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Wie der Klimawandel Bremen verändert

Grafik: Ubeyde Cimen

In Australien brennen ganze Regionen, der Harz muss sich wohl sogar komplett vom Wintersport verabschieden. Der Klimawandel ist an vielen Orten erkenn- und spürbar. Auch in Bremen?


Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, hat der WESER-KURIER die Wetterdaten der vergangenen 130 Jahre für Bremen ausgewertet. Kontinuierliche Daten liegen ab 1890 vor und protokollieren Temperatur, Niederschlag und Sonnenstunden für jeden einzelnen Tag. Auch die Windstärke ist verzeichnet, wurde in der Analyse jedoch vernachlässigt. Eine detaillierte Erläuterung zu den verwendeten Daten finden Sie am Ende des Textes.

Indikatoren zeigen Veränderung

Klimaänderungen lassen sich am ehesten an sogenannten Klimaindikatoren zeigen. Dazu zählt unter anderem die Anzahl der Sommer-, Hitze-, Kälte- und Eistage, aber auch die Schneetage und die Niederschlagsmenge. Einer der wichtigsten Indikatoren ist jedoch die Durchschnittstemperatur. Für diese lässt sich auch in Bremen ein deutlicher Anstieg in den vergangenen Jahren erkennen. So ist die Jahresdurchschnittstemperatur seit 1851 um mehr als ein Grad Celsius angestiegen.


Um Trends ablesen zu können, haben wir für ausgewählte Messgrößen eine sogenannte Regressionsgerade berechnet. Diese Gerade nähert sich den einzelnen Messpunkten am besten, statt zufälligen Schwankungen lässt sich so ein langfristiger Trend abbilden.

Auch die Anzahl der Hitzetage, das sind Tage mit einer Höchsttemperatur über 30 Grad Celsius, sind deutlich angestiegen. Waren es im Jahr 1900 nur fünf Tage, sind es 2019 17 Tage gewesen. 2018 verzeichnete der DWD für Bremen den Rekord von 22 Hitzetagen. Der Trend ist von rund zwei Hitzetagen im Jahr 1900 auf mittlerweile über sechs im Jahr 2019 gestiegen.


"Der Klimawandel ist schon im Gange", sagt Gabriele Krugmann. Die Meteorologin des Deutschen Wetterdiensts (DWD) macht keinen Hehl daraus, dass sich das Klima in Bremen - wie im Rest Deutschlands - verändert und der Mensch daran einen gewaltigen Anteil hat. Zwar gebe es auch natürliche Variablen wie den Sonnenfleckenzyklus, die das Klima beeinflussen, aber "der Einfluss ist so minimal, dass sie nicht erklären können, was bisher schon passiert ist." Der Temperaturanstieg um ein bis anderthalb Grad sei nur mit einer Steigerung der Spurengase wie Kohlenstoffdioxid in der Atmosphäre zu erklären. "Der Klimawandel ist menschgemacht", erklärt Krugmann.


Die DWD-Projektionen der Temperatur für Bremen zeigen nur in eine Richtung - nach oben. Bereits 2018 veröffentlichte der DWD eine Klimastudie für Bremen, die auch Szenarien für den Temperaturanstieg enthält. So könnte für den Referenzzeitraum von 2071 bis 2100 in einem Weiter-wie-bisher-Szenario die Temperatur in Bremen um 3,6 Grad steigen im Vergleich zum Referenzzeitraum von 1971 bis 2000. Dort lag die Jahresmitteltemperatur bei 9,2 Grad. Sollte der Klimaschutz intensiviert und der Ausstoß von Treibhausgasen eingedämmt werden, geht die langfristige Projektion von einem Anstieg um 1,1 Grad aus. Der kurzfristige Planungshorizont von 2021 bis 2050 geht von einer Steigerung von einem bis 1,3 Grad aus. "Wir müssen uns sehr dafür anstrengen, dass die Temperatur nicht zu sehr nach oben geht", sagt Klugmann. Dass der Bremer Hitzerekord aus dem Jahr 1992 gebrochen wird, daran hat die Meteorologin keinen Zweifel, ebenso wenig, dass in Bremen bald die 40-­Grad-Marke fällt: „Das, was früher extrem war, wird zukünftig das neue Normal", sagt Krugmann. Die Höchsttemperaturen würden zunehmen, ebenso die Häufigkeit und Dauer von Hitzewellen.


Ein Indiz für eine Veränderung des Klimas sind auch die Sommertage, bei der der Tageshöchstwert mindestens bei 25 Grad liegt, sowie die heißen Tage, bei denen der Höchstwert mindestens 30 Grad beträgt. "Der Trend bei den heißen Tagen geht ganz klar nach oben", sagt die Meteorologin. So ist der Trend seit 1900 von im Mittel zwei heißen Tagen auf über sechs Tage im Jahr gestiegen. In den ersten 20 Jahren des 21. Jahrhunderts gab es dabei bereits 138 heiße Tage, im Referenzzeitraum 1961 bis 1990 nur 105. "Es fällt auf, dass die Jahre mit sehr vielen heißen Tagen fast alle seit 2000 aufgetreten sind", so Krugmann.


Ein weiterer Indikator ist die jährliche Niederschlagshöhe, die seit Beginn der Aufzeichnungen 1882 um rund 100 Liter pro Quadratmeter zugenommen hat. Einer der Gründe für den Anstieg ist die warme Luft. "Warme Luft kann mehr Feuchtigkeit enthalten und je feuchter die Luft ist, desto mehr kann es auch ausregnen", erläutert Krugmann. Ein weiterer Grund seien die Zirkulationsmuster, die sich mit zunehmender Erwärmung verändern würden. "In Norddeutschland haben wir offenbar mehr Wetterlagen, die mehr Niederschlag bringen", so Krugmann. Das gilt jedoch nicht für alle Jahreszeiten, denn während es im Herbst und Winter mehr Niederschlag gibt, gehen diese im Sommer leicht zurück.


Nicht nur die Sommer werden in Bremen wärmer, sondern alle Jahreszeiten. Egal ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter - der Rekord bei der Durchschnittstemperatur stammt immer aus dem 21. Jahrhundert. Der Winter 2019/2020 ist mit 5,55 Grad der wärmste je gemessene Winter in Bremen. Und das hat Konsequenzen, vor allem für Flora und Fauna. Dort verschiebt sich die phänologische Uhr, die die Pflanzenjahreszeiten verzeichnet, immer mehr nach vorne. "Wenn die Pflanzen früher austreiben, kann es es sein, dass früher geerntet werden kann. Es kann aber auch sein, dass die Insekten, die für die Pflanzenbestäubung nötig sind, sich nach der Sonne richten und die Blüte verpassen", sagt Krugmann. Die in der Natur eingespielte Kopplung zwischen Pflanze und Insekt sei dann nicht mehr da.


Auch der Umweltbetrieb Bremen (UBB) bekommt die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren. Das Unternehmen ist neben der Abwasserentsorgung in der Stadt auch für die Pflege der Grünanlagen, Friedhöfe und Straßenbäume zuständig. Ralf Möller, zuständig für Grünflächen, beobachtet immer häufiger sogenannten Trockenstress bei Bäumen. Das führt dazu, dass die Pflanzen die Rinde abwerfen und sich Totholz. „Das muss dann herausgeschnitten werden, um die Sicherheit für den Verkehr zu gewährleisten", sagt Möller. Bisher habe man vornehmlich Bäume aus dem nordamerikanischen Raum an den Straßen gepflanzt. „Das wird sich in der Zukunft verändern", so Möller. In einer Arbeitsgruppe sucht der UBB derzeit nach Lösungen, welche Bäume den zukünftigen Belastungen durch den Klimawandel besser gewachsen sein könnten. „Dabei schauen wir im asiatischen Raum, weil die klimatischen Bedingungen in Bremen mittlerweile am ehesten mit denen im nördlichen China oder in der Mongolei vergleichbar sind."


Auch Schädlinge machen dem Umweltbetrieb zu schaffen. „Wir beobachten vermehrt trockene und abgestorbene Spitzen bei Eschen - das sogenannte Eschentriebsterben." Dabei handelt es sich um einen Pilz aus dem südosteuropäischen Raum. Der führt dazu, dass Eschen kaum noch angebaut werden, da sie keine forstwirtschaftliche Zukunft haben, so Möller. „Den Pilz gab es schon seit jeher, nun ist er mutiert". Darüber rechnet der UBB mit dem Auftreten des sogenannten Eichenprozessionsspinners. Dabei handelt es sich um einen Nachtfalter. Die Raupen der Tiere haben Brennhaare, die für Menschen und Tiere gefährlich werden und allergische Reaktionen auslösen können. „Es hat noch keinen Fall gegeben.", so Möller. Es gebe jedoch einen Leitfaden, falls der Schädling sich ausbreite.


Kaum eine Branche ist so stark von Wetter und Klima abhängig, wie die Landwirtschaft - und die gibt es auch in Bremen: Knapp 10.000 Hektar, also fast ein Drittel der Fläche Bremens, werden landwirtschaftlich genutzt.


Am Stackkamp in Hemelingen trifft Dorf auf Stadt, Ackerland auf Miethäuser. Dort betreibt Eckart Hoehne einen Hof mit 5500 Legehennen, die Eier verkauft er selbst. Zusätzlich bewirtschaftet er eine Fläche von mehr als 150 Hektar, auf der er neben verschiedenen Getreidesorten auch Raps anbaut.


Fragt man den Bremer Bauer nach dem Klimawandel, so fällt ihm sofort der Sommer 2018 mit seiner ungewöhnlich langen Trockenphase ein. „Da hatten wir 40 Prozent weniger Ertrag", sagt Hoehne, der auch Vizepräsident des Bremischen Bauernverbands ist.

Zwar habe es Klimaveränderungen schon immer gegeben, an Dürreperioden wie 2018 sei der Mensch „aber nicht ganz unschuldig", sagt Hoehne. „Die Wetterextreme werden mehr. Im Sommer ist es länger trocken. Wenn es regnet, dann sehr viel auf einmal."

Um besser auf die wechselnden Bedingungen reagieren zu können, denkt er über eine Anpassung der Fruchtfolge nach. „Es sind außerdem robustere Getreidesorten in der Entwicklung", so der Landwirt. Zu einem Problem seien Mäuse geworden, da sie durch die trockenen Böden gute Bedingungen vorfänden, um sich zu vermehren.


In Niedersachsen zerstörten die Feldmäuse schon mehr als 150.000 Hektar Grünland, weshalb die niedersächsische Landesregierung Gelder versprochen hat, um das Weideland zu erneuern. Die Mäuseplage habe bei den Milchviehbetrieben zu einer existenzbedrohenden Futterknappheit geführt, erklärte das Umweltministerium. Nach Angaben des Landesbauernverbandes hat es eine solche Massenvermehrung von Mäusen zuletzt vor 50 Jahren gegeben. Erst im Januar hatte die Bundesregierung beschlossen, Landwirte über vier Jahre mit einer Milliarde Euro zu unterstützen. Damit sollen sie den angestrebten Umbauprozess in der Landwirtschaft hin zu mehr Umweltschutz und Tierwohl besser meistern können.


Im Bremischen Bauernverband tauschen sich die rund 150 Betriebe regelmäßig aus. Auch der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Landwirtschaft sind hier Thema. „Aber nicht jedes Wetterereignis ist darauf zurückzuführen", sagt Hoehne. „ Fridays for Future hat die Menschen wachgerüttelt und das Thema in den Fokus gerückt." Der derzeitige Hype sei aber etwas zu groß, findet der Landwirt.


Bereits seit Mitte des 18. Jahrhunderts werden vermehrt Wetterdaten in Bremen aufgezeichnet, allerdings nicht kontinuierlich und nicht für jeden einzelnen Tag. Die professionelle und systematische Erfassung begann erst ab 1890, weswegen wir dieses Jahr für die meisten Berechnungen und Grafiken als Anfangsdatum festgelegt haben. Damals wurde nur die Temperatur ermittelt, später kam andere Messwerte etwa für Sonnenscheindauer und Windstärke hinzu.

Seit 1890 steht die Bremer Messstation in Ortsteil Neuenland, im Süden Bremens, wo heute auch das Flughafengelände ist. Früher wurden die Messstationen noch vor Ort überwacht, seit 1991 übersendet die Bremer Station ihre Daten automatisch an den Deutschen Wetterdienst (DWD). In ganz Deutschland gibt es etwa 1000 offizielle Stationen.

Internationale Standards

Wie alle Messtürme muss auch die Bremer Station internationale Standards erfüllen: So müssen sie mindestens zwei Temperaturfühler haben, die parallel arbeiten. Die Fühler stecken in einem abgeschotteten Gehäuse mit Lamellen, sodass sie nicht der prallen Sonne ausgesetzt sind, aber die Luft gleichmäßig ein- und ausströmt. Die Fühler sind in zwei Metern Höhe angebracht. Darunter ist Rasen und nicht etwa Beton und es gibt einen jeweils definierten Mindestabstand zu Bäumen oder Gebäuden.

Der DWD vergibt für die Klimadaten verschiedene Qualitätsniveaus. Der überwiegende Teil der zugrundeliegenden Daten (bis 1980) hat die Qualität 5. Diese historischen Daten wurden durch subjektive Verfahren der Qualitätssicherung geprüft. Ab 1981 wurden die Daten systematisch geprüft, das heißt mithilfe von IT-gestützten Kontrollen (Qualität 10). Gerade in Zeiten des Krieges wurden Messstationen zerstört oder lieferten abweichende Ergebnisse, weswegen wir diese Daten aus einigen Berechnungen herausgefiltert haben.

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