Melanie Ucke, M.A.

Kulturjournalistin, Kunsthistorikerin, Referentin, Museumspädagogin, Timmendorfer Strand

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Glosse

Solidarität braucht nicht viel Anlauf

In Zeiten von EM und sonni­ger Sommerlaune ist er wie­der verstärkt zu spüren: der Gemeinsinn.
So kommen bei Tippspie­len oder der obligatorischen Frage nach der Endspielkonstellation Kollegen, Nachbarn oder auch mal Unbekannte auf dem Fanfest kurz ins Ge­spräch. Ein wenig gemein­sam Fachsimpeln,seine Sympathie mit einer Mannschaft bekunden oder auch eine Fußball-­Anekdote bringen die Leute – zumindest kurz­zeitig – einander etwas näher. Teamgeist breitet sich ange­nehm über Ländergrenzen und Denk­barrieren hinweg aus. Man schaut einfach ge­meinsam das Spiel.

Doch auch nach Sommer­sause und EM-­Laune muss Zeit und Platz sein für Ge­meinschaft, etwas, was die Menschen nicht so schnell aneinander vorübergehen lässt. So etwas wie Verbunden­heit,Zusammengehörigkeit, Bindung, Loyalität, Kamerad­schaft – kurz: Solidarität – prägt doch die Menschen und schützt ihre Werte. Es braucht nicht viel Anlauf, etwa die Blumen des Nachbarn zu gießen, wenn dieser im Urlaub ist, mal für den Kollegen einzuspringen oder gar zum Blutspenden zu gehen oder sich für die Kno­chenmarkspenderdatei typi­sieren zu lassen. Unfälle, Krebsrate oder neue, noch weitgehend unerforschte Krankheiten häufen sich er­ schreckend schnell.Was also hindert einen gesunden Men­schen daran, etwas für ande­re zu tun? Sich mal ebenso „durchla­vieren" scheint vielen beque­mer, am besten gar nichts fürs Gemeinwohl tun. Lieber nur an sich und seinen Vorteil denken.Leider zeigt eine Umfrage unter Jugendlichen, dass genau das ein großer Trend ist, sich nicht abzuheben von der Masse. Bloß nicht auffallen, weder positiv noch negativ. Lieber im Mainstream verbergen.Doch was, wenn man selbst mal Unterstützung braucht?

Ich vermisse da eine ge­wisse Vorbildfunktion bei ei­nigen Erwachsenen – wie soll der Nachwuchs Verantwor­tung übernehmen, wenn schon Eltern oder Persönlichkeiten sich nicht einset­zen? Bürgermeister, Bischöfinnen und weitere, öffentli­che Personen haben in den vergangenen zehn Jahren zu oft bewiesen, dass man sich allzu leicht aus der Verant­wortung stehlen kann, wenn es zu anstrengend wird. Und es muss auch nicht immer ums große Ganze ge­hen. Wichtiger scheint mir die eigene, unmittelbare Um­gebung, also Familie, Freun­de, Kollegen und Nachbarn betreffend. Vielleicht ist die nähere Umgebung in Zeiten der Globalisierung etwas zu sehr außer Acht geraten. Denn: Es fällt so vielen Menschen leicht, in Echtzeit per Klick in den sozialen Netzwerken ihre Verbundenheit mit Un­fallopfern auf der anderen Seite der Erdhalbkugel zube­kunden. Das ist natürlich pri­ma, wenn viele „Freunde“ diese Nachricht dann ihrer­ seitsteilen oder „liken“. Ist allerdings genau so schnell wieder abgehakt, da der nächste Post schon nachfolgt.

Es beginnt im Kleinen, egal in welchem Alter: Wa­rum also nicht beispielsweise eher dem Nachbarn mal eine helfende Hand reichen? Den sieht man ja beinahe täglich. Und er wird es bestimmt nicht so schnell vergessen.