Aufgeregte Menschen schieben sich durch beengte Gänge, vorne ragen wackelnde Katzenohren aus der Menge, irgendwo raschelt eine Kettenrüstung. Die drückende Hitze in manchen Hallen der Gamescom scheint keinen großen Einfluss auf diesen Schwarm zu haben - sobald sich die zu eins gewordene Menschenmasse in eine der Messehallen schiebt, erfasst sie eine einzigartige Atmosphäre. Die wummernden Bässe von Spielepräsentationen erschüttern sie bis ins Mark. Einige Besucher klinken sich aus dem Gemenge aus, um sich staunend die meterhohen Stände anzusehen, die oft bis unter die hohen Decken der Messehallen reichen. In diesen Momenten lässt sich an den aufgerissenen Augen und den begeisterten Seitenblicken zu Freunden ablesen, dass sich die Tortur für manche schon gelohnt hat.
Gamescom: andere DimensionenSeit 2009 verwandelt sich Köln jedes Jahr gegen Ende August zum Wallfahrtsort für Gaming-Fans. Bis heute stiegen die Besucherzahlen um etwa 100.000 Menschen auf insgesamt 373.000 Zocker an, die Ausstellungsfläche vergrößerte sich auf mittlerweile stolze 218.000 Quadratmeter. Was für eingefleischte Messebesucher mittlerweile normal wirkt, ist für Neulinge durchaus überwältigend, die Hallen erscheinen wie ein undurchdringliches Labyrinth. Das Besondere an der Gamescom ist für die Zocker, dass sie kommende Spiele-Hits aus der ganzen Welt antesten dürfen. Mehr als 1.000 Aussteller sind vor Ort, zeigen Spiele, Trailer, verteilen fleißig Werbegeschenke oder informieren über neueste Technik und Jobs. Doch vor allem können Spieler hier eines tun: mit Gleichgesinnten reden, sich auf einer Ebene austauschen.
Dafür sind auch Jenny, 22, und Magdalena, 20, aus Arnsberg angereist. Die beiden stehen für mehrere Stunden in einer Schlange an, um sich die Filmpräsentation eines Rollenspiels anzusehen. Genervt sehen die jungen Frauen nicht aus - sie sind gut gelaunt, freundlich, lächeln herzlich. Seit sieben beziehungsweise sechs Jahren kehren die beiden Schwestern immer wieder in die rheinische Metropole ein. "Hier lacht einen niemand dafür aus, wenn man dieses oder jenes Spiel spielt", erzählt die Auszubildende Magdalena. "Auf der Arbeit hingegen kommt das Hobby gar nicht gut an". Für die Messe hat sie sich sogar eine Woche Urlaub genommen.
"Festival-Feeling" inklusiveDie Stimmen lauter Präsentatoren schallen durch die Halle, hinter den beiden Frauen stellt jemand einen klappernden Campingstuhl auf - Teil der Standardausrüstung für die Messebesucher, die teilweise bis zu fünf Stunden vor den Ständen warten müssen, bis sie den Controller in die Hand nehmen dürfen. Jenny und Magdalena bleiben tapfer stehen. Ein Mann mit vollbepacktem Rucksack quetscht sich an ihnen vorbei, murmelt ein paar entschuldigende Worte. Magdalena runzelt kurz die Stirn, findet aber schnell zur guten Laune zurück. Für vier Tage dieses Games-Wahnsinns geben die jungen Frauen rund 60 bis 70 Euro exklusive Tickets aus. Pro Tag kostet der Eintritt im Vorverkauf 16,50 Euro, für Studierende und Azubis sind die Karten auf zehn Euro ermäßigt. Studentin Jenny zockt laut eigener Aussage mehr als ihre Schwester. "Früher hat mich mein Vater mal mitgenommen, er hat uns so ein bisschen darauf gebracht. Samstags kommt er mittlerweile immer mit, quasi ein Familienausflug". Jeden Messetag fahren sie mit dem Auto nach Köln und wieder zurück in die Heimat - jeweils zwei Stunden Autofahrt. Das "Festival-Feeling" der Gamescom sei es ihnen wert, die Leute seien so offen, das Publikum bunt gemischt.
So versteht sich die Gamescom auch selbst, als "Herz der globalen Gaming-Szene". Die größte europäische Messe stellt eines der wichtigsten Ereignisse für die Branche dar, samt Staraufgebot. Weltmeister Lothar Matthäus ließ sich etwa in einer Pressevorführung blicken, Youtuber und Streamer gehören sowieso dazu. Für die deutsche Branche ist die Messe aber auch eine Gelegenheit, die Politik von sich zu überzeugen. Dieses Jahr eröffneten unter anderem Verkehrsminister Andreas Scheuer und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär die Spielemesse. Bär betonte in ihrer Rede, dass Gaming kein Nischenphänomen mehr sei: "Wer sich bewusst macht, dass jeder zweite Deutsche spielt und die größte Spielergruppe die über 50-Jährigen sind, dem wird klar: Gaming ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen."
Vielfalt unter den BesuchernAuf der Messe sind dagegen meist junge Männer zu sehen. Sie stampfen schweren Schrittes mit riesigen Tragetaschen samt Werbedruck und von Ausstellern gestellten Papp-Sitzblöcken über den dunklen, zerkratzten Boden der Messehallen. Nur rund ein Viertel der Besucher sind tatsächlich Frauen. Zwischen den eher unscheinbaren Personen erspähen Besucher oft sogenannte Cosplayer. Um die verkleideten Personen bilden sich schnell Menschentrauben, einer nach dem anderen zückt Handy oder Kamera, um diesen Moment festzuhalten - den Moment, in dem sie Kultfiguren oder fiktiven Idolen in Wirklichkeit begegnen. Cosplayer basteln sich ihre Kostüme meist selbst mühevoll zusammen, sodass sie Spiel-, Film- oder Animefiguren bis ins Detail ähneln. Diese Kunstwerke präsentieren sie stolz auf der Gamescom, etwa im eigens dafür gedachten Cosplay Village - das in diesem Jahr allerdings geschrumpft zu sein scheint.
Das Cosplay-Paar Sven, 31, und Deborah, 33, besucht seit knapp zehn Jahren die Messe - mittlerweile immer verkleidet. Er ist Berufskraftfahrer, sie Altenpflegerin. "Wir sind hauptsächlich für andere hier, ehrlich gesagt", beichtet Sven. Das Gespräch wird dann auch mehrmals von begeisterten Leuten unterbrochen. Einer fragt, ob eine auf dem Boden herumliegende Maske zu haben sei, ein anderer lässt sich schnell mit den beiden ablichten, noch jemand schlurft zunächst vorbei, dreht sich dann doch um und spricht ein großes Kompliment für die Kostümierung aus. Danach umarmt er in seinem leicht verschwitzten Flauschanzug alle Anwesenden der Reihe nach. "Hier sind alle nett zueinander - in der Stadt ist es schlimmer als hier drin.", so Sven. "Hier sind Spieler unter sich". Für die Messestände der Entwickler interessieren sich die beiden aber an den Privatbesuchertagen nicht - ab Mittwoch sei es einfach zu voll, um etwas anzuspielen.
Clash der GenerationenAbseits der gehypten, modernen Titel im Hauptbereich gibt es Halle zehn, mit einem Retro- und Familienbereich, gleich neben Infoständen zu Berufsmöglichkeiten und dem Indiespiel-Bereich. Diese Halle ist nicht nur eine Parallelwelt, wie der Rest der Messe auch, sondern eine kleine Zeitreise. Jahrzehnte alte Arcade-Automaten sowie vergangene Konsolen-Modelle oder PCs wie der C64 locken Alt und Jung vor die flimmernden Bildschirme. Nirgendwo auf der Messe treffen so viele verschiedene Altergruppen aufeinander wie hier. Außerdem lichtet sich die Menschenmenge in diesem Bereich etwas - das ist deutlich angenehmer für die Besucher, die hier durch die dunklen Gänge ziehen.
Kurz vor 19 Uhr, also kurz vor Schluss, strömen die meisten Besucher Richtung Ausgang. Einmal draußen, fliegen sie in alle Richtungen aus - wahrscheinlich froh, dass der anstrengende Messetag so langsam zum Ende kommt. Die Füße schmerzen, die Augen müssen sich wieder an eine ordentliche Belichtung gewöhnen. Aber eines ist sicher: Die meisten von ihnen kommen wohl wieder. Vielleicht morgen, doch vor allem ziemlich sicher im nächsten Jahr.
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