Im US-Rap tobt ein Babyboom. Lil Baby, Bhad Bhabie oder DaBaby, um nur drei zu nennen, gehören alle zu einer neuen HipHop-Generation. Einen weiteren Namen jedoch sollte man sich gut merken: Baby Keem. Erst letztes Jahr wurde dieser in die 2020 Freshmen Class des XXL-Magazins aufgenommen, mittlerweile die vielleicht wichtigste Auszeichnung für Rap-Newcomer in den Staaten. Mit "The melodic blue" erscheint nun sein heißerwartetes, mit allerhand Vorschusslorbeeren bedachtes erstes Album. Doch wie gut ist das neue Wunderkind?
Wüsste man nicht schon, dass Baby Keem der Cousin von niemand Geringerem als Kendrick Lamar ist, so könnte dieser Gedanke beim Durchhören dieses unterhaltsamen und facettenreichen Albums durchaus von allein aufkommen. Denn es gibt gelungene Tempo- und Stilwechsel, ambitionierte Flow-Varianten, die niemals langweilig werden, hochwertig produzierte Beats, die Baby Keem übrigens ausnahmslos selbst gebaut hat, und nicht zuletzt vielfältige Texte. Letztere geben dem Album Charakter, Baby Keem präsentiert sich so meinungsstark wie selbstbewusst ("Trademark USA"), liebenswürdig albern ("South Africa"), nachdenklich ("Issues") oder auch romantisch ("16"). Im Gegensatz zu Lamar fällt dabei auf, dass gesellschaftliche Themen hier weniger eine Rolle spielen, dafür glänzt Baby Keem mit seinem Gesang und mit Melodien, wie schon der Albumtitel verspricht.
Wirklich herausragend allerdings sind die zwei Tracks, auf denen sich beide Cousins gemeinsam austoben. Die familiäre Chemie stimmt hervorragend: "Range Brothers" ist spannungsgeladen und macht nicht nur dank der unkonventionellen Reime immer wieder Spaß, und das beeindruckend harmonische Miteinander beider Rapper fasziniert trotz völlig unterschiedlicher Flows. Lamar klingt dabei meisterhaft wie eh und je, während Baby Keem in der Rolle des jungen Wilden vollends aufgeht. Auch die Solo-Tracks sind allesamt stark: Vor allem "Scars", das Interlude "Scapegoats" und die Features von Don Toliver ("Cocoa") sowie dem großartigen Travis Scott ("Durag activity") heraus. Auf noch höheren Level: das absolute Highlight "Hooligan", das allerdings bereits vor gut einem Jahr veröffentlicht wurde. Was nichts an einem erstklassigen Debütalbum ändert, das die Messlatte für Baby Keems weitere Karriere hoch anlegt. Der noch nicht einmal 21-Jährige ist längst kein Geheimtipp mehr – er ist ein Zukunftsversprechen.
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