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Sensation beim Offensivspektakel

Nick Foles fängt einen Touchdown-Pass in der Endzone. (Foto: USA TODAY Sports)

Die Philadelphia Eagles gewinnen mit einem 41:33 den Super Bowl gegen den großen Favoriten New England Patriots. Spieler des Spiels ist Eagles-Spielmacher Nick Foles – der erstmals in der Geschichte des Super Bowls als Quarterback einen Touchdown selbst fängt. Die Eagles brechen damit die Dominanz der Patriots. Die schienen mit Spielmacher Brady nahezu unschlagbar.

Zu den Aufgaben eines Quarterbacks im American Football gehört es, Bälle zu werfen und zu übergeben. Zu den Aufgaben des Spielmachers gehört es eher nicht, Bälle auch noch zu fangen. Das gestaltet sich in der Theorie sowieso schwierig, weil die Spielmacher ja nicht passen und fangen gleichzeitig können, und passiert in der Praxis so gut wie nie, weil es in jeder Mannschaft fürs Fangen deutlich qualifizierteres Personal gibt als die Quarterbacks. Weil aber sowohl Tom Brady von den New England Patriots als auch Nick Foles von den Philadelphia Eagles die Anforderungen ihres Jobs gleichermaßen grandios erfüllten an diesem Sonntagabend (Ortszeit) in Minneapolis, Minnesota, stand am Ende eine für die Quarterbacks recht ungewohnte Situation stellvertretend für Sieg und Niederlage im Super Bowl Nummer 52.

Foles, bis vor wenigen Wochen noch Ersatzmann des derzeit am Knie verletzten Eagles-Spielmachers Carson Wentz, zeigte am Höhepunkt der Saison seine beste Partie und hat den größten Anteil daran, dass seine Mannschaft erstmals in der Vereinshistorie den Super Bowl gewinnen konnte. Als erstem Quarterback überhaupt gelang es dem 29-Jährigen beim 41:33-Sieg der Eagles, in einem Super Bowl einen Touchdown zu fangen. Dazu warf er drei weitere - und wurde am Ende zum wertvollsten Spieler des Finales gewählt, weil er stets die richtigen Entscheidungen traf. Dennoch hätte sich niemand beschweren dürfen, wenn am Ende der 40 Jahre alte Tom Brady diese Auszeichnung erhalten hätte. Der Patriots-Quarterback warf Pässe für 505 Yards Raumgewinn, so viel wie kein Spieler zuvor, er bereitet vier Touchdowns vor, er führte seine Mannschaft zum zwischenzeitlichen Comeback. Aber: In der Regel geht der MVP-Titel ans Siegerteam. Verdient, denn Foles war in einem Schlüsselmoment zur Stelle.

"Ich war immer ganz ruhig, wir haben ein so gutes Team und so gute Coaches, da hatte ich zu jedem Zeitpunkt Selbstvertrauen. Ich musste nicht Superman sein. Wir haben einfach Footbal gespielt und unser Ding gemacht", sagte Foles nach der Partie.

Mitte des zweiten Viertels, Philadelphia führte mit 9:3, zeigte sich, dass der fünfmalige Super-Bowl-Sieger Brady eben doch nur ein Mensch ist. Per Trickspielzug gelangte der Ball vom Quarterback zu seinem Mitspieler Danny Amendola, der wiederum den Überraschungseffekt nutzte und in Richtung des völlig freien Brady warf. Brady aber ließ den etwas lang geratenen Pass durch die Fingerspitzen gleiten, das Angriffsrecht wechselte.

Als die Eagles eine halbe Minute vor der Pause an der gegnerischen Endzone standen, wählten sie das Risiko. Statt per Field Goal relativ sichere drei Punkte zu erzielen, entschieden sie sich ebenfalls für den Trickspielzug mit vertauschten Rollen. Mit dem gravierenden Unterschied, dass der Pass von Tight End (Passempfänger und Blocker) Trey Burton sicher in den Händen von Quarterback Foles landete. Der Werfer wurde zum Fänger, zum ersten Mal überhaupt in der Karriere des Spielmachers. Touchdown Philadelphia.

Die Zuschauer erleben eine chaotische erste Hälfte

Es waren nur zwei von zahlreichen verrückten Szenen in einem Endspiel, das zwei offensivgewaltige und in der Defensive ratlos auftretende Mannschaften im wilden Schlagabtausch zeigte. Beide Teams hatten je ein Field Goal verwandelt (3:3), ehe Nick Foles erstmalig einen Mitspieler in der Endzone der Patriots fand. Alshon Jeffery fing den Pass des Spielmachers über 34 Yards. Patriots-Cheftrainer Bill Belichick hatte sich zuvor entschieden, Malcolm Butler, den Matchwinner aus Super Bowl 49, auf der Bank und stattdessen den etwas größeren Eric Rowe gegen den kräftigen Eins-neunzig-Mann Jeffery verteidigen zu lassen. Der gewünschte Effekt blieb aus. Die 9:3-Führung der Eagles baute wenig später Läufer LeGarrette Blount zum 15:3 aus. Blount hatte in der vergangenen Saison noch mit den Patriots den Super Bowl gewonnen, entschied sich dann aber für einen Wechsel nach Philadelphia, weil ihm dort mehr Geld versprochen wurde. Er setzte sein Ex-Team nun sportlich unter Druck.

Von diesem Rückstand ließen sich Patriots-Kicker Stephen Gostkowski und Spielmacher Brady verunsichern. Sie kamen mit ihrem Team zwar durch ein verwandeltes Field Goal und einen Touchdown-Lauf von James White wieder auf 12:15 an die Eagles heran, hatten da aber bereits die Möglichkeit zur Führung liegen gelassen. Gostkowski schoss den Ball bei einem weiteren Field-Goal-Versuch nicht durch die Torstangen, sondern an den linken Pfosten, Brady brachte den eingangs erwähnten Pass von Amendola nicht unter Kontrolle. Zudem verloren die Patriots ihren flinken Receiver Brandin Cooks, der nach einem harten Zusammenstoß mit Malcolm Jenkins benommen am Boden liegen blieb. Diagnose: Gehirnerschütterung. Foles' Catch zum 21:12 und der anschließende Extrapunkt waren der Schlussakkord einer chaotischen ersten Hälfte geprägt von effizienten Angriffs- und fehlerbehafteten Verteidigungsaktionen.

Nach einer an Highlights armen Halbzeitshow von Justin Timberlake, in der er den 2016 verstorbenen Sänger Prince, geboren in Minneapolis, würdigte, setzten die Patriots zum traditionellen Comeback an. Bereits bei den vergangenen zwei Titelgewinnen hatte New England jeweils zweistellige Rückstände aufgeholt. Patriots-Tight-End Rob Gronkowski, der in der ersten Hälfte kein Faktor war und nun endlich ins Spiel eingebunden wurde, eröffnete den Shootout. Den Weg in die Endzone der Eagles fanden er und Brady im Alleingang - viermal warf der Quarterback zu seiner wichtigsten Anspielstation. Und so war es nach Touchdowns durch Corey Clement (Eagles), Chris Hogan (Patriots) und einem Field Goal durch Philadelphias Kicker Jake Elliott erneut Gronkowski, der New England beim 33:32 erstmals überhaupt in Führung brachte. Alles sah nach der famosen Wende aus, die die Patriots schon im Vorjahr gegen die Atlanta Falcons geschafft hatten.

Dann aber fand Foles seinen Tight End Zach Ertz, der spektakulär in die Endzone hechtete. Die Szene wurde anschließend von Schiedsrichter Gene Steratore per Videobeweis überprüft. Wie beim Touchdown von Clement zuvor waren sich die Referees zunächst nicht sicher, ob die Spieler den Ball regelgetreu gefangen hatten, blieben dann aber bei ihrer ersten Bewertung: 38:33 Eagles. Kurze Zeit später erhöhte Kicker Elliott auf 41:33.

Dass die zwei Quarterbacks vor rund 67 000 Zuschauern, mehrheitlich Eagles-Anhänger, so ungestört ihr Offensivspektakel aufzogen, lag an den erschreckend ungefährlichen, drucklosen Verteidigungslinien beider Teams. Auf 1151 Yards Raumgewinn kamen die Kontrahenten über das gesamte Spiel hinweg, der vorherige Rekord in einem Super Bowl lag bei 929. Erst kurz vor Schluss gelang es Brandon Graham, Tom Brady einmal zu Boden zu bringen und ihm dabei das Spielgerät aus der Hand zu schlagen. Philadelphia eroberte den Ball und ließ die Uhr herunterlaufen. Brady blieb in den letzten Sekunden nur noch die Möglichkeit des langen Verzweiflungspasses in die Endzone, doch der landete im Nichts.

"Es ist enttäuschend. Zu verlieren ist immer scheiße, mehr kann ich nicht sagen", sagte Brady nach dem Spiel, schloss aber einen Rücktritt aus: "Ich denke, ich werde wiederkommen. Das Spiel ist gerade 15 Minuten zu Ende, ich muss das erst einmal verarbeiten, aber ich sehe keinen Grund aufzuhören."

Bei der Hymne kniete kein Spieler

"Wir wollten mit Nick aggressiv spielen", sagte Eagles-Cheftrainer Doug Pederson über seinen Ersatz-Quarterback, nachdem er die Vince Lombardi Trophy im U.S. Bank Stadium Richtung Glasdach gestreckt hatte. Das nötige Fingerspitzengefühl zur Aggressivität bewies Nick Foles mit seinem Touchdown-Fang.

Der erste Super-Bowl-Titel der Philadelphia Eagles hat eine Stadt in Freudentaumel versetzt, vielleicht sogar eine ganze Nation aufatmen lassen: Die Dominanz der Patriots ist überwindbar, das kongeniale Duo Belichick-Brady besiegbar. Und dann ist da noch dieses eine Thema, dass die gesamte NFL-Saison über präsent war: Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt, bei denen die Akteure aus Philadelphia die wohl engagiertesten der NFL sind. Am Sonntag kniete bei der von Popstar Pink gesungenen Nationalhymne kein Spieler am Boden, doch der Erfolg gegen die Trump-Freunde Belichick, Brady und Robert Kraft (Besitzer der Patriots) kann durchaus als Statement interpretiert werden. Denn: Eine von Spielern angeregte Debatte über soziale Gerechtigkeit schadet der sportlichen Leistung nicht. Der traditionelle Sieger-Besuch im Weißen Haus dürfte für die Eagles trotzdem keine Option sein.

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