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Matthias Schumann

Kulturjournalist, Hamburg

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Rezension

Pinch him for his Crimes

Moon River (Bild: Olaf Malzahn)

In Zei­ten wie die­ser, die ver­mehrt der Auf­ge­regt­heit hul­di­gen, war es es eine die­ser Vor­la­gen, die im Fuß­ball stets zum unmit­tel­ba­ren Tor­schuss füh­ren. Der Kul­tur­re­fe­rent des Ber­li­ner Senats, Tim Ren­ner, in gewis­sen Krei­sen bekannt als ein Kultur-Parvenü und natür­lich in allen Din­gen der hohen Kunst voll­kom­men unwis­sen­der Abkömm­ling der Popu­lar­in­dus­trie, hatte es gewagt, an einer Lebens­stel­lung zu rüh­ren und geplant, den Inten­dan­ten des ruhm­rei­chen Ber­li­ner Ensem­bles, den Über-Regisseur Frank Cas­torf aufs Alten­teil zu schi­cken und ihn durch einen Mann zu erset­zen, den in Ber­lin kei­ner so rich­tig kennt und dazu noch nicht ein­mal ein Über-Regisseur ist, son­dern z. Z. Kura­tor eines Museum für moderne Kunst. Der #Auf­schrei war groß, die Debatte per­sön­lich und ange­mes­sen auf­ge­regt - und sogar stel­len­weise recht amü­sant, vol­ler put­zi­ger Worte wie "Lebens­zwerg" und ähn­li­chem Schnickschnack.

Und natür­lich wurde, nach Abklin­gen der ers­ten Auf­re­gung, eine zweite, wenn­gleich auch klei­nere Auf­re­gung pro­du­ziert. Denn schließ­lich galt es wie­der ein­mal, das Prin­zip an sich in Zwei­fel zu stel­len, in die­sem Falle die ewige Dis­kus­sion um die Frage nach der guten und der schlech­ten Kunst und ob sich eine Gesell­schaft solch eine Kunst über­haupt leis­ten soll: Die Sub­ven­ti­ons­de­batte, ewi­ger Gral der­je­ni­gen, die gerne an den Topos der "Steu­er­gel­der" erin­nern, wenn sie ins Thea­ter gehen.

Der stell­ver­tre­tende Chef­re­dak­teur der über­re­gio­na­len Tages­zei­tung "Die Welt" und sonst eher in Kraft­fah­rer­fra­gen aktive Ulf Poschardt, stellte höchst­selbst das kom­plette kul­tu­relle Sub­ven­ti­ons­sys­tem der Repu­blik infrage, getreu dem bür­ger­li­chen Mythos, dass die soge­nannte "echte" Kunst ja ohne­hin nur aus dem Bedürf­nis und der Ent­sa­gung kom­men könne, und nicht aus den feis­ten Bäu­chen sub­ven­tio­nier­ter Staats­künste, die in die­sem Fall dann auch gerne als "so genannt" titu­liert werden.

Der Ber­li­ner Underground-Filmer Klaus Lemke wurde in Stel­lung gebracht, und es wurde sich, wie in der "Lebenszwerg"-Debatte, sehr empört. Schön wäre doch, wenn sich die­ser ganze Kunst­kram selbst finan­zie­ren würde und man sich nicht immer ärgern müsste, dass mit die­sem und jenem ja das müh­sam ver­diente und an die Krake Staat abge­ge­bene Geld "ver­brannt" würde. Und final stand da dann wie­der ein­mal die Abschaf­fung der staat­li­chen Unter­stüt­zung des gan­zen Kul­tur­be­trie­bes auf der Fahne, die Facebook-Threads schäum­ten und alles war wie immer im bür­ger­li­chen Leben.

Was diese dann nicht mehr ganz so amü­sante Schein­de­batte aber doch gänz­lich ver­ges­sen hatte, bei aller bürgerlichen-romantischen Nai­vi­tät in der Vor­stel­lung, was denn nun die wahre und echte Kunst eigent­lich sei, war die Rea­li­tät jen­seits des lär­men­den Haupt­stadt­be­trie­bes mit all sei­nen pup­pen­thea­ter­haf­ten Far­cen. Dort ist die Arbeit schon eine Andere, die Frage nach der För­de­rung ist dort eine echte Frage des Über­le­bens von Kul­tur­ein­rich­tun­gen, die oft eine ganze Flächen-Region bespie­len müs­sen und nicht nur einen Stadt­teil oder einen Fan­club. Und oft blü­hen dort, in den Regio­nen, unbe­kannte Blü­ten, die in einer ande­ren Kon­stel­la­tion über­haupt nicht denk­bar wären.

Ein sol­ches Haus ist auch das Thea­ter Lübeck. Es ist ein Dreis­par­ten­haus, Oper, Schau­spiel, Phil­har­mo­nie, ein Stadt­thea­ter. Rela­tiv nah am Bal­lungs­raum Ham­burg gelin­gen hier immer wie­der kleine Coups der Außer­or­dent­lich­keit, die die Thea­ter­ma­cher in der Groß­stadt eigent­lich bange machen müss­ten, wür­den sie das kleine Haus über­haupt wahr­neh­men. Ein preis­ge­krön­ter "Ring", ein "Tris­tan", nach dem das wie­der ein­mal neue Bay­reuth sich eigent­lich die Fin­ger lecken müsste, und immer wie­der aus­ge­zeich­nete Insze­nie­run­gen im Schau­spiel ste­hen in der jüngs­ten Agenda. 2008 wurde das Haus für den Preis "Bes­tes Thea­ter abseits der Zen­tren" des Fach­blat­tes "Die deut­sche Bühne" nominiert.

Wie wenig inter­es­sant auch für die Rezen­sen­ten die­ser "Zen­tren" eben solch ein Haus ist, konnte man unlängst sehen, ange­sichts des Brim­bo­ri­ums, dass um die "wie­der­ent­deckte" Korngold-Oper " Die tote Stadt" in Ham­burg gemacht wurde. In Lübeck stand das Stück zwei Jahre zuvor in einer betö­ren­den Insze­nie­rung des Regis­seurs Die­ter Kaegi auf dem Spiel­plan, besetzt vor­wie­gend aus dem eige­nen Ensem­ble, ein unent­deck­ter Publikumserfolg.

Eine jener Ent­de­ckun­gen ist gewiss auch die aktu­ell auf den Spiel­plan gesetzte "Fairy Queen", Henry Pur­cells Büh­nen­werk aus den Anfangs­ta­gen der Gat­tung Oper. Nur rund 100 Jahre nach Wil­liam Shake­speares Tod - wer immer er war - hatte sich der Kom­po­nist mit sei­nem mut­maß­li­cher Libret­tis­ten Tho­mas Bet­ter­ton eines der inzwi­schen meist­ge­spiel­ten Stü­cke der Thea­ter­ge­schichte ange­nom­men - "A Mid­sum­mer Nights Dream", seit August Wil­helm von Schle­gels Über­set­zung im deut­schen Sprach­raum als "Ein Som­mer­nachts­traum" bekannt.

Es ist, wie man sich vor­stel­len kann, nicht ganz ein­fach, eine soge­nannte Semi-Oper aus dem 17. Jahr­hun­dert auf eine zeit­ge­nös­si­sche Bühne zu stel­len, die For­men jener Tage waren anders als die heu­ti­gen Seh­ge­wohn­hei­ten, weit­aus sta­ti­scher und dekla­ma­to­ri­scher ging es sei­ner­zeit zu - Num­mer an Num­mer, Bal­lett­mu­si­ken. Der Schwei­zer Regis­seur Tom Ryser nimmt sich die Frei­heit und ver­knüpft das in wei­te­ren Tei­len sehr frei mit der Vor­lage umge­hende Libretto eng mit dem Shake­spear­schen Bühnentext.

Hier­aus ergibt sich eine jener pikan­ten Dop­pe­lun­gen, die in den bes­ten und gelun­gens­ten Fäl­len eine moderne Opern­in­sze­nie­rung so aus­zeich­nen kann - die Über­nahme des rein spie­le­ri­schen Effekts durch die Musik und die Unter­stüt­zung der musi­ka­li­schen Inten­tion durch das Spiel. Das tut beson­ders einem musi­ka­li­schen Werk, des­sen Bedeu­tungs­ebe­nen qua sei­ner Tra­di­tion weit von den psy­cho­lo­gisch ver­schach­tel­ten Groß­opern des 19. und 20. Jahr­hun­dert ent­fernt ist, außer­or­dent­lich gut.

Und so erkennt man als von vie­len Insze­nie­run­genm gepräg­ter und durch aus­gie­bige Schul­lek­türe infor­mier­ter Opern­bür­ger sei­nen ima­gi­nier­ten Shake­speare wie­der, das Per­so­nal, die Hand­lung und die Wand­lung der Lie­ben­den durch die all­ge­gen­wär­tige Natur im ver­zau­ber­ten Wald des Elfen­rei­ches. Stück wie Oper haben einen Hang zum Deko­ra­ti­ven und Opu­len­ten, es ist alles drin und dran, was zum Thea­ter (auch im wei­te­ren Sinne) gehört, der Saft der Büh­nen­kunst trieft sozu­sa­gen vom Tel­ler­rand. Fol­ge­rich­tig sieht man hier auch Flug­ge­schirr und Licht­er­zau­ber, hört grosse, kra­chende Tutti aus dem Gra­ben und zir­pende Lau­ten­klänge auf der Bühne, ergötzt sich am der­ben Spiel und tod­trau­ri­gen Arien.

So aller­lei Dinge sind zu sehen, bei­nahe möchte man das aus dem Kino geläu­fige Wort "Schau­wert" in den Mund neh­men - dort bezeich­net es opti­sche Ein­drü­cke, die nicht zur Erzäh­lung bei­tra­gen. Dem ist hier nicht so, es hat alles sei­nen Platz und seine Bedeu­tung. Jean Louis Paul Ger­vais monu­men­ta­les Gen­re­ge­mälde "Folie des Tita­nia" - eines jener Werke vol­ler prä­raf­fae­li­ti­schem Pathos, das die "Belle Epo­que" aus­zeich­net - ist ein beein­dru­cken­der Büh­nen­pro­spekt (Aus­stat­tung: Ste­fan Rieck­hoff, man möge aber auch die Meis­ter­leis­tung der Pro­spekt­ma­ler nicht ver­nach­läs­si­gen), der das Shake­spear­sche Vor­spiel in eine andere Welt schiebt: Ein Museum, in dem das Hand­wer­ker­per­so­nal des Dra­mas, zusam­men­ge­schrumpft auf die Haupt­per­so­nen Squenz (Stef­fen Kubach) und Zet­tel ( Andreas Sig­rist), als grau­be­an­zugte Muse­ums­wär­ter sei­nen Dienst tut. Hier schon, zum Ouver­tü­ren­spiel, tut sich eine Kunst­welt auf, hin­ter deren ver­spie­gel­ten Türen sich die "andere Welt", das Drau­ßen befin­det, jene Welt, die der neue Erfah­rungs­raum der den ver­wirrt lie­ben­den Paa­ren sich erst noch erschlie­ßen wird.

Die sind nun in die Zeit des Kom­po­nis­ten deko­riert, perückt und mehl­be­stäubt die Väter­ge­ne­ra­tion, leicht stür­mend und drän­gend die jun­gen Frauen und Män­ner, weiß und noch unbe­schol­ten, Theo­re­ti­ker, des­sen, was sie erwar­tet. Die Feen­welt, in die sie gera­ten wer­den, ist düs­ter und geheim­nis­voll, vol­ler Irr­lich­ter und merk­wür­di­ger Wesen, die sie nie zu Gesicht bekom­men wer­den - offen­bar inspi­riert von den Phan­ta­sie­wel­ten eines Tim Bur­ton. Tita­nia und ihre vie­len gro­ßen und klei­nen Gesel­lin­nen sind in viktorianisch-zerlumpte Steampunk-Kleider gehüllt, eine wehr­hafte Schar klei­ner und gro­ßer Geister.

Die zei­gen sich all­zeit bereit, ihre Köni­gin zu ver­tei­di­gen, Grund­po­si­tio­nen aus dem asia­ti­schen Kampf­sport schei­nen sie jeden­falls alle zu beherr­schen. An die­ser Stelle zeigt sich dann neben­bei auch, wie nah der Regis­seur Ryser trotz der Moder­ni­sie­run­gen an der ursprüng­li­chen Auf­füh­rungs­pra­xis der Ver­mi­schung von Spiel, Gesang und Tanz ist - zum Elfen­ge­folge gehö­ren drei Tän­ze­rin­nen ( Lara Eva Hahnel, Angela Kecin­ski und die enorm prä­sente Szu-Wei Wu), die mehr beherr­schen als nur die Grund­po­si­tio­nen aus Karate und Jiu-Jitsu, ihre von Lil­lian Still­well ver­ant­wor­te­ten Cho­reo­gra­phien neh­men diese und andere Ele­mente auf ele­gan­teste Weise auf.

Auf wun­der­same Weise natür­lich erscheint einem die Spar­ten­ver­mi­schung, keine auf­ge­pfropf­ten Ideen, son­dern fol­ge­rich­tige Wei­ter­ent­wick­lung einer Tra­di­tion ohne blöde Effekt­ha­sche­rei. Die drei jun­gen Damen dür­fen denn auch nach der Pause eröff­nen, still lächelnd ste­hen sie vor dem Vor­hang und las­sen sich lang­sam in den Rhyth­mus des fol­gen­den musi­ka­li­schen Zwi­schen­spiels fallen.

Ernst gemeint und durch­ge­führt ist auch die Dop­pe­lung von Spiel und Gesang. Ver­wirrt, wie man nun ein­mal ist, wenn man die Liebe und ihre Dinge nicht mehr ver­steht, allein­ge­las­sen im Wald steht die junge, hell gewan­dete Her­mia ( Eva Patri­cia Klo­sow­ski) im Licht, um sie herum das dunkle Nichts des Büh­nen­rau­mes. Und hin­ter ihr singt, einem Schat­ten gleich, dun­kel glit­zernd, die Sopra­nis­tin Evmor­fia Meta­xaki. Sie ist eine Art Star, hier im klei­nen Ensem­ble in Lübeck, ord­net sich aber, wie alle Betei­lig­ten der Auf­füh­rung und der Ensem­ble­ar­beit unter. Ihre Arie heißt "O let me weep", eigent­lich hat sie mit dem Stück nicht allzu viel zu tun, sie wurde nach den ers­ten Auf­füh­run­gen ergänzt, ist aber so eine Art Hit die­ser Oper.

"O let me weep, for ever weep, My Eyes no more shall wel­come Sleep; I'll hide me from the sight of Day, And sigh, and sigh my Soul away. He's gone, he's gone, his loss deplore; And I shall never see him more."

An die­ser Stelle wird erneut deut­lich, wie sehr die Gat­tun­gen Schau­spiel und Gesang ein­an­der ergän­zen kön­nen, das stumme Spiel und der sich vom Irdi­schen lösende Gesang erwei­tern die Bedeu­tungs- und Inter­pre­ta­ti­ons­ebene der Büh­nen­hand­lung. Die­ser Kunst­griff zeigt sich noch einige Male im Stück, mal mehr, mal weni­ger ein­ge­bun­den in die Spiel­hand­lung und durch­aus nicht immer im höchs­ten Maße dra­ma­tisch - mit " Pinch him, pinch him for his Cri­mes" wird der arme Zet­tel zum höchs­ten Ver­gnü­gen der Elfen­schar gepie­sackt und die Ten­ora­rien ( Daniel Jenz) sind Auf­tritte eines New-Romantic-Popstars aus den 80ern. Die gespielte Text­fas­sung des Schau­spiels beruht im Übri­gen auf der, im Gegen­satz zu Schle­gels roman­ti­sie­ren­dem Klas­si­ker, um eini­ges saf­ti­ge­ren Über­set­zung von Erich Fried. Das tut, bei all dem Elfen­zau­ber, dem Gan­zen über­aus gut.

Musi­ka­lisch steht alles zum Bes­ten, der Musi­ka­li­sche Lei­ter Andreas Wolf lei­tet das Orches­ter dezent an und um die Klip­pen der alten Musik herum. Laute und The­orbe sit­zen im Gra­ben und dür­fen spä­ter im Stück auf die Bühne, eine rei­zende Szene, auch hier gilt das Mit­ein­an­der des Ensem­bles. Und auch die rol­len­spe­zi­fisch auf­ge­drehte Puck-Figur - Char­lotte Irene Thomp­son, die die Ram­pen­sau geben darf, und das zum höchs­ten Ver­gnü­gen aller - darf sin­gen, einen jener über­lie­fer­ten Shakespeare-Songs von Tho­mas Weel­kes, der zwar nicht im Libretto steht, aber eben ein­fach hier­her paßt.

Wie­der ein­mal, um zum Aus­gangs­punkt zurück­zu­keh­ren, darf man sich die Frage stel­len, was denn, bit­te­schön, jene Her­ren in der gro­ßen Stadt rei­ten mag, wenn sie die Abschaf­fung des sub­ven­tio­nier­ten Spiel­be­triebs for­dern. In der ebenso sub­ven­tio­nier­ten "Pro­vinz" blüht es, und das nicht zu knapp, wie man an die­sem Bei­spiel sehen mag. Woan­ders hat man es bereits ver­stan­den, in Ros­tock etwa, wo der abge­setzte Inten­dant Sewan Latchi­nian, der sich gegen Kür­zun­gen an sei­nem Hause auf­ge­lehnt hatte, nach mas­si­ven Pro­tes­ten der steu­er­zah­len­den Bür­ger die­ser Tage erneut ins Amt beru­fen wurde.

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Erstellt am 15.07.2015
Bearbeitet am 14.09.2018

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http://www.hamburger-feuilleton.de/...

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