend für die Illusion, die Riad Salameh geschaffen hat. Bis vor wenigen Jahren galt der Libanon und vor allem sein Bankenplatz als ökonomisches Wunder, das politischen Krisen und Kriegen trotzte. Dafür krönte ein Branchenmagazin Riad Salameh 2009 zum Zentralbanker des Jahres.
Es war der damalige Ministerpräsident Rafiq Hariri, der Riad Salameh 1993 als Zentralbankchef einsetzte. Salameh sollte Hariris Vision umsetzen, die dieser nach dem Ende des Bürgerkriegs 1990 hatte: Der Libanon sollte wieder zu dem Finanz- und Tourismushub werden, der er vor dem Krieg gewesen ist. Dazu wurde das libanesische Pfund mit einem fixen Wechselkurs an den Dollar gebunden, um Vertrauen von Investoren in die Stabilität der libanesischen Wirtschaft zu schaffen.
Doch das System funktioniert nur, wenn genügend Dollars ins Land fliessen: im Fall des Libanon mit Touristinnen, über Investitionen in den Bau von Luxushochhäusern in Beirut und über reiche Leute, die ihr Geld auf libanesischen Konten anlegen. Doch nach Ausbruch des Bürgerkriegs im angrenzenden Syrien 2011 kamen kaum noch Touristen in den Libanon. Die Stellvertreterkriege zwischen Saudiarabien und dem Iran führten dazu, dass viele Investorinnen aus den Golfstaaten ihr Geld wegen der Präsenz der Iran-nahen Hizbollah-Miliz nicht in Beirut investierten. Und spätestens 2017, als der damals amtierende libanesische Ministerpräsident Saad Hariri in Saudiarabien festgehalten und zum Rücktritt gezwungen wurde, verloren viele Anleger das Vertrauen und zogen ihr Geld von Beiruts Banken ab.
Als Gegenmassnahme setzte Zentralbankchef Salameh auf jenes Spiel, das später selbst die Weltbank als "Ponzi scheme" bezeichnete: Der Begriff meint ein Betrugssystem, bei dem Anlegerinnen mit exorbitanten Zinsen angelockt werden, die wiederum aus potenziellen zukünftigen Investitionen bezahlt werden. Im Libanon gab der Zentralbankchef Staatsanleihen zu rekordhohen Zinsen an die Banken aus, die Banken gaben die hohen Zinsen weiter an neue Anleger mit Dollarkonten. Banking outside the box. Doch die Zinsen frassen die Reserven der Zentralbank auf und jene der Banken. Als dennoch immer weniger Dollars ins Land kamen und die Banken schliesslich im Herbst 2019 mit einem Anlegersturm rechnen mussten, kollabierte das System.
Den Preis bezahlen die Libanesinnen, die ihre Ersparnisse auf der Bank hatten - und mit dem Kollaps alles verloren. "Wenn du die Sprachnachrichten hören würdest, die wir erhalten", sagt Fouad Debs, ein libanesischer Anwalt. "Sie haben die Leute zerstört." Er scrollt durch sein Smartphone, um zu zeigen, wie viele geprellte Sparer ihm jeden Tag schreiben. "Manche Leute duschen nicht mehr, weil sie es sich nicht leisten können, das Wasser zu heizen", sagt er. "Sie haben kein Essen mehr zu Hause, weil sie sich den Generator nicht leisten können, um den Kühlschrank zu betreiben."
Fouad Debs hat Politik und Recht in Beirut und New York studiert, inzwischen besitzt er einen amerikanischen Pass. Er tat das, was schon vor der Krise viele Libanesinnen taten: Debs sorgte dafür, dass er im Zweifelsfall auch ausserhalb des Libanon eine Existenz haben würde. Diese Vorsorge ist heute mit ein Grund, warum der 35-Jährige bleibt: Er möchte jenen beistehen, die nicht dieselbe Möglichkeit haben wie er. "Zu sehen, was meinem Land gerade zustösst, ohne hier zu sein, würde mich umbringen."
2019 hat Debs zusammen mit anderen die "Gewerkschaft der Sparer" gegründet. Sie klagen gegen Banken, um die Ersparnisse Einzelner herauszukriegen - denn die Kapitalkontrollen seien ohne gesetzliche Grundlage und damit illegal, so Debs. Sie lobbyieren bei Botschaften verschiedener Länder dafür, dass die Verursacher der Krise - die herrschende Elite im Libanon - zu personae non gratae erklärt werden. Und jeden Tag beantwortet Debs Fragen von Sparerinnen, telefoniert er mit verzweifelten Menschen.
"Es ist frustrierend, weil so viele Bemühungen ins Leere laufen", sagt er. "Es macht wütend. Das ist es, was sie kreiert haben: eine unglückliche, deprimierte, wütende Bevölkerung. Das passiert, wenn es keine Gerechtigkeit gibt."
Wie gross die Verzweiflung inzwischen ist, wurde vergangenes Jahr besonders deutlich. Damals kam es zu einer Serie von Banküberfällen, bei denen Kontoinhaberinnen in Bankfilialen eindrangen, um die Herausgabe ihrer eigenen Ersparnisse zu erzwingen.
Da war etwa Sali Hafez. Im Herbst 2022 ging ein Video viral, das zeigte, wie die 28-Jährige mit einer echt wirkenden Spielzeugpistole in eine Filiale eindrang. Laut Augenzeugen übergoss sie sich mit Benzin und drohte, sich anzuzünden. Ihre Schwester war an Krebs erkrankt, Hafez wollte an ihr Geld, um für die Behandlung bezahlen zu können.
Ein anderer war Bassam Sheikh Hussein, der über Stunden mehrere Bankangestellte als Geiseln festhielt, während ihm draussen eine Menschenmenge zujubelte und ein Restaurant Essen in die Bank schickte. Um sich gegen die Wut der Menschen zu schützen, sind die Eingänge vieler Bankfilialen heute mit Stahlplatten abgeriegelt, als wären sie Gefängnisse.
Die Banküberfälle sind für viele der letzte Ausweg, nachdem alle anderen Bemühungen, das eigene Geld von den Banken herauszubekommen, ins Leere gelaufen sind. Rund 400 Klagen hat die Sparergewerkschaft seit 2019 eingereicht, die meisten blieben bis heute ohne Antwort.
Klagen gegen Banken wanderten oft "in die Schublade", sagt Debs, denn viele Richter seien korrupt und stünden einer der herrschenden Parteien nahe. Die Einmischung der Politik in die Justiz zeigt sich im Fall Riad Salameh besonders deutlich: Anfang Mai erst wurde die Richterin Ghada Aoun entlassen. Sie galt als eine der wenigen, die zumindest die Untersuchungen gegen den Zentralbankchef nicht blockierten, sondern, im Gegenteil, vorantrieben.
Hinzu kommen die Folgen der Krise: Ein Richter, der vor der Krise umgerechnet 3000 Dollar verdiente, bekommt heute wegen der Inflation noch 60 Dollar. 2022 streikten die Richterinnen während Monaten, die meisten Gerichte blieben geschlossen. Der faktische Kollaps der Justiz hat weitreichende Auswirkungen auf die Gesellschaft: "Es sind die armen Leute, die für Gerechtigkeit auf Gerichte angewiesen sind", sagt Debs. "Die Reichen kaufen sich ihr Recht einfach."
Das Büro von Tarek Ammar liegt direkt gegenüber der Zentralbank. Die grossen Fenster im Erdgeschoss der Bank sind vergittert, der Eingang ist mit einer Stahlplatte geschützt. Jeden Tag sieht Ammar Lastwagen hin- und wegfahren, gefüllt mit Libanesische-Pfund-Noten, die die Zentralbank drucken lässt und so die Inflation weiter anheizt. "Wenn ich die Angestellten sehe, die das Geld hin- und hertragen, während ihr Monatslohn nur etwa 30 Dollar beträgt, macht mich das krank", sagt Ammar.
Er hatte den libanesischen Banken schon früher nicht getraut und sein Geld stets ausserhalb des Libanon angelegt. Der Mittfünfziger hatte, wie Hunderttausende andere Libanesen seiner Generation, jahrelang in den arabischen Golfstaaten gearbeitet. Viele seiner Freunde hätten jetzt, kurz vor der Rente, all ihre Ersparnisse verloren. "Wir haben hier keine Sozialversicherung und kaum eine Rente wie in Europa", sagt Ammar. "Ich weiss, wie schwer es ist, Geld zu sparen, nur um eine Zukunft zu haben. Und dann wird alles gestohlen."
Als 2019 die Massendemonstrationen begannen, war er jeden Tag auf der Strasse. "Uns war von Anfang an klar, dass wir handeln mussten, um die Ersparnisse der Menschen zu schützen", sagt Ammar, der seit Jahrzehnten politisch aktiv ist. 2016 hatte er Beirut Madinati mitgegründet, die erste einer Reihe politischer Parteien, die in den letzten Jahren als Alternative zum politischen Establishment entstanden sind.
In jenem Herbst 2019 kursierten Gerüchte, dass reiche und einflussreiche Personen ihr Geld aus dem Land transferierten - während das für normalsterbliche Bürgerinnen nicht möglich war. So soll Riad Salamehs Sohn Nady 6,5 Millionen US-Dollar ins Ausland verschoben haben. Insgesamt seien wohl rund 6 Milliarden US-Dollar aus dem Land geschmuggelt worden, schätzte der frühere Generaldirektor des Wirtschaftsministeriums Alain Bifani im Juni 2020.
Zusammen mit anderen Organisationen schrieben die Mitglieder von Beirut Madinati schliesslich einen Brief an die Schweizer Regierung. Denn ein Teil dieses Geldes, so vermuteten damals viele, könnte in der Schweiz gelandet sein. Sie forderten den Bundesrat auf, Vermögen von politisch exponierten Personen auf Schweizer Konten zu sperren, und beriefen sich dabei auf das Gesetz, das die Sperrung von Potentatengeldern ermöglicht.
Sie erhielten eine Absage. In seiner Antwort an die libanesische Partei stellte der Bund sich auf den Standpunkt, die Bedingungen für eine Sperrung seien nicht erfüllt. "Die Schweiz antwortete uns, dass sie eine offizielle Anfrage der libanesischen Regierung bräuchten", sagt Tarek Ammar. "Dabei ist es die Regierung, die uns ausraubt." Eine ähnliche Antwort erhielt auch der SP-Nationalrat Fabian Molina, als er im Frühling 2020 vom Bundesrat wissen wollte, wie dieser sich zu den Geldern politisch exponierter Personen aus dem Libanon auf Schweizer Bankkonten stelle.
Der Bundesrat, der die Kompetenz hätte, ohne Rechtshilfegesuch der libanesischen Behörden Gelder politisch exponierter Personen zu sperren, wurde nicht aktiv. Doch nachdem die Bundesanwaltschaft 2020 aufgrund einer Verdachtsmeldung durch eine Genfer Bank Ermittlungen eingeleitet hatte, folgten später auch Untersuchungen in Frankreich, Deutschland, Luxemburg und Liechtenstein.
Wenn Ammar über die Ermittlungen und den anstehenden Prozess in Frankreich gegen Riad Salameh spricht, klingt er beinahe optimistisch: "Wenn Salameh fällt, fallen andere mit ihm." Denn der Zentralbankchef hat vermutlich nicht nur zu jeder einflussreichen Person eine Geschichte über korrupte Geschäfte in der Hand - sondern auch die Dokumente, um sie zu belegen.
Doch das sei auch das grösste Hindernis für eine Verurteilung Salamehs: Der Libanon, ist Ammar überzeugt, werde den Zentralbankchef nicht ausliefern. Die herrschende Elite habe Angst vor diesem Prozess, Angst, dass Salameh vor Gericht auspacken und andere mit in den Abgrund ziehen könnte. "Ich denke, Riad Salameh wird eher getötet werden, als dass er verurteilt wird", sagt Tarek Ammar. "Ich wäre glücklich darüber. Er muss bestraft werden. Aber natürlich wäre es mir lieber, er würde verurteilt."
In diesen Worten spiegelt sich, was früher oder später viele Gesprächspartner als Antrieb nennen: Wut. "Es gibt noch Dinge, um die es sich zu kämpfen lohnt. Die verbleibenden Geldreserven, der Staatsbesitz", sagt Nizar Ghanem vom Alternativmedium "Badil", das nach 2019 entstanden ist. "Aber vor allem geht es darum, die Verantwortlichen zu bestrafen. Es geht um Rache."
Dass ihr Kampf nicht mit Riad Salameh endet, zeigt ein aktueller Bericht von "Badil". Darin werden Aktionäre der grössten libanesischen Banken, von denen viele selbst hochrangige Politiker sind, beim Namen genannt. "Damit jemand im Ausland zumindest zweimal überlegt, ob er diesen Personen ein Darlehen geben will oder nicht."
Nachdem Frankreich den Haftbefehl gegen Salameh erlassen hatte, forderte der libanesische Interimsvizepräsident Saade Shami den Zentralbankchef zum Rücktritt auf. Salameh, dessen Amtszeit im Juli endet, hatte bereits davor angekündigt, nicht mehr anzutreten. Gegen den Haftbefehl will er Beschwerde einreichen.
"Salameh ist nicht dumm", so Tarek Ammar. "Er weiss, das hier ist kein Spiel. Es geht um sein Leben."
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