Die Taubenjägerin Die besten Geschichten aus dem MDR- Literaturwettbewerb 2014 Hrsg. von Michael Hametner ca. 192 Seiten, 12,80 Euro ISBN 978-3-940691-57-6 poetenladen Verlag, Mai 2014
Entdeckungsarbeit
Der MDR-Literaturwettbewerb ist der deutschlandweit am meisten nachgefragte literarische Wettbewerb. Er leistet Entdeckungsarbeit und präsentiert namhafte Autoren mit neuen Kurzgeschichten, einer so attraktiven wie anspruchsvollen literarischen Form. Dieser Band präsentiert aus mehr als 1500 Einsendungen die besten 25 Geschichten des 19. Jahrgangs. Darunter neue Kurzgeschichten von Kathrin Schmidt (Gewinnerin Deutscher Buchpreis 2009), Fabian Hischmann (nominiert für den Leipziger Buchpreis 2014), Ursula Kirchenmayer (2. Preisträgerin im MDR-Wettbewerb 2012) und von Sannah Jahncke (Jahrgang 1989), Dilek Güngör (Jahrgang 1972) und Jan Fischer (Jahrgang 1983). Unterhaltung und Entdeckungen sind garantiert.
Foto: MDR
Michael Hametner, geboren 1950, studierte Journalistik in Leipzig, arbeitete zunächst als Schauspieler und Regisseur und war Leiter des Theaters der Leipziger Universität. Anfang der 1990er Jahre begann er als freier Mitarbeiter beim Mitteldeutschen Rundfunk, wo er seit 1994 als Literaturredakteur tätig und heute unter anderem für den 1995 gegründeten MDR- Literaturwettbewerb verantwortlich ist.
Was ist eine gute Kurzgeschichte Aus dem Vorwort von Michael Hametner
In diesem Band finden Sie 25 Beispiele für gute, gelungene Kurzgeschichten. Aber kann ich deshalb sagen, was eine gute Kurzgeschichte ausmacht? Seit 19 Jahren bin ich durch den MDR-Literaturwettbewerb dieser Form auf der Spur - dies ist die 19. Jahresauswahl mit den besten Kurzgeschichten aus dem Wettbewerb -, aber weiß ich deshalb mit letzter Sicherheit, wonach ich bei der Auswahl suchen muss? Mit letzter Sicherheit weiß man in der Kunst gar nichts, aber Anhaltspunkte gibt es, denke ich. Eine gute Kurzgeschichte ist keine Fingerübung. Es wird ja oft den Anfängern leichtfertig geraten: Vor dem Roman schreib ein paar Kurzgeschichten als Fingerübung. Oh, Mann beziehungsweise Frau, das ist ein Irrtum. Ist der kurze Brief nicht schwerer zu schreiben als der lange, wo nichts den Schreibfluss bremst? Kürze bedeutet, nicht alles, auch nicht mit anderen Worten, doppelt sagen, Unwichtiges weglassen, Wichtiges andeuten. So nähern wir uns durchaus einer guten Kurzgeschichte, darin wird Ähnliches wie beim kurzen Brief verlangt: verschlucken, verknappen, verdichten. Nur das Nötigste zu sagen, ist schwer. Wer es als Schriftsteller gewohnt ist, im Wald alle Bäume beim Namen zu nennen, ist in dieser Form falsch. Hier ist es der Wald und der schweigt in der Regel oder steht dunkel. Damit scheint eines klar: Die Kurzgeschichte verlangt vom Schreiber Disziplin. Was sie automatisch vom Gedanken, eine Fingerübung zu sein, freispricht. Für die Kurzgeschichte wird Übung gebraucht. Sie ist eine strenge Form. Wer als Schriftsteller keine strengen Formen mag, ist bei der Kurzgeschichte falsch. Die Einen sagen: Eine gute Kurzgeschichte ist ein verschenkter Roman. Welcher Schriftsteller hat etwas zu verschenken? Was bedeutet: ein verschenkter Roman? Es bedeutet, dass der Autor ein stoffliches und gedankliches Volumen in der Hinterhand haben muss, das für einen Roman ausreichte. Zum Beispiel Figuren, die nicht nur einen Namen tragen, sondern ein ganzes Leben besitzen. Das kann nicht in aller Vollständigkeit in der Kurzgeschichte ausgebreitet werden, tritt aber in dem einen oder anderen Satz hervor. Der Autor benutzt nur, was er für die Geschichte braucht, lässt aber hier und da spüren, dass er mehr weiß. Nur so hat der Leser das Gefühl, hier ist etwas verknappt und verdichtet. Die gute Kurzgeschichte gleicht einer Instant-Tablette: Wirft man sie ins Wasser, nimmt es einen ganz besonderen Geschmack an. Erst mit dem Gedanken an einen verschenkten Roman und dem im Kopf des Autors ausgesponnenen großen Stoff bekommt das Bild des Kurzgeschichten-Meisters Ernest Hemingway überhaupt seinen Sinn: Sein Bild für die Kurzgeschichte war nämlich das des Eisbergs. Es sei, so Hemingway, nicht erforderlich, dass ein Autor alle Details seiner Hauptfigur erzähle. Es genüge, wenn, wie bei einem Eisberg, ein Achtel über Wasser zu erkennen sei. Der Autor muss viel mehr Details von seiner Hauptfigur kennen, als er in der Geschichte verwendet. Hätte er jetzt viele Hauptfiguren und die noch ein paar Nebenfiguren im Schlepptau, dann wäre alles zusammen vermutlich für eine Kurzgeschichte zu viel. Deshalb besitzt die Kurzgeschichte meist nur eine Hauptfigur. Vielleicht daneben höchstens noch eine zweite, die die wirkliche Hauptfigur in Not bringt und zu irgendetwas Überraschendem zwingt. Diese entscheidende Handlung liegt dann am Schluss und erscheint oft als Pointe des Textes. Die Pointe ist nichts weiter als das unerwartete Ende, der überraschende Schlusseffekt. Unerwartet und überraschend heißt niemals unwahrscheinlich. Da ist einiges Fingerspitzengefühl vom Schriftsteller gefragt und vor allem: Zwischen dem ersten und dem letzten Satz muss ein Faden durch den Text gespannt sein. So er wirklich gespannt ist, entsteht Spannung. Die ist für jedes Erzählen wichtig, besonders für die Kurzgeschichte. Was ist eine wirklich gute Kurzgeschichte? Selbst wenn ich hier ein paar Merkmale beschrieben habe, die mir im Lauf der Jahre bei der Auswahl für diese Anthologie aufgefallen sind, ist das Resultat alles andere als ein Regelwerk für die Suche. Denn irgendwie ist jede Geschichte doch anders. Was diesen Band mit 25 Kurzgeschichten aus dem aktuellen Jahrgang überraschend macht. Manchmal geht es eben auch anders - und das Resultat ist gleichwohl eine gute Kurzgeschichte. Überzeugen Sie sich.
Vorwort von Michael Hamenter Die Taubenjägerin. Die besten Geschichten aus dem MDR-Literaturwettbewerb 2014
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Die besten Geschichten aus dem MDR-Literatur- Wettbewerb 2014
Die besten Geschichten aus dem MDR-Literatur- Wettbewerb 2013
Michael Hametner