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Abschiebung, wo andere nicht Urlaub machen

Die Frage, ob ein Drittland sicher ist, wird in Österreich mit zweierlei Maß gemessen: Will man Asylwerber und Asylwerberinnen dorthin zurückschicken, oder sollten österreichische Staatsbürger in dieses Land reisen? Wir haben einige Drittländer recherchiert, in die Österreich zuletzt Menschen abgeschoben hat – und uns die Reisewarnungen des Außenministeriums dazu angesehen. Eine Gegenüberstellung.

Recherche: Maximilian Eberle

 

AFGHANISTAN

Region: Südasien

Einwohner: 35 Millionen

Globaler Friedensindex: 163. Von 163.

Globaler Hungerindex: 99. von 107.

Aktuelle Reisewarnung: Stufe 6 von 6.

„Vor allen Reisen wird gewarnt! Bestehendes Risiko von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen und kriminellen Übergriffen einschließlich Entführungen, Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle im ganzen Land. […] Auslandsösterreichern und Österreichern […] wird dringend angeraten das Land zu verlassen.“

Im Juni 2019 berichtet die Tiroler Tageszeitung, dass ein junger Afghane in Zirl von der Polizei abgeholt und abgeschoben wurde, obwohl er gerade eine Lehre beginnen soll. Zwei Tage nach seiner Ankunft in Afghanistan wird er bei einem Bombenanschlag verletzt.

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist katastrophal: Laut Human Rights Watch wurden zwischen Januar und Oktober letzten Jahres 6.000 Zivilistinnen und Zivilisten getötet. Nach dem Abzug vieler US-Truppen starteten die Taliban und afghanische Ableger des Islamischen Staates vermehrt Terroroffensiven.

Gravierend ist auch die Armut im Land: 86 Prozent der Stadtbevölkerung leben in Slums. Die Arbeitslosenrate ist die höchste weltweit. Und durch die COVID-19-Pandemie benötigen nun 14 Millionen Menschen humanitäre Hilfe.

Eine Studie der deutschen Sachverständigen Friederike Stahlmann verfolgte das Schicksal von 55 Afghanen, die zwischen 2016 und 2019 aus Deutschland abgeschoben wurden. Neun von zehn Rückkehrern machten kurz darauf Gewalterfahrungen. Zurückgekehrte Geflüchtete gelten für die Taliban als Landesverräter und werden manchmal binnen kürzester Zeit gefangen genommen und gefoltert.

Auch Österreich schiebt Menschen in das gebeutelte Land ab: Im Jahr 2019 wurden laut Jahresbericht des BMI noch 35 Prozent der afghanischen Asylanträge abgelehnt und insgesamt 260 Menschen nach Afghanistan abgeschoben.

 

 

ARMENIEN

Region: Vorderasien/Kaukasus

Einwohner: 3 Millionen

Globaler Friedensindex: 99. von 163.

Globaler Hungerindex: 31. von 107.

Aktuelle Reisewarnung: Stufe 6 von 6.

Nach militärischen Kampfhandlungen um die Region Berg-Karabach herrscht derzeit ein Waffenstillstand. Die innenpolitische Lage ist angespannt.

Seit vier Monaten gilt Armeniens Krieg gegen das benachbarte Aserbaidschan in der Region Bergkarabach als beendet. Die armenische Opposition sprich von mehr als 6.000 Todesopfern. Unter den Verletzten war auch der 19-jährige Tengis, der 2019 noch eine Lehre als Kellner in Leutasch absolvierte und als bestens integriert galt. Kurz nach seiner Abschiebung nach Armenien wurde er dort zum Militär einberufen und laut seinem ehemaligen Arbeitgeber bei den Kämpfen schwer verletzt.

Armenien zählt zu den 53 „sicheren Herkunftsstaaten“, für sie ist ein schnelleres Asylverfahren möglich. Seit 2001 verliert das Land jährlich mindestens ein Prozent seiner Bevölkerung durch Migration. Es herrscht Armut und 25 Prozent des Bruttoinlandsproduktes stammen aus Geldüberweisungen der Migranten aus dem Ausland.

PAKISTAN

Region: Südasien

Einwohner: 216,6 Mio.

Globaler Friedensindex: 152. von 163.

Globaler Hungerindex: 88. von 107.

Reisewarnung (unabhängig von COVID): Partiell Stufe 5 von 6.

Für Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa sowie entlang der Waffenstillstandslinie mit Indien gilt eine Reisewarnung der Stufe 5. Vor Reisen in diese Gebiete wird wegen häufiger Attentate, Terroranschläge, Entführungen, Geiselnahmen, weitverbreiteter Kriminalität und anhaltender Kampfhandlungen zwischen Sicherheitskräften und Terroristen gewarnt.

Ende Oktober 2020 wird Qamar Abbas, ein Lehrling aus Lustenau, nach Pakistan abgeschoben – rechtswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht später feststellt. Im Heimatland wird Qamar sofort von den Behörden verhaftet und laut seinem Anwalt mit dreißig Mann in einer Zelle festgehalten. Der Grund: Staatsverrat, aufgrund seiner Flucht. Erst nach zwei Wochen kann ihn sein Bruder gegen Lösegeld freikaufen. Nun wohnt Qamar bei seiner Familie und hofft auf baldige Rückkehr nach Österreich.

In vielen Teilen Pakistans herrscht Frieden, doch in den Regionen im Westen und Norden kommt es zu Attentaten; bewaffnete Auseinandersetzungen sind keine Seltenheit.

Human Rights Watch bemängelt auch Menschenrechtsverstöße. Das Regime verfolge Aktivisten, Anwältinnen und alle Menschen, die Kritik an der Regierung äußern. Frauen, religiöse Minderheiten und Trans-Menschen leiden unter Gewalt, Diskriminierung und Verfolgung. Man schätzt, dass jährlich etwa tausend Frauen durch Ehrenmorde getötet werden. Homosexualität ist strafbar.

In Vergangenheit kritisierten zahlreiche NGOs, die Caritas und auch der Wiener Kardinal Christoph Schönborn, dass Österreich überhaupt nach Pakistan abschiebt.

 

NIGERIA

Region: Westafrika

Einwohner: 214 Mio.

Globaler Friedensindex: Rang 147 von 163

Globaler Hungerindex: Rang 98 von 107

Das Risiko von Entführungen mit Lösegeldforderungen oder bewaffneten Überfällen, manchmal auch mit Todesfolge, ist groß. Besonders auf der Straße zwischen Abuja und Kaduna kommt es fast täglich zu Überfällen und Entführungen durch Motorradbanden.

Die islamistische Terrororganisation Boko Haram attackiert im Nordosten des Landes nach wie vor die zivile Bevölkerung und humanitäre Einrichtungen. Zwischen Januar und September 2020 wurden 363 Zivilisten bei Attentaten oder Entführungen getötet. Auch im Süden und Nordwesten Nigerias fordern Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen viele zivile Opfer.

Proteste gegen Polizeigewalt werden von den Behörden gewaltsam niedergeschlagen: Im Oktober 2020 wurde ein Video öffentlich, in dem Militäroffiziere auf friedlich protestierende Menschen schießen.

Obwohl das Land im Öl schwimmt und die größte Volkswirtschaft Afrikas stellt, ist Nigeria das Armenhaus der Welt: Im Jahr 2018 mussten 87,1 Millionen Menschen mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen. 2019 starben 11,7 Prozent der Lebendgeborenen noch vor ihrem fünften Lebensjahr. Selbst während der Pandemie, bis Oktober 2020, hat Österreich dennoch 42 Menschen nach Nigeria abgeschoben.